Ich fühlte mich der Aufgabe nicht gewachsen, aber ich wusste, dass ich kämpfen musste. Mir wurde nur diese eine Chance gegeben und wenn ich in zwei Tagen nicht wieder fit genug war um zu arbeiten, würde man mich entlassen. Da spielte die geringe Belohnung, die ich vielleicht bekommen würde, auch keine Rolle mehr. Ich würde nicht mehr so schnell eine Möglichkeit wie diese hier bekommen. Und die Zustände auf der Straße beziehungsweise im Waisenhaus wurden immer schlimmer. Wenn ich den anderen mein Schicksal als Dieb ersparen wollte, musste dieser Coup gelingen und das funktionierte nur, wenn ich hierblieb und mich weiter hocharbeitete. Ich würde in zwei Tagen definitiv noch nicht wieder fit genug sein, aber irgendwie würde ich es schon hinbekommen, vor allem da die Arbeit als Hausdiener hoffentlich weniger anstrengend und mit weniger körperlicher Arbeit verbunden war als die Arbeit als Stallbursche. Und ohnehin war ich eine Kämpfernatur, die sich nicht so schnell geschlagen gab. Ich würde es allen schon noch beweisen. Dieser Job und zu früh wieder damit anzufangen, war das Risiko wert. Vermutlich würde ich meinen Lohn niemals ausgezahlt bekommen, aber das spielte keine Rolle, solange ich genug wertvolle Dinge mitgehen lassen konnte, die sich leicht und teuer veräußern ließen.
"Schon in Ordnung, nicht der Rede wert." Eleanors Stimme klang bei diesen Worten schon fast mechanisch, auch wenn ich ihre Worte etwas verschwommen und verzerrt wahrnahm. Ob sie wohl gerade in Gedanken festhing? Bereute sie es mir geholfen zu haben? Warum hatte sie es überhaupt getan? Vielleicht nur, weil sie sich schuldig gefühlt hatte. Ich konnte mir eigentlich keinen anderen Grund vorstellen, warum jemand ihres Standes sich sonst so sehr für jemanden wie mich einsetzen sollte, so anders Lady Eleanor auch auf mich wirkte- sie gehörte immer noch dem Adel an. Die Reichen dieser Welt kümmerten sich nur um ihr eigenes Wohlergehen und dazu war ihnen jedes Mittel und jede Kosten recht, auch wenn der Rest der Bevölkerung dann darunter litt- so war es schon immer gewesen und vermutlich würde das auch noch viele Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte der Fall sein. Jemand aus dem einfachen Volk war austauschbar und ersetzbar. Wenn ich nicht zum Hausdiener befördert worden wäre, statt gefeuert zu werden, dann wäre vermutlich innerhalb eines Tages der Posten neu besetzt worden. Und auch jetzt musste er wohl neu besetzt werden- immerhin fehlte Matts Vater nun ein Stallbursche. Matt, ob er wohl wusste, dass mit mir den Umständen entsprechend alles in Ordnung war? Ich hatte ihn, seit ich ihm das Pferd abgenommen hatte, nicht mehr gesehen, aber vermutlich hatte er wie Eleanor alles mitbekommen. Ich zweifelte sehr daran, dass er einfach im Stall geblieben war, nachdem Adrians Pferd durchgegangen war und ich hinterherritt. Allein der Neugierde wegen.
Es ging mir von Sekunde zu Sekunde schlechter, aber dennoch brachte ich ein schwaches Grinsen zustande, als Lady Eleanor so verwirrt von meiner Aussage zu sein schien und einfach nur zu stammeln anfing. Das war dieser Ausrutscher allemal wert gewesen. Ob sie wohl irgendwann begreifen würde, was ich mit meinen Worten gemeint hatte? Vermutlich war es besser für mich, wenn nicht. Ein Stallbursche/Hausdiener, welcher mit einer Adeligen flirtete, so etwas ging nicht, beziehungsweise gab es nicht. Natürlich konnten die Adeligen jederzeit, wenn sie sich mehr für einen von uns interessierten, denjenigen für gewissen Zwecke verwenden. Wer nein sagte wurde sofort entlassen und es würde schwer werden einen ebenso bezahlten Job erneut zu finden. Wir wurden schlecht bezahlt, aber im Gegensatz zu den meisten Jobs immer noch gut. Darüber hatte ich schon so einige Geschichten gehört- insbesondere was Hausdiener anging, wegen des guten Aussehens dieser, lebte man „gefährlich". Aber es spielte keine Rolle für mich, ich hatte ohnehin vor bald noch weiter aufzusteigen. Hausdiener war nicht schlecht, aber öffnete mir noch nicht genug Türen.
Eleanors Worte wiederholten sich wieder und wieder in meinem Kopf, ehe ich verstanden hatte, was sie sagte. Immer noch drehte sich alles in meinem Kopf und ich zuckte leicht zusammen, als mich die Lady zuerst an der Schulter und an der Wange berührte. War sie etwa besorgt? Admiral stieß ein leises Knurren aus- ihm gefiel es nicht, dass Eleanor mich berührte und er spürte, dass es mir nicht gut ging. Ich machte eine leichte, schwache Bewegung mit der Hand, woraufhin sich der Hund augenblicklich wieder beruhigte und uns wachsam weiterhin beobachtete. Immer wieder fielen mir die Augen zu, während ich versuchte Eleanor anzublicken. „Ich brauche diesen Job...", murmelte ich. „Ich konnte nichts sagen... und ich werde auch in zwei Tagen fit genug sein... es wird schon gehen- ich kämpfe dafür..." meine Stimme klang erneut verwaschen und es viel mir immer schwerer mich zu konzentrieren. Eleanors Finger brannten fast schon heiß auf meinen Wangen, während meine Augen wieder und wieder zufielen und ich kaum noch die Kraft hatte bei Bewusstsein zu bleiben. Eleanors Stimme drang nur noch dumpf zu mir durch. Sie wollte, dass ich bei Bewusstsein blieb? Beinahe hätte ich über den Komischheitsfaktor dieser Aussage gelacht. Ich wollte doch auch bei Bewusstsein bleiben. Bei Eleanors nächsten Worten schlich sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen. „Mit Befehlen.... kommst du bei mir nicht weit...", murmelte ich und das Lächeln wurde noch etwas breiter, während ich in Eleanors grau-blaue Augen blickte und versuchte mich durch diese auf etwas zu fokussieren, sodass ich nicht in die Ohnmacht überglitte. „Du bist viel hübscher, wenn du entspannt bist und nicht vorgibst jemand zu sein, der du nicht bist. Dein Äußeres, das bist nicht du..." Mir fiel gar nicht mehr auf, dass ich in die persönliche Ansprache gerutscht war, dessen Umgangston sich nun wirklich nicht gehörte. „Du bist viel mehr als das..." Ich beugte mich leicht vor. Schwindel stieg in meinem Kopf auf und von meiner Wunde ging erneut ein stechender Schmerz aus. Meine Gedanken wirbelten durcheinander, ohne dass ich dabei einen klaren Gedanken fassen konnte. „Du bist die atemberaubendste und interessanteste Frau, der ich je begegnet bin..." Ich wusste nicht, was in mich fuhr und vermutlich gab es in diesem Moment auch keine Erklärung dafür- ich war einfach nicht mehr bei klarem Bewusstsein. Fieber hüllte meine Gedanken ein und ich war einfach nicht mehr ich. Nicht mehr vernünftig. Vermutlich konnte ich von Glück sprechen, dass ich nicht den wahren Grund meines Aufenthaltes verraten hatte. Ich beugte mich vor und hauchte einen sanften Kuss auf Eleanors Lippen. Sie waren so unglaublich weich. Und zart. Alles wankte, als ich mich wieder von Eleanor löste. Dann wurde von einer Sekunde auf die nächste alles schwarz.
Stunden vergingen, ehe ich wieder mein Bewusstsein fand. Mein Kopf schmerzte höllisch und als ich versuchte meine Augen zu öffnen, blendete das Tageslicht so sehr, dass ich meine Augen rasch wieder schloss. Ein leises Stöhnen entwich meinen Lippen, während ich versuchte mich zu erinnern, was passiert war. Ich hatte Adrian und Eleanor gerettet, aber was war dann passiert? Nach und nach begann sich wieder das meiste zusammenzusetzen. Ich erinnerte mich daran, dass Eleanor bei mir gewesen war als ich aufwachte und dann Clemence gab. Dass ich in zwei Tagen Hausdiener sein würde. Clemence war aus dem Zimmer gestürmt und dann... Schwärze. Ich erinnerte mich an nichts mehr, was danach passiert war. War ich direkt danach in Ohnmacht gefallen? Oder war etwas passiert?
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Dollhouse
RomanceEngland zur Zeit der Industrialisierung. Eleanor scheint das perfekte Leben zu führen. Ihre Familie ist hoch angesehen, reich und besitzt jede Menge Land und Angestellte. Sie bekommt Privatunterricht, ihre Gesellschaft ist vorsortiert und ihre Zukun...