34_Eleanor Joan Leighton

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Einige Minuten lang stand ich einfach nur mit dem Rücken an die Säule gelehnt da und wartete darauf, dass meine Gedanken zur Ruhe kamen. Meine Augen hielt ich dabei geschlossen; halbherzig hoffend, das alles würde sich als böser Traum herausstellen sobald ich sie wieder öffnete. Oh Clemence, schlimmster aller Brüder! Er hatte davon gewusst, nicht wahr? Vermutlich schon von Anfang an. Er hätte mich warnen können, mir die Möglichkeit geben können mich darauf vorzubereiten, und doch war kein einziges Wort über seine Lippen gekommen. Wieso nicht? Etwa weil er glaubte, ich hätte versucht die bevorstehenden Verhandlungen zu sabotieren?

"Verdammter Idiot." ,murmelte ich kaum hörbar. Gerade er sollte es doch besser wissen. Dass er mir etwas so wichtiges vorenthalten hatte, nur um seine eigenen Pläne zu schützen fühlte sich an wie Verrat. Am Ende sollte ich dann wohl auch noch dankbar dafür sein, dass Maxwell in meinem Alter und scheinbar auch kein allzu schlechter Kerl war. Ganz davon abgesehen, dass er gesellschaftlich über mir stand. Ob er wohl genauso wie ich von all dem nichts gewusst hatte?

"Nicht gerade das beste Versteck, um alleine zu sein."

Mit einem erstickten Schrei zuckte ich von der Säule weg, als hinter mir plötzlich jemand zu sprechen begann. "Cyril! Wie hast du-? Wie es mir geht?! Verdammt, du hast mich fast zu Tode erschreckt, so geht es mir!"

Wie konnte er sich nur so anschleichen? Schon zum zweiten Mal heute, wenn man seinen unerwarteten Auftritt beim Dinner mit einberechnete. Drei Wochen lang hatte ich ihn nirgendwo entdecken können, und nun tauchte er gerade heute scheinbar aus dem Nichts überall auf. Unfassbar. Dennoch konnte ich nicht leugnen dass ich mich darüber freute ihn zu sehen, und dass mein Herz nicht nur deshalb schneller schlug weil er mich erschreckt hatte. Jetzt da ich die Gelegenheit hatte ihn mir noch einmal genauer anzusehen, fiel mir erneut auf wie hervorragend ihm die elegante Kleidung unseres Hauspersonals stand. Beinahe wäre mir ein 'so etwas solltest du öfter tragen' herausgerutscht, aber ich hielt mich gerade noch rechtzeitig zurück.

"Was soll das heißen, du hast sie beschäftigt?" ,fragte ich stattdessen, sichtlich verwirrt. "Ich hatte nicht vor die Hoffnung.. - Moment, worauf eigentlich? Ich verstehe nicht ganz...? Wohin denn verschwinden?"
Ob es nun am Alkohol lag, der erst jetzt langsam seine volle Wirkung entfaltete, oder an der Fülle an Informationen die da auf einmal auf mich einströmte - für einen Moment brachten mich Cyrils Worte vollkommen durcheinander. Weglaufen? Die Hochzeit verhindern? Das konnte ich wohl kaum tun, oder? Es gab zwar durchaus Geschichten von Mädchen, die mit Männern aus dem einfachen Volk oder gar ihren Dienern durchgebrannt waren, aber soweit ich mich erinnern konnte nahmen diese Geschichten für gewöhnlich alles andere als ein glückliches Ende. Überhaupt, wie kam Cyril auf so etwas? Vollkommen perplex starrte ich seine ausgestreckte Hand an, bis mir nach einigen Sekunden endlich klarwurde, dass er auf etwas ganz anderes hinauswollte als tatsächlich wegzulaufen.

"Düstere Geheimnisse also..." Ich musste fast lachen als er das sagte. "Behauptet der, der gerade seine Pflichten vernachlässigt und versucht mich in meinem eigenen Haus zu entführen. Ich schätze, wir alle haben auf die eine oder andere Art unsere Geheimnisse. Damit komme ich schon zurecht."

Zwar konnte ich mir kaum vorstellen was Maxwell verbergen sollte, aber im Grunde war es gar nicht so abwegig dass es auch in seiner Familie Dinge gab, die fremde Ohren besser nicht hören sollten. Apropos hören: Cyril wirbelte auf einmal herum und zog mich dann mit einer solchen Geschwindigkeit dichter an sich, dass mir fast keine Zeit blieb dagegen zu protestieren. Was gut so war, denn nur wenige Sekunden später bemerkte ich ebenfalls das leise Echo von Schritten irgendwo in der Umgebung. Ob sie sich jedoch von uns entfernten oder näher kamen, vermochte ich nicht zu sagen. Mit angehaltenem Atem blickte ich zu Cyril auf, dessen amüsiertes Grinsen seinen ganz eigenen Beitrag zu meiner Nervosität leistete. Wie er in diesem Moment so entspannt sein konnte war mir ein Rätsel. Er hatte ganz Recht: Würde uns jemand so finden, dann wären wir beide sehr schnell in sehr großen Schwierigkeiten.

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