"Du bist endlich wieder wach!", erklang eine erleichterte Stimme und ich drehte mich in Richtung des Geräuschs, auch wenn ich die Stimme längst erkannt hatte. Matt saß auf einem Stuhl neben dem Sofa, auf welchem ich immer noch lag. Sorgenfalten durchzogen seine Stirn und statt dem üblichen Grinsen, welches normalerweise auf seinen Lippen lag, wirkte er nun ernst und besorgt zugleich. Er näherte sich mir, woraufhin Admiral, welcher neben dem Sofa lag, mich mit schiefgelegtem Kopf anblickte und abwartete, was ich ihm für einen Befehl gab. Hätte sich Matt mir genähert, wenn ich noch geschlafen hätte, hätte der Hund mich mit seinem Leben verteidigt. Ich gab Admiral einen kurzen Wink mit meiner Hand, woraufhin er sich beruhigt wieder hinlegte, mich aber immer noch aufmerksam beobachtete, ebenso wie jede Bewegung des anderen Jungens. Matt legte seine Hand kurz auf meine Stirn. "Du scheinst wirklich Glück zu haben- das Fieber lässt bereits wieder etwas nach!", stellte er fest und lächelte mich an, was aber nur ein Abklatsch seines normalen Lächelns war. "Bestimmt kommst du bald wieder auf die Beine!", meinte er aufmunternd.
"Das will ich hoffen... wenn nicht habe ich ein ziemliches Problem...", meinte ich seufzend. Matt zog eine Augenbraue hoch. "Hatte es etwas damit zu tun, dass Lady Eleanor so lange in diesem Zimmer war?", fragte er nach. "Als ich zu dir wollte, teilte man mir mit, dass ich nicht könne, weil sich diese gerade in dem Raum aufhalten würde und später kam sie tatäschlich herausgelaufen, allerdings wirkte sie irgendwie... nun... als wäre irgendetwas vorgefallen", erklärte Matt. Ich seufzte erneut und nickte dann leicht, was erneut einen stechenden Schmerz durch meinen Kopf schickte. "Indirekt wohl. Darf ich mich dir vorstellen? Vor dir steht oder genauer gesagt liegt Cyril Llyod, der neue Hausdiener der Familie Leighton." Ein schiefes Grinsen lag auf meinen Lippen, während Matt mich fassungslos anstarrte und wohl versuchte diese Neuigkeit zu verarbeiten. Von einem Stallburschen zu einem Hausdiener war ein riesiger Sprung.
Schließlich schlich sich das bekannte Grinsen auf Matts Lippen, nachdem er einen kleinen Pfiff ausgestoßen hatte. "Das erklärt zwar immer noch nicht warum Lady Eleanor so seltsam drauf war, aber herzlichen Glückwunsch zu dieser Beförderung." Ihm schien etwas aufzufallen und er legte den Kopf leicht schief. "Sag Mal, wann sollst du diesen neuen Posten eigentlich anfangen?", erkundigte Matt sich und mir entwich ein leises Seufzen. "In 3 Tagen...", gestand ich etwas kleinlaut, weil ich genau wusste wie schwer das werden würde und ich mich vor Matt nicht zu verstellen brauchte. Der Junge starrte mich einige Sekunden nur fassungslos an, ehe er den Kopf schüttelte.
"Und so wie ich dich kenne hast du dem ohne weiteres zugestimmt, nicht wahr?"
"Es war sogar mein Vorschlag...", murmelte ich, woraufhin ich einen weiteren fassungslosen Blick kassierte.
"Du bist wirklich verrückt..."
"Das musst du mir nicht sagen... das weiß ich schon lange, denn es haben mir schon genug Leute mitgeteilt." Ich grinste erneut schief.
Dein Äußeres, das bist nicht du.
Der Satz tauchte in meinem Kopf auf ohne jeglichen Zusammenhang und schwebte einige Sekunden vor meinem inneren Auge umher. Diese Worte hatten große Bedeutung, aber zu wem hatte ich das gesagt? Und aus welchem Grund? Matt konnte es nicht gewesen sein, er war im Inneren genau die gleiche Person, wie er sich auch nach außen hin gab- ich war selten einer offeneren Person wie ihm begegnet. Ich schob den Gedanken rasch wieder beiseite und versuchte mich auf Matt zu konzentrieren und das, was er mir gerade mitteilen wollte. Ankamen taten die Sätze in meinem Kopf allerdings eher weniger.
"Du hörst mir gar nicht zu, oder?", seufzte Matt irgendwann, als er das wohl auch bemerkte und ich schüttelte leicht den Kopf. "Es tut mir leid, ich..." "Schon in Ordnung...", unterbrach mein Freund mich. "Du hattest einen anstrengenden Tag und es geht dir nicht gut- du brauchst wohl einfach etwas Ruhe!" Er wandte sich ab und ging zu einem Tisch hinüber, wo ein Teller abgestellt war, welchen er mir dann reichte. "Hier, Haferbrei mit Apfel von meiner Mutter. Sie richtet dir gute Besserung aus!" Ich richtete mich mühsam auf und lehnte mich erschöpft an, ehe ich nach dem Teller griff. "Danke, du bist der Beste, ebenso wie deine Mutter." "Ich muss zurück an die Arbeit, aber ich komme später nochmal vorbei und schaue wie es dir geht, vielleicht kannst du dann ja sogar schon wieder zurück auf dein Zimmer, du kannst immerhin nicht ewig hier liegen!" Matt lachte und ich fiel in sein Lachen mit ein. "Also, man sieht sich." Mit diesen Worten verschwand Matt aus dem Zimmer und ließ mich alleine. Ich tunkte den Löffel in den bereits erkalteten Haferbrei und schob ihn mit in den Mund. Es war absolut köstlich. Was waren das für Gewürze? So etwas hatte ich noch nie in meinem Leben geschmeckt, einfach aus dem Grund, dass Gewürze in meinem Leben eher eine niedrig gestellte Rolle gespielt hatten. Es gab Wichtigeres.
Während ich selbst aß, warf ich einen Blick aus dem Fenster. Dem Stand der Sonne nach musste es später Nachmittag sein. Was Eleanor wohl gerade machte? Ich erinnerte mich zum Teil nur vage an unser Gespräch, aber ich wusste, dass es angenehm gewesen war mich mit ihr zu unterhalten und ich vermisste es irgendwie, auch wenn ich mich für diesen Gedanken innerlich augenblicklich schalt. Ich durfte meine Mission nicht durch so was in Gefahr bringen. Sollte es von Lady Eleanor ausgehen, so war es als Hausdiener meine Pflicht ihrem Wunsch nachzugehen, aber alles andere kam nicht infrage. Ich war nur ein einfacher Angestellter. Und eigentlich nicht einmal das, wenn man meine Herkunft betrachtete. Eleanor mochte attraktiv sein, wie sonst keine, die ich bisher getroffen habe und ihre Intelligenz sowie ihr verstecktes Inneres mochten durchaus ihren Reiz haben, aber das spielte keine Rolle. Es gab kein Wir und würde es auch niemals geben.
Ich ließ Admiral die Reste meines Haferbreis essen, weil ich nicht wusste, wann der Hund zuletzt gefressen hatte und dieser verschlang diese gierig. Anschließend fiel ich in einen leichten Dämmerschlaf. Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, dämmerte es bereits. Admiral lag friedlich neben mir und döste ebenfalls. Dankbar für seine Nähe und Wärme strich ich ihm durch das weiche Fell und mein treuer Gefährte und Freund gab ein zufriedenes Geräusch von sich. Wir lagen noch einige Minuten so friedlich da und ich versuchte die Schmerzen, welche immer noch in meinem Kopf innewohnten beiseite zu schieben. Meine Gedanken mochten nicht so klar wie sonst sein, aber immerhin schienen sie langsam auf dem Weg zu ihrer ursprünglichen Schärfe zu sein.
Admiral spitzte mit einem Mal die Ohren und richtete sich auf. Seine volle Aufmerksamkeit war auf die Tür gerichtet, als hätte er jemanden vor dieser wahrgenommen. Ich gab ihm ein Zeichen sich zu beruhigen, aber minutenlang tat sich nichts. Mit zwei weiteren Handbewegungen befahl ich Admiral zur Tür zu laufen und diese zu öffnen, damit ich herausfinden konnte, wer vor dieser stand, weil ich selbst dazu ja wohl kaum in der Lage war. Während der Hund eifrig zur Tür lief, kämpfte ich mich auf und lehnte mich erschöpft an die hintere Lehne des Sofas an, ehe ich meinen Blick auf die Tür richtete. Admiral sprang geschickt hoch und öffnete die Klinke, sodass die Tür aufschwang. Wer davor stand... nun ja... ich hatte zum Einen mit ihr gerechnet und zum Anderen nun wieder überhaupt nicht. Eleanor. Beziehungsweise genauergesagt: Lady Eleanor.
"Lady Eleanor, was verschafft mir die Ehre?", fragte ich nach, wobei die Überraschung meiner Stimme deutlich anzuhören war. Admiral lief schwanzwedelnd um die junge Adelige herum und sprang immer wieder spielerisch an ihr hoch. Verdammter Hund, er schien sie wohl irgendwie auch schon ins Herz geschlossen zu haben. Admiral drängte Eleanor schließlich leicht ins Zimmer und auf einen unauffälligen Handbefehl von mir schloss er die Tür hinter ihr wieder. "Haben Sie mich bereits so sehr vermisst?", scherzte ich, wobei ich mir um ehrlich zu sein unsicher war, ob ich mit meiner Art mit ihr zu reden nicht zu weit ging. Ich beschloss darauf zu vertrauen, dass ich sie richtig einschätzte und einfach noch etwas weiterzugehen. "Oder wollen Sie sich vergewissern, dass ich auch tatsächlich die geeigneten Qualitäten als Hausdiener habe?" Ein freches Grinsen tanzte um meine Lippen.
Ich ließ meinen Blick über die ausschweifenden Bücherregale wandern. Bei meinen folgenden Worten ließ ich einen leicht enttäuschten Unterklang in meinen Worten mitschwingen: "Oder irre ich mich komplett und Ihr seid nur hier um eines der zahlreichen auserlesenen Werke zu studieren?" Um ehrlich zu sein hatte ich diesen enttäuschten Unterton nicht einmal spielen müssen, wobei mich diese Erkenntnis durchaus erschreckte. Die wenigen Gespräche, welche ich bisher mit Lady Eleanor geführt hatte... ich hatte sie stets gemocht. "Vielleicht sind Sie ja aber auch einfach nur hier um ein interessantes Gespräch mit einer Person zu führen, die sie nicht verurteilt und welche Sie nicht ganz verstehen können- welche ein Rätsel für sie ist, weil diese Person Dinge sieht und bemerkt, welche anderen verborgen bleiben- sowohl über die Welt, als auch über Sie, Lady Eleanor..." Es war ein Schuss ins Blaue, wirklich wissen konnte ich nichts und letztlich waren alles nur Vermutungen gewesen. Antworten darauf konnte ich nur von ihr selbst bekommen.
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Dollhouse
RomansaEngland zur Zeit der Industrialisierung. Eleanor scheint das perfekte Leben zu führen. Ihre Familie ist hoch angesehen, reich und besitzt jede Menge Land und Angestellte. Sie bekommt Privatunterricht, ihre Gesellschaft ist vorsortiert und ihre Zukun...