Chapter 70

2.2K 92 19
                                    


Ich hatte wirklich daran geglaubt, dass Nate bei mir bleiben würde. Dass wir alle Hürden zusammen meistern würden.

Doch ich hatte mich geirrt.

Nate war auf einmal wie vom Erdboden verschwunden, als ich nach ein paar Stunden Schlaf allein in seinem Krankenhausbett aufgewacht war. Panik hatte sich in mir breit gemacht und ich war kurz davor zu kollabieren, als ich schließlich seinen Brief fand.

Danach wusste ich nicht recht, was ich fühlen sollte. Einerseits war alles in mir unglaublich leer. Ich starrte das Papier an, auf dem Nates Handschrift zu sehen war und konnte es nicht glauben. Ich wollte es nicht glauben.

Ich hatte nicht geahnt, dass sein Ich liebe dich von letzter Nacht ein Abschied gewesen war. Ein Lebewohl.

Dann begann ich, wieder zu fühlen. Meine Finger umklammerten zitternd das weiße Papier, Tränen verwischten die blaue Tinte und meine Brust verkrampfte schmerzhaft. Es tat so unglaublich weh.

Alles was da stand, alles, was Nate geschrieben hatte, ließ eine bittere Wut in mir hochkochen, die sich mit meinem Schmerz vermischte. Er hatte mich allein gelassen. Jetzt, wo es schwierig wurde ging er und dachte wirklich, dass würde alles besser machen.

Mit einem erstickten Schrei zerknüllt ich diesen verfluchten Brief und schleuderte ihn durch das Klinikzimmer. Ich raufte meine Haare und weinte. Gott, ich weinte so sehr wie seit Jahren nicht mehr und gab mir keine Mühe, leise zu sein.

Denn ich war so allein.

Allein mit dem Schmerz über Zayns Verlust, den verdammten Erinnerungen an dieses alles vernichtende Feuer und dem Wissen, dass ich als nächstes brennen werde.

Nate hatte mich mit all dem allein gelassen.

Die Tür hinter mir schwang auf und eine etwas fülligere Krankenschwester sah geschockt auf mich herab. Dass ich auf den Boden kauerte, war mir gar nicht bewusst gewesen. Mit großen Augen dah sie sich im Raum um und kam dann zu mir, um mir mütterlich einen Arm um die Schulter zu legen.

"Was ist denn passiert Schätzchen? Und wo ist der Patient?" Sie schien ziemlich verwirrt zu sein, was kein Wunder war. Wie oft fand sie wohl ein völlig am Boden zerstörtes Mädchen im Krankenzimmer, obwohl dort eigentlich ein Patient mit Gehirnerschütterung liegen sollte?

"Weg", krächzte ich, nachdem ich den Schrei der mir entkommen wollte erstickt hatte. Ich antwortete absichtlich nur auf ihre zweite Frage.

Besorgt strich sie über meine Haare. "Was? Wohin? Gott Schätzchen, du bist ja vollkommen fertig! Willst du ein Beruhigungsmittel?"

Schwach schüttelte ich meinen Kopf, doch selbst ich spürte das Lodern in meinen Augen als ich in ihre Hellbraunen sah. "Ich will nur Nachhause. Jetzt."

---

Ja, ich war wütend auf Nate. So verdammt wütend, dass er vor seinen Problemen weglief, anstatt sie zu lösen.

Ich wusste vielleicht sogar schon in diesem Augenblick, dass sich einiges in meinem Leben ändern würde. Und auch jedes Mal, wenn ich in den kommenden Wochen und Monaten immer wieder den Brief durchlas, den ich in meine Tasche gesteckt hatte, überkam mich das gleiche ungute Gefühl.

Am Anfang versuchte ich oft, Nate anzurufen. Doch er ging nie ran. Auch auf meine Nachrichten antwortete er nicht, also gab ich es irgendwann auf.

Ich würde lügen wenn ich behaupte, dass ich ihn nicht vermisste. Seine Stimme, wenn er meinen Namen aussprach. Seine Blicke, die immer so intensiv waren. Seine Wärme, die mit jeder noch so kleinen Berührung auf mich übertragen wurde und mich von Innen heraus brennen ließ. Seine Tattoos, die mich (auch wenn er manche hasste) jedes Mal aufs Neue fasziniert hatten und einfach ein Teil von ihm waren.

Ich vermisste alles von ihm, jeden Tag und jede Nacht. In meinen Träumen spielte er die Hauptrolle, egal ob in den Guten oder den Bösen.

Obwohl letztere häufiger vorkamen.

Immer wieder wachte ich schweißgebadet auf, weil mich diese Explosion verfolgte. Weil in meinen Träumen Zayn nicht ohne Schmerzen starb, wie es die Beamten behauptet hatten. Nein, im Schlaf schrie er nach Nates und meinem Namen, manchmal waren auch beide Brüder im brennenden Haus gefangen und ich konnte sie nicht retten.

Ich stand nur da, sah zu, wie sie nach mir schrien, mich anflehten ihnen zu helfen. Doch ich konnte nicht. Ich konnte mich nicht bewegen, es war als würde ich am Boden festkleben.

Und dann war da jedes Mal diese scheußliche Lache von Johnatan Adams.

Demnach war ich nur noch ein Schatten meiner selbst. Ich aß kaum noch und verließ mein Zimmer nur wenn es nötig war. Meistens trug ich Nates dunklen Kapuzenpulli, der noch immer nach ihm roch und weinte mehr als ich es je in meinem Leben getan hatte.

Auch meine Freundinnen bemerkten meine Veränderung. Mehr als einmal rieten sie mir, zu einem Psychologen zu gehen, doch das wollte ich nicht.

Besonders kritisch wurde es, als die Schule eine Art Versammlung wegen Zayns Tod einberufen hatte, nur eine Woche nach dem "Unfall", wie alle es nannten. Der Rektor erklärte, dass er unter tragischen Umständen bei einem Unfall ums Leben gekommen war.

Mir kam heiße Galle hoch. Es war kein Unfall, doch das wusste keiner außer mir. Auch wusste niemand, dass Nate eben nicht die Schule verlassen hat, um seiner Familie beizustehen.

Doch es war gut so. Denn diese Dinge musste keiner wissen.

Während der Rektor sprach, wurde mir immer übler. Plötzlich roch ich wieder den giftigen Rauch, spürte den weichen Sand und die Hitze in meinem Gesicht. Ich war wieder dort. Am Strand, kurz nach der Explosion.

Meine Atmung wurde heftiger und ich konnte mich nicht mehr beruhigen. Tränen strömten wiederholt in meine Augen und mein ganzer Körper spannte sich an. Als wäre er direkt vor mir, sah ich klar und deutlich den Zettel mit der zittrigeb Schrift vor mir, der an der Haustür lag.

Und deine Welt
brennt

Ich hätte genauso sterben sollen wie Zayn. Nur weil Johnatan Nate Schmerzen fühlen lassen wollte, die schlimmer waren als alle körperlichen es je sein könnten.

Pam bemerkte als erste und zum Glück vor meinen Mitschülern wie stark ich zitterte und dass ich nervlich am Ende war. Sie schaffte es, uns beide unbemerkt nach draußen zu schleusen und kaum standen wir allein auf dem Pausenhof, brachen meine Schutzmauern, die ich für die Schule aufgebaut hatte und ich brach zusammen.

Doch auch Pam, in deren Augen ich bis dahin noch nie Tränen gesehen hatte, weinte mit mir. Wir beide hatten einen Freund verloren, der uns ans Herz gewachsen war. Vielleicht war es ein merkwürdiges Bild, wie wir beide auf dem asphaltierten Boden saßen, uns einfach im Arm hielten und hemmungslos heulten.

Ich kann diesen verdammten Schmerz nicht beschreiben, der tief in meiner Brust war und einfach nicht abnehmen wollte, aber er zerriss mein Herz mit jedem Gedanken an Nate oder Zayn.

Und jetzt frage ich euch: Wie soll man da nicht sein Strahlen verlieren?

Ich wusste es nicht.

Genauso wenig wusste ich, wo Nate steckte oder was er tat. Oder wie es ihm ging. Ich wollte bei ihm sein, doch konnte es nicht.

Und dabei war er der einzige, mit dem ich reden wollte und konnte. Der einzige, der mir helfen könnte das alles zu verarbeiten.

Aber ich würde ihn nie wieder sehen. Für mich würden seine grünen Augen nie mehr leuchten.



-----

Noch ein Kapitel... 😔

Bye, eure dust_to_gold

Your World in Flames  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt