Ich bedankte mich mit einem leichten Lächeln als Cyril mir ebenfalls sein Beileid aussprach, obwohl ich mich dabei gleichzeitig für meine lockere Zunge schalt. Es war zwar weder ein Geheimnis noch ein Skandal, noch auf sonst irgendeine Weise ungewöhnlich dass Vater nach dem Tod seiner ersten Frau erneut geheiratet und sogar weitere Kinder bekommen hatte, aber dennoch. Je weniger Leute davon wussten, desto besser. Es gab immer Menschen die von ihrem Hass auf "den Adel" so sehr eingenommen waren, dass sie jede Chance nutzen würden um seine Mitglieder durch zufällig aufgeschnappte Informationen und Gerüchte in Bedrängnis zu bringen. Obwohl Cyril mir eigentlich nicht wie jemand vorkam der meiner Familie schaden wollte, im Gegenteil. Selbst sein Mitleid wirkte aufrichtig, was mich überraschte. Jemand wie ich verdiente so etwas in den Augen der meisten Menschen nicht - schließlich hatte ich alles was ich mir je wünschen könnte, nicht wahr? Alles, nur keine Freiheit, dachte ich bitter, wurde jedoch im nächsten Moment zum Glück aus meinen düsteren Grübeleien gerissen.
Wie sollte es jetzt weitergehen? Eine wirklich gute Frage, auf die ich momentan eine frustrierend geringe Menge an Antworten geben konnte, nämlich gar keine. Ich wusste es nicht. Fest stand, dass Cyril noch immer verletzt war, und daran würde sich laut dem Doktor auch noch eine Weile nichts ändern. Er würde also eine Position brauchen, die es körperlich nicht ganz so sehr in sich hatte wie es die Arbeit als Stallbursche erforderte.
Während ich mir noch den Kopf darüber zerbrach, sprang Admiral plötzlich mit einem überraschend eleganten Satz für einen Hund seiner Größe vom Sofa. Er hatte mich zuvor bereits angeknurrt, weshalb ich jetzt unwillkürlich zurückzuckte, jedoch stellte ich kurz darauf fest, dass meine Angst vollkommen unbegründet war.
"Ich fühle mich sehr geehrt", bestätigte ich amüsiert und lächelte nun ebenfalls, angesteckt von Cyril's Lachen. "Und beeindruckt auch. Kommt es mir nur so vor oder hört er sogar auf deine bloßen Handzeichen? Ich glaube, etwas derartiges habe ich noch nie vorher gesehen." Wann war das letzte Mal, dass ich mich in Gegenwart eines anderen Menschen so entspannt gefühlt hatte? Ich versuchte mich zu erinnern, aber es wollte mir beim besten Willen nicht mehr einfallen. Ebenso wunderte ich mich, was Admiral dazu veranlasst haben könnte anderen Menschen gegenüber so misstrauisch zu sein, wo er doch ganz offensichtlich so gut erzogen war. Und ein Straßenhund war er schließlich auch nicht, denn sonst wäre er wohl kaum bei Cyril. Verwirrt schüttelte ich den Kopf um den Gedanken zu vertreiben und mich wieder auf das Wesentliche konzentrieren zu können: Cyril's zukünftige Arbeit.
"Um deine vorherige Frage zu beantworten: Ich schätze, wie es weitergeht hängt ganz davon ab was für Fähigkeiten du außer einem hervorragenden Händchen für Tiere noch hast. Arbeiten musst du natürlich überall, aber vielleicht wäre eine Position im Haus weniger anstrengend als den ganzen Tag Ställe auszumisten und Reitzeug zu polieren.", überlegte ich laut. "Vielleicht könntest du -"
"Richten wir uns seit Neuestem etwa nach den Wünschen der Dienerschaft?
Ich zuckte heftig zusammen als ohne Vorwarnung die kühle Stimme meines älteren Bruders Clemence erklang, welcher kurz darauf mit großen Schritten den Raum betrat. Wie lange mochte er bereits an der Tür gestanden und zugehört haben? "Vater hat bereits überall nach dir suchen lassen.", teilte er mir sachlich mit. "Es wundert mich, dich ausgerechnet hier anzutreffen statt in deinem Zimmer, wo du eigentlich längst sein solltest."
Er hatte seine Gesichtszüge wie immer perfekt unter Kontrolle, was mich umso mehr daran erinnerte wie wenig ich während des Gesprächs mit Cyril auf die meinen geachtet hatte.
"Ich.. ja, aber.. ich dachte nur es wäre nicht gut, ihn hier allein zu lassen. Wegen der Kopfverletzung? Und Dr. Geary ist auch noch nicht sehr lange fort", stammelte ich verlegen, aber selbst in meinen Ohren klang es wie eine klägliche Ausrede. Schließlich hätte ich ebenso leicht jeden beliebigen Angestellten anweisen können hier zu warten. Ich hatte es jedoch nicht getan, weil ich mich in gewisser Weise für Cyril's Unfall verantwortlich fühlte und dies zumindest ein wenig wieder gutzumachen versuchte.
"Wie aufmerksam von dir", kommentierte Clemence meine Gedanken, als hätte er sie erraten. Vermutlich hatte er das sogar. Seine Stimme war nach wie vor sehr beherrscht, aber ich kannte ihn gut genug um dennoch zu erkennen, dass sich hinter der kühlen Fassade einiges an Ärger verbarg. Ärger, der zweifellos zu großen Teilen mir galt, weil ich mich für eine Dame unangemessen verhielt und auch noch zuließ, dass ein Angestellter dies sah. "Ich weiß du hast ein weiches Herz, Schwester, und dafür kann ich dir keinen Vorwurf machen. Es liegt dir nun einmal im BIut." Er lächelte überlegen, während ich den Blick senkte und versuchte nicht wütend zu werden. "Aber du solltest doch trotzdem wissen, dass ein einfacher Stallbursche nicht so ohne weiteres Hausdiener werden kann. Es ist ein ziemlicher Unterschied ob man sich um die hochgeschätzten Gäste unseres Vaters kümmert - oder nur um deren Pferde. Das siehst du doch auch so, nicht wahr liebe Schwester?" Clemence' Blick wanderte scheinbar ziellos durch den Raum um schließlich missbilligend an Admiral hängen zu bleiben, der noch immer bei Cyril saß. "Außerdem verlangt die Arbeit im Haus eine gewisse Etikette."
"Aber er hat Adrian gerettet und mich auch! Das muss doch etwas wert sein, oder etwa nicht?", brach es nun doch aus mir heraus, woraufhin Clemence jedoch nur erneut lächelte als wären meine Bedenken vollkommen unbegründet.
"Selbstverständlich ist das etwas wert.", wandte er sich nun betont freundlich zum ersten Mal direkt an Cyril. "Du hast unserer Familie einen großen Dienst erwiesen, und dafür wirst du eine gewiss mehr als angemessene Belohnung erhalten. Es liegt natürlich ebenso auf der Hand, dass wir keinen Arbeiter behalten können, der nicht arbeitsfähig ist, aber du brauchst dich nicht zu sorgen. Seine Lordschaft ist dir sehr dankbar, weshalb er zugestimmt hat dich noch einige Tage hier zu beherbergen bis deine Verletzung dich nicht mehr allzu sehr behindert."
Fassungslos starrte ich meinen großen Bruder an. Dann wollte er Cyril also wirklich zwar für seinen mutigen Einsatz entlohnen, ihm jedoch dann aufgrund seiner Verletzung kündigen. Irgendwie bezweifelte ich stark, dass er dieses Vorgehen tatsächlich mit Vater abgesprochen hatte. Gleichzeitig wagte ich es aber auch nicht noch einmal etwas zu sagen, denn als Clemence' meinen Blick erwiderte lag eine deutliche Warnung in seinen Augen. 'Misch dich nicht ein' ,schien er mir wortlos zu befehlen.
"Du solltest Vater nicht länger warten lassen", schlug er mir nun wieder hörbar vor, woraufhin mir nichts anderes übrigblieb als mit einem "Ja, Bruder" zu antworten und langsam zur Tür zu gehen. Nur zu gerne hätte ich Cyril gesagt, dass ich fest entschlossen war Vater davon zu überzeugen, dass er bleiben durfte. Momentan konnte ich jedoch nicht mehr tun als ihm einen Blick zuzuwerfen, von dem ich glaubte, dass er zuversichtlich aussah. Blieb nur noch zu hoffen, dass mein Bruder Cyril in der Zwischenzeit nicht zu sehr drangsalierte mit seinem maskenhaften Lächeln und der angeborenen Autorität. Obwohl er sich vielleicht auch zu fein dafür war den Aufpasser zu spielen und stattdessen einem der Angestellten diese Aufgabe übertrug.
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Dollhouse
RomansaEngland zur Zeit der Industrialisierung. Eleanor scheint das perfekte Leben zu führen. Ihre Familie ist hoch angesehen, reich und besitzt jede Menge Land und Angestellte. Sie bekommt Privatunterricht, ihre Gesellschaft ist vorsortiert und ihre Zukun...