Matt führte mich weiter durch die nächsten Räume dieses Anwesens und es fiel mir schwer den Mund vor Staunen nicht weit offen stehen zu lassen. Nur ein einziger dieser Einrichtungsgegenstände war vermutlich genug um alle Kinder des Waisenhauses für mehrere Monate zu ernähren. Natürlich kannte ich den wahren Wert dieser Gegenstände hier nicht, aber ich war mir eigentlich ziemlich sicher, dass sie teuer waren, sie sahen einfach schon so teuer aus. Um aber die wirklich teuren Gegenstände zu finden, würde ich wohl erstmal noch eine Weile hier arbeiten müssen. Ich fragte mich, wie ich es wohl schaffen sollte mich hochzuarbeiten und das Vertrauen der Familie zu erlangen, sodass ich nicht den normalen Weg gehen musste, der vielleicht mehrere Jahre, wenn nicht sogar mein restliches Leben dauern mochte. Mein Gedankengang wurde von Matt unterbrochen, welcher meinte, dass er mir wohl nochmals alle Familienmitglieder unserer Herrschaften würde vorstellen müssen- natürlich nicht persönlich, sondern nur zeigen oder erklären- und mir eine Kurzeinweisung in Höflichkeitsetikette geben musste.
Ich wollte gerade etwas entgegnen, als ich von irgendwo draußen das Bellen eines Hundes vernahm. Sofort versteinerte ich. Dieses Bellen würde ich überall erkennen. Es war Admiral und sein Bellen klang viel zu nah. Hatte er sich irgendwie auf das Grundstück geschlichen? Aber was, wie, wann, warum? Ich hatte gehofft, dass er vertrieben worden wäre, wenn er sich in der Nähe des Grundstückes herumtrieb, aber er schien trotzdem einen Weg gefunden zu haben. Mit einem Mal bekam ich Angst um Admiral. Was war, wenn man ihn mit Stöcken verprügelte um ihn zu vertreiben? Für die Angestellten hier war er immerhin nichts anderes als ein streunender Hund, welcher hier nichts verloren hatte. „Können wir vielleicht nach draußen gehen und du zeigst mir dort alles? Ich denke hier im Haus müsste ich die wichtigsten Räume bereits gesehen haben, oder?", wandte ich mich als Vorwand an Matt und blickte ihn fragend an, während mein Unterton leicht drängend geworden war.
Matt wirkte etwas verwundert, nickte aber. „Ja, die wichtigsten Räume im Haus haben wir tatsächlich bereits gesehen und ich kann dir den Rest der Räume auch zu einem späteren Zeitpunkt zeigen..." Er zuckte mit den Schultern. „Dann komm mit!" Wir betraten eine der Türen die zu den Geheimgängen führte und folgten dem langen, schummrigen Gang einige Zeit. Ich versuchte mir den Weg einzuprägen, aber es gab zu viele Abzweigungen, denen wir folgten- dabei hatte ich eigentlich ein gutes Gedächtnis. „Wie kannst du dir diese Wege nur alle merken?", fragte ich Matt staunend nach einer Weile. Dieser musste lachen. „Mach dir darum keine Sorgen, mit der Zeit kennst du all diese Wege in- und auswendig- und für die nächsten Tage begleite ich dich ohnehin..." Diese Geheimgänge würden mir bei meiner Arbeit ziemlich nützlich sein- zumindest sobald ich den Weg kannte. Keiner von den Herrschaften benutzte diese Wege und es war eine einfache Möglichkeit um das Gebäude heimlich zu verlassen und zu betreten. Wir verließen das Gebäude durch den Dienstboteneingang, durch welchen wir das Gebäude auch betreten hatten. Kurz darauf folgten wir einem breiten Kiesweg, welcher sich quer durch den Garten schlängelte. Ich versuchte mich zu orientieren. Aus welcher Richtung hatte ich das Gebell zuvor gehört? War es in Richtung der Terrasse gewesen? „Was befindet sich dort?", fragte ich also gespielt neugierig und zeigte in deren Richtung. „Dort befindet sich der Teil des Gartens, welcher gerne von den jungen Herrschaften zum Spielen und Entspannen verwendet wird und auch die Terrasse beinhaltet!", erklärte Matt. „Wenn wir Glück haben, hält sich dort im Moment niemand auf und ich kann dir diesen Bereich gleich zeigen, komm mit!"
Ich folgte ihm weiter den Weg entlang und blickte mich währenddessen aufmerksam und angestrengt nach Admiral um. Als wir uns der Terrasse näherten, vernahm ich eine aufgeregte Stimme, in welcher ich die von Lady Gracelyn erkannte. Sie schien um irgendetwas zu betteln, aber wir waren zu weit weg, als das ich hätte verstehen können, was sie sagte. „Lady Gracelyn und Lady Eleanor scheinen sich gerade hier aufzuhalten...", meinte Matt und stoppte mich. „Vielleicht sollten wir zu einem späteren Zeitpunkt zurückkehren. Wir sollten sie nicht erneut stören..." Er drehte sich um und ging davon und ich wollte ihm auch gerade folgen, als ich ein kleines Etwas erkannte, was sich der ausgestreckten Hand von Gracelyn näherte. Admiral. Es handelte sich tatsächlich um Admiral. Ich blieb wie versteinert stehen. Was würden sie mit Admiral machen? Streuner wie er waren hier bestimmt nicht gerne gesehen.
Matt hatte gemerkt, dass ich ihm nicht gefolgt war und drehte sich zu mir um. „Was ist los?", fragte er verwirrt nach. „Du verhältst dich schon seit vorher so komisch..." Er trat neben mich und folgte meinem Blick. „Was macht denn der Hund...", er unterbrach sich selbst und sah mich mit einer Mischung aus Erkenntnis und Schrecken an. „Es ist dein Hund, nicht wahr?" Ich nickte. Admiral war der Einzige aus meiner Familie, der mir noch geblieben war- ich wollte nicht auch noch ihn verlieren. „Das ist Admiral...", erklärte ich leise. „Er ist mir wohl irgendwie gefolgt..." Matt warf erneut einen Blick zu meinem Hund, ehe er einen beruhigenden Tonfall anschlug: „Du hast Glück, dass Lady Gracelyn ihn gefunden hat- sie liebt Tiere über alles und wird deinen Hund bestimmt nicht vertreiben lassen!"
Gemeinsam beobachteten wir, wie die beiden Ladys Admiral in Richtung des Herrenhauses lotsten. Was wollten sie dort mit ihm? Erneut bekam ich Angst um den Hund. „Ich bin mir sicher, dass sie ihn nur füttern wollen...", versuchte mich Matt zu beruhigen. Heimlich schlichen wir uns nach Gracelyn und Eleanor in das Haus und tatsächlich schienen die beiden die Küche anzusteuern. Immerhin den ungefähren Aufbau des Hauses hatte ich mir merken können. Lady Gracelyn wurde mit einem Mal von einem streng aussehenden Mann von der Treppe aus gerufen und Matt und ich hatten Mühe uns rechtzeitig zu verstecken, sodass dieser uns nicht entdeckte. „Mr. Dawson- Lady Gracelyns Privatlehrer...", erklärte mir Matt flüsternd. Lady Gracelyn ließ Lady Eleanor zurück und folgte ihrem Lehrer schmollend. Ich hörte Schritte, welche sich uns von der rechten Seite näherten und als ich aufblickte waren Lady Eleanor und Admiral mit einem Mal verschwunden. „Sie sind weg...", flüsterte ich entsetzt. „Und das sollten wir auch sein. Diese Schritte können nur zu Countess Frances gehören... wenn sie uns hier erwischt, nachdem es so einen Aufruhr gab, kann es nur schlecht für uns enden..."
Matt zog mich aus dem provisorischen Versteck, wo man uns leicht hätte entdecken können, wenn man etwas genauer hinschaute und zog mich durch eine weitere Tür in den dahinterliegenden Raum. Matt schloss die Tür hinter uns und drehte sich dann um, sodass er dasselbe Unglück erblicken konnte, welches ich längst erblickt hatte. Wir befanden uns in einer Art Musikzimmer, welches nicht sonderlich oft benutzt zu werden schien. Schwere Vorhänge verdeckten die hohen Fenster und ließen kaum Licht in den Raum hinein. Staub tanzte in den wenigen Sonnenstrahlen, welche ihren Weg in das Zimmer gefunden hatten. Doch wir waren nicht allein in dem Raum. Schwanzwedelnd sprang Admiral an mir hoch und leckte mir quer über das Gesicht. Ich musste lachen und wäre beinahe zu Boden gestürzt. Doch dann wurde ich wieder ernst und befahl Admiral sich auf den Boden zu legen und ruhig zu bleiben- ehe er noch anfing laut zu bellen und somit auf uns aufmerksam machte. Der Hund gehorchte meinen Befehlen augenblicklich. Dann wandte ich mich dem größeren Problem zu.
Ich verneigte mich ihr gegenüber. „Es tut uns schrecklich leid, Lady Eleanor... Dies ist mein Hund Admiral und ich dachte eigentlich, dass ich ihn fortgeschickt hätte und er seinen eigenen Weg finden würde, doch anscheinend ist er mir irgendwie gefolgt und hat mich gesucht... wäre es vielleicht irgendwie möglich, dass ich ihn hierbehalten darf? Er könnte im Stall bleiben- ich würde dort auch bei ihm schlafen, sodass er nicht nachts davonläuft und ärger verursacht. Aber ich kann es nicht übers Herz bringen, dass er mit Stöcken oder ähnlichem verjagt wird... und anders wird er vermutlich nicht verjagbar sein... er ist die einzige Familie, die ich noch besitze..." Flehend sah ich zu Lady Eleanor auf. Meine ganze Mission war mir gerade egal- es ging hier um Admiral. Ich konnte ihn nicht auch noch verlieren. Hätte ich gewusst, dass er allein in der Stadt war, wäre ich beruhigt gewesen, denn ich wusste, dass er sich selbst ernähren konnte. Aber nun da er hier war... er würde nicht freiwillig gehen. Matt war still geblieben und hatte mich einfach nur sprechen lassen, wofür ich ihm wirklich dankbar war. „Ich würde dafür, dass er hier bleibt auch meinen Lohn für die nächsten Monate aufgeben... bitte... ich bitte euch nur, dass ihr ihm erlaubt hier zu bleiben..."

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Dollhouse
RomantizmEngland zur Zeit der Industrialisierung. Eleanor scheint das perfekte Leben zu führen. Ihre Familie ist hoch angesehen, reich und besitzt jede Menge Land und Angestellte. Sie bekommt Privatunterricht, ihre Gesellschaft ist vorsortiert und ihre Zukun...