32_Eleanor Joan Leighton

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Unruhige Tage, schlaflose Nächte - die Zeit verging wie im Flug, wenn auch wenig angenehm. Zuerst war es nur ein Tag, dann drei, und schließlich eine ganze Woche. Morgens erwachte ich erschöpfter als ich mich abends hingelegt hatte, und auch der tägliche gewohnte Ablauf brachte keine Entspannung. Sosehr ich mich auch bemühte es nicht zu tun sah ich mich doch unablässig nach Cyril um, sowohl in der Hoffnung ihn irgendwo zu finden, als auch betend, dass dem bloß nicht der Fall sein möge. Mein einziges Glück war, dass der Großteil meiner Familie scheinbar zu beschäftigt mit sich selbst und den Vorbereitungen für irgendein wichtiges Abendessen war, als dass jemand mein Verhalten bemerkt hätte. Einzig Clemence warf mir erst ärgerliche, dann zunehmend verwirrte Blicke zu, je öfter er mich dabei erwischte wie ich mich nach den Dienern um- und dann schnell wieder wegsah sobald einer davon Cyril auch nur im Entferntesten ähnelte.

Etwa zwei Wochen nach jenem Abend in der Bibliothek lief ich früh am Morgen zu den Ställen hinunter, wo mich Clemence zu einem gemeinsamen Ausritt erwartete. Zwar freute ich mich einerseits darauf, andererseits wusste ich aber auch wie ungewöhnlich eine solche Einladung für meinen Bruder war; insbesondere so kurz nach Adrian's Missgeschick. Vermutlich wollte er mich zur Rede stellen oder sonst irgendeine "großer Bruder"-Nummer abziehen. Clemence saß bereits auf einem großen, schönen Hengst mit fuchsrotem Fell als ich bei den Ställen ankam. Er sagte nichts, sondern nickte nur und bedeutete mir dann ihm zu folgen, nachdem ich mir die Zügel meines Apfelschimmels hatte reichen lassen. Nebeneinander reitend verließen wir das Anwesen, noch immer schweigend.

Zwei Wochen. So lange war es jetzt her, dass ich Cyril zum letzten Mal gesehen hatte. Im Stall hatte ich ihn nirgendwo entdecken können, darauf hatte ich geachtet - aber natürlich nicht, wie auch? Er war schließlich jetzt Hausdiener. Sollte er jedenfalls sein, obwohl ich ihn im Haus bisher auch nicht gesehen hatte. Neben der Frage ob es ihm besser ging, beanspruchte aber auch noch eine ganz andere, weitaus egoistischere Sorge seit zwei Wochen meine Aufmerksamkeit: Ich hatte Cyril nie wirklich eine Antwort gegeben, nicht wahr? Zwar hatte er mir angeboten eine Art Vertrauensperson für mich zu sein, aber was, wenn er es sich mittlerweile anders überlegt hatte? Dafür könnte ich ihm kaum einen Vorwurf machen. Oder vielleicht waren seine Worte auch ganz einfach nur eine Folge der Kopfverletzung? Die anhaltende Unsicherheit in dieser Sache trieb mich schier in den Wahnsinn. Ich wünschte, ich könnte einfach mit Cyril darüber reden und hatte doch gleichzeitig Angst davor ihm noch einmal allein zu begegnen. Wenn er eines bisher bewiesen hatte, dann dass ich in seiner Gegenwart viel zu wenig auf der Hut war.

"Eleanor, warte kurz." Die Stimme meines Bruders riss mich aus meinen Gedanken. Mittlerweile waren wir ein gutes Stück entfernt von jeglichen Ausläufern des Anwesens, sowie von potenziell neugierigen Augen und Ohren. Wir ließen die Pferde anhalten. "Dann ist es dir hier also abgeschieden genug um mir zu sagen, was auch immer du sagen willst? Na los, raus damit." "Wieso? Brauche ich etwa einen Grund um mit meiner Schwester auszureiten?" Er sah fast beleidigt aus als er das sagte, obwohl der Ausdruck innerhalb von Sekunden wieder von seinem Gesicht verschwand. Überrascht sah ich ihn mir noch einmal genauer an, nur um festzustellen, dass er mir auf den zweiten Blick fast ebenso müde vorkam wie ich mich fühlte. Er verbarg es nur besser.

Früher wäre mir so etwas vielleicht eher aufgefallen. Früher hätte ich mich aber auch nicht fragen müssen, was seine Hintergedanken bei diesem Ausflug waren. Clemence und ich hatten einander einmal sehr nahe gestanden, aber Mutters Tod und Vaters zweite Ehe hatten das verändert. Dazu kam noch, dass er als Erbe, viel mehr noch als ich, stets darauf achten musste den Anschein zu wahren.

Ich senkte den Kopf. "Bitte entschuldige. Du brauchst natürlich keinen Grund. Ich dachte nur-" "Wie schön. Tatsächlich habe ich aber einen. Mir ist aufgefallen, dass du in letzter Zeit herumschleichst als wäre ein Geist hinter dir her. Ich wüsste gern wieso bevor dein Verhalten zu Problemen führt, damit ich entscheiden kann ob ich dir damit helfen will oder nicht. Also?" "Oh, das. Das ist nichts." Er schnaubte verächtlich. "Na klar. Tolle Ausrede. Vielleicht ist es dir noch nicht aufgefallen, aber ich sehe, wenn du nicht bei der Sache bist. Was im Moment alarmierend oft der Fall ist, wenn ich so darüber nachdenke. Du führst dich mehr auf wie eine Schlafwandlerin statt wie eine Dame von Rang - weißt du, an wen mich das erinnert?"

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