Minutenlang verharrte ich vor der Tür, regungslos und unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Wäre ich bei klarem Verstand gewesen so hätte ich es sicher lächerlich gefunden, dass ein paar im Fieber gemurmelte Worte und ein Kuss mich so sehr einschüchtern konnten. Da ich mich jedoch noch immer fühlte als würde ich schlafwandeln, ließ mich allein der Gedanke an das Wort "Kuss" erneut erröten, und so blieb ich mit meiner Verwirrung allein. Wollte ich die Tür öffnen und nachsehen, ob Cyril noch immer in der Bibliothek war? Oder sollte ich nicht besser auf mein Zimmer gehen und die Ereignisse des Tages so gut wie möglich verdrängen? Die standesgemäß "richtige" Antwort darauf zu finden war nicht schwer, und doch konnte ich mich nicht dazu durchringen von der Tür abzulassen. Ebensowenig konnte ich sie jedoch öffnen, denn was, wenn Cyril sich tatsächlich noch in dem Raum aufhielt? Ich brauchte eine Erklärung für sein Verhalten und hatte doch Angst davor, was ich zu hören bekommen könnte. Ich wollte es wissen, jedoch gleichzeitig wollte ich es nicht.
Gefangen im Chaos meiner Gedanken wäre ich vermutlich nie zu einer Entscheidung gelangt, wenn nicht in diesem Moment mit einem Mal die Tür aufgeschwungen wäre. Bis ich jedoch realisiert hatte was dies bedeutete - dass nämlich Cyril sehr wohl noch anwesend war, auch wenn er nicht selbst die Tür geöffnet hatte - war es bereits zu spät um doch noch die Flucht zu ergreifen.
"Hallo Admiral", murmelte ich unsicher und hätte am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht, was der Mischling jedoch verhinderte indem er begeistert um mich herumsprang. Ein Hund als Türsteher - in jeder anderen Situation eine amüsante Vorstellung, jetzt jedoch eher ein Umstand, der in mir das lebhafte Bedürfnis weckte einige sehr undamenhafte Flüche auszustoßen. Es wäre so leicht gewesen - wieso hatte ich nicht ein einziges Mal tun können, was ich tun sollte? Wieso hatte ich nur unbedingt vor der Tür stehen bleiben müssen, wieso mir nicht denken können, dass Cyril noch immer hier war?
Schweigend ließ ich mich weiter in den Raum hineinschieben, mein Blick starr auf den jungen Mann vor mir gerichtet. Aus irgendeinem Grund wirkte er mehr als überrascht, mich zu sehen. Ich öffnete schon den Mund um etwas zu sagen, brachte jedoch keinen Ton heraus als ich Cyril's Grinsen bemerkte und schloss ihn stumm wieder. Ich musste aussehen wie ein stupider Goldfisch.
"Ich glaube nicht, dass ich weiß wovon du redest. Was für Qualitäten? I-Ich bin nur hier, um-.."
Sein Blick irritierte mich so sehr, dass ich kaum weitersprechen konnte. Er grinste noch immer, fast so als wüsste er nicht am besten, was ich von ihm wollte. Oder als wüsste er es ganz genau, glaubte jedoch, mit meiner Unsicherheit zu spielen wäre eine Art Scherz.Ein Gefühl, als hätte ich einen Beutel Eiswürfel verschluckt breitete sich langsam in mir aus und wurde mit jedem weiteren Wort Cyril's stärker.
War es denn so? Fand er das ganze etwa wirklich lustig? Scheinbar, denn hätte er sich erklären wollen, hätte er doch sicher längst etwas gesagt. Stattdessen saß er hier, tat, als wäre nichts und flirtete schamlos. Anders konnte ich sein Verhalten einfach nicht deuten, und ich Idiotin ließ mich auch noch davon durcheinanderbringen. Wobei er zu allem Überfluss auch noch zu glauben schien ich sei an ihm interessiert, was eigentlich noch nicht einmal so falsch war, aber diese Tatsache machte sein Benehmen auch nicht besser. Ganz im Gegenteil; sie machte mich eher noch wütender, weil es eindrucksvoll zeigte dass Cyril tatsächlich Dinge über mich wusste. Dinge, die zu wissen er definitiv kein Recht hatte!"Eine Person, die mich nicht verurteilt. Wie überaus großzügig von dir." ,begann ich beherrscht, obwohl ich meine Gefühle kaum unterdrücken konnte und vermutlich auch kläglich daran scheiterte. "Wofür würdest du mich denn verurteilen, wenn du könntest? Unzüchtiges Verhalten vielleicht? Schwerer Verstoß gegen die Etikette?"
Ich fixierte ihn mit einem eisigen Blick. Spätestens jetzt sollte eindeutig sein, dass ich nicht zu Scherzen aufgelegt war. "Du magst vielleicht ein wenig aufmerksamer sein als die meisten, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, so mit mir zu spielen! Du hast keine Ahnung wer ich wirklich bin, auch wenn du es anscheinend glaubst."Verdammt, die meiste Zeit über wusste ich es ja noch nicht einmal selbst!
"Du weißt überhaupt nichts. Höchstens vielleicht, dass es unglaublich freundlich von mir ist dir überhaupt eine Chance zu geben, dich zu erklären! Ich dachte wirklich, du wärst aufrichtig. Ich dachte, ich könnte dich mögen - habe ich mich geirrt oder höre ich nun endlich mal ein vernünftiges Wort von dir?"
Ich hatte mich so sehr in Rage geredet, dass ich erst jetzt Cyril's Gesichtsausdruck bemerkte. Zu meiner Überraschung konnte ich diesen jedoch nicht so ganz deuten; war es Verwirrung? Schock? Oder doch etwas völlig anderes? Schuldbewusstsein jedenfalls sah in meinen Augen anders aus.
"Wage es ja nicht, Cyril. Schau mich nicht an, als hättest du vergessen warum ich hier bin! Ich verlange eine gottverdammte Erklärung für den -"
Ich brach mit weit aufgerissenen Augen ab, als hätte ich einen Schlag ins Gesicht erhalten, während Cyril's Ausdruck scheinbar noch immer derselbe war wie zuvor. Vergessen! Wie ein immer lauter werdendes Echo hallte das Wort durch meine Gedanken."Oh." War alles, was ich im ersten Moment herausbrachte. Meine Stimme klang flach; unsicher beinahe, alle Wut mit einem Mal verflogen.
"... Cyril? Bevor du das Bewusstsein verloren hast, an wie viel von unserem Gespräch kannst du dich erinnern?"Das.. war einfach nicht möglich. Oder etwa doch?

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Dollhouse
RomanceEngland zur Zeit der Industrialisierung. Eleanor scheint das perfekte Leben zu führen. Ihre Familie ist hoch angesehen, reich und besitzt jede Menge Land und Angestellte. Sie bekommt Privatunterricht, ihre Gesellschaft ist vorsortiert und ihre Zukun...