"Ich möchte keinesfalls, dass du dich von mir fernhältst. Das zumindest weiß ich sicher."
Sie wollte nicht, dass ich mich von ihr fernhielt. Nun, selbst, wenn sie es nicht gewollt hätte, wäre mir wohl kaum eine Wahl geblieben. Zu sehr hatte ich mich bereits in ihr verloren. In dem Labyrinth, welches sie um sich herum errichtet hatte und welches dafür sorgte, dass ich wieder und wieder bei ihr landete, auch wenn ich ihr entkommen wollte. Entkommen musste. Alles andere konnte einfach nicht gut enden.
Wir lebten in zwei Welten. Zwei Welten, die sich ähnlicher sein mochten, als wir es beide je geahnt hätten. Wir waren beide Gefangene, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Und dennoch berührten sich diese beiden Welten nur ein wenig. So wenig, dass alles weitere. Jeder Traum, jeder Wunsch, jede Hoffnung sofort zunichte gemacht wurde und ein Ding der Unmöglichkeit war. Es gab keine gemeinsame Zukunft in jeglicher Form und Variante.
Ich musste zugeben, dass ich an einen Punkt gelangt war, an dem ich einfach nicht weiterwusste. Bisher war es mir immer einfach gefallen, eine Antwort zu finden und meinen Weg einfach zu gehen, doch nun... Wie sollte man eine Antwort auf eine Frage der Unmöglichkeit finden?
"Wie gesagt, es gibt niemanden sonst mit dem ich so offen reden kann."
Leider galt das nicht für sie sie so. Es fiel mir schwer einfach ich selbst anderen gegenüber zu sein. Natürlich gab es da die Kinder aus dem Waisenhaus und auch Matt und die anderen, die ich hier kennengelernt hatte, aber dennoch. Etwas fehlte. Einen Teil meiner Seele, den ich vor den anderen verbergen musste. Auch bei Eleanor konnte ich noch nicht vollständig ich sein, aber es gab einen Unterschied: Bei ihr wollte ich mich nicht verstellen, während es mir bei anderen unglaublich leicht fiel und mich keine Sekunde lang Gewissensbisse plagten. Wohin würde das alles nur führen?
"Das macht Euch gefährlich, Lady Eleanor", wisperte ich mit einem amüsierten Lächeln und schloss meine Hand etwas fester um meine Kette. "Denn gleiches gilt auch für mich. Es gibt niemanden außer Euch, mit dem ich so leicht und offen reden kann. Ich frage mich, warum es mir ausgerechnet bei Euch so leicht fällt. Was nur macht Euch so besonders? Meine Antwort darauf wäre wohl "alles", aber was wäre Eure Antwort?" Mein Blick fixierte ihren wie eine Raubkatze, die ihre Beute ins Auge gefasst hatte und gleichzeitig lag ein liebesvolles Lächeln auf meinen Lippen, welches diese sanft umspielte.
Ich zuckte einen Moment zusammen als Eleanor mich am Arm berührte. Es war ungewohnt diese Art von Nähe zu spüren. Es war anderse als Eleanor zu küssen oder ihr auf die Art und Weise näher zu kommen, wie ich es bisher getan hatte. Es war tröstend und beruhigend und erfüllte mich mit einer Wärme, die ich so schon lange nicht mehr gespürt hatte. Leicht berührten meine Finger nun auch ihren Arm- strichen einen Augenblick zärtlich über ihre weiche Haut, ehe ich sie wieder losließ. Ich erlaubte mir nicht mehr Nähe, weil ich wusste, dass es nur das Verlangen nach mehr auslösen würde. "Nein, war es nicht", entgegnete ich mit leiser Stimme, ehe ich meinen Kopf hob und Eleanors Blick erwiderte. "Aber es ist Vergangenheit und ich kann es mir nicht leisten in dieser zu verweilen, ebenso wenig wie Ihr, nicht wahr? Wir sind beide gezwungen in der Gegenwart zu leben und das Beste aus dieser zu machen, weil wir uns sonst nur umso mehr verlieren würden. Selbst ein Blick in die Vergangenheit oder Zukunft kann dafür sorgen, dass alles über unseren Köpfen zusammenbricht. Vielleicht ist es das, was uns verbindet."
Die Nähe zu ihr nahm mich vollkommen ein und gefangen. Statt den Blick in den Sternenhimmel gerichtet zu halten, welcher geheimnisvoll und wunderschön über uns glitzerte, war mein Blick alleine auf Eleanor gerichtet und sie übertraf die Schönheit jedes einzelnen Sterns. Sie wirkte so unglaublich zerbrechlich, was dafür sorgte, dass ich sie beschützen wollte, aber gleichzeitig verstörmte sie eine unglaubliche innere Kraft. Sie war nicht das zerbrechliche Mädchen, das alle in ihr sahen. Sie war so viel mehr als das. Alleine die Tatsache, dass sie hier neben mir saß, bewies das mehr als deutlich.

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Dollhouse
RomanceEngland zur Zeit der Industrialisierung. Eleanor scheint das perfekte Leben zu führen. Ihre Familie ist hoch angesehen, reich und besitzt jede Menge Land und Angestellte. Sie bekommt Privatunterricht, ihre Gesellschaft ist vorsortiert und ihre Zukun...