29_Cyril Llyod

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Mit einer leisen Handbewegung hatte ich Admiral angewiesen zur Tür zu gehen und diese zu bewachen. Er sollte weder mich gerade stören, noch sollte irgendeine Person in diesem Moment in den Raum eintreten. Er würde mich warnen, wenn irgendjemand auch nur in die Nähe der Bibliothekstür kam.

Ich betrachtete fasziniert die Wandlungen von Eleanors Emotionen, die sich in ihrem gesamten Gesicht widerspiegelten. Ob sie sich wohl der Tatsache bewusst war, dass sie im Moment wie ein offenes Buch für mich war? Ich konnte jede noch so kleine Regung deuten und sie machte sich auf keine Mühe, diese zu verbergen. Ihre sonst so beherrschte Maske der Öffentlichkeit, war gefallen und darunter kam viel mehr als nur eine Puppe zum Vorschein. Viel mehr als andere Menschen zu begreifen verstanden. Wie konnten alle nur diese wunderbare Person verkennen, die gerade vor mir stand? Das war die wahre Eleanor- nicht die Puppe, welche ihre Seele gefangen hielt.

Mit einem Daumen strich ich federleicht über ihre geröteten Wangen, welche dafür sorgten, dass sie so viel lebendiger und immer weniger wie eine Puppe wirkte. So wollte ich sie sehen. Voller strahlendem Leben. Ich war immer noch fasziniert von ihrer bloßen Anwesenheit- sie warf mich vollkommen um, und machte mich wehrlos. Ich konnte ihr und der Versuchung ihr näherzukommen, nicht widerstehen. Ich war einfach noch nie jemandem wie ihr begegnet. Wie könnte ich sie da jetzt gehen lassen und vielleicht niemals wieder jemandem wie Eleanor begegnen? Ich wusste nicht, ob mein Leichtsinn in dieser Sache dem Fieber oder einer anderen Sache geschuldet war. Es gab keine Zukunft mit ihr und würde es niemals geben. Und es gab etwas Wichtigeres, auf das ich mich konzentrieren musste. Aber das spielte für den Moment keine Rolle. Für mich gerade keine Rolle. Im Moment konnte ich ohnehin nicht weiter daran arbeiten, bis es mir wieder gut genug ging. Also konnte ich die Zeit vorerst noch anders nutzen. Vielleicht würde es mir ja sogar helfen und mich weiterbringen, wenn ich Eleanor besser einschätzen konnte? Sie war vom ersten Tag an das größte Risiko für alles gewesen. Sie würde mir stets am gefährlichsten werden. Sie war aufmerksam, wissbegierig und schlau- alles Eigenschaften, die ich sehr an ihr schätzte, die aber auch gleichzeitig alles ins Wanken brachten.

Eleanor wirkte wie gelähmt, vermutlich überfordert von der Situation. Aber dass sie mich nicht von sich schubste, um Hilfe schrie oder davonlief, zeigte, dass sie diesem Moment nicht so abgeneigt zu sein schien. Vollkommen egal, welche Worte noch aus ihrem Mund kommen würden. Da war eine gewisse Spannung zwischen uns, und ich wusste, dass ich nicht die einzige Person war, die so empfand.

"Überhaupt nichts darf ich nehmen."

Doch überrascht von Eleanors plötzlichem Gefühlsausbruch, ruhte mein Blick nun auf ihr, bereit für jedes der Worte, die jeden Moment aus ihr herauszuplatzen drohten. Es fühlte sich an, als wären das Worte, die sie schon lange zu jemandem hatte sagen wollen, aber nie die geeignete Person dafür gefunden hatte. 

"Du bist ein Dieb, Cyril."

Sie wusste gar nicht, wie recht sie mit diesen Worten hatte. Sie hatte die Wahrheit ausgesprochen, ohne es zu wissen. Ich war nicht viel mehr als ein Dieb. Ein Lügner und Betrüger. Die Chancen darauf, dass sich Eleanor jemals wirklich für mich interessieren konnte, waren noch geringer als ich jemals gedacht hatte. Zwar war ich immer ich selbst gewesen, wenn ich bei ihr war, dennoch... sie würde ja vielleicht noch einen einfachen Arbeiter an ihrer Seite akzeptieren, aber einen Weisen und stadtbekannten Dieb?  Wir waren nicht in einem dieser Schundromane, die meine Schwester über alles geliebt hatte. Es gab kein glückliches Ende für zwei Menschen unseres Standes. Und doch konnte ich meine Finger nicht von ihr lassen, auch wenn ich wusste, dass ich mich an ihr verbrühen würde. Sie hatte mich in ihren Bann geschlagen und aus diesem konnte ich mich nicht mehr befreien. Ich wollte es auch nicht.

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