Ich habe schon ein paar Mal Berichte über Jugendliche gelesen, die wegen einer Überdosis eingeliefert wurden. Einige davon hatten leider das Unglück und verstarben nach x-Malen an diesen Fällen. Ich hatte schreckliche Angst, dass mein Bruder bereits beim ersten Mal kolabrieren würde, obwohl mir die Ärzte und alle anderen gesagt hatten, dass er ausser Gefahr wäre. Aber die Wahrheit ist, dass ich ihnen nicht glauben wollte, denn wie konnten sie sich dabei so sicher sein? Sie konnten es doch nicht zu 100% wissen, und auch wenn sie sich zu 99.9% sicher waren, würden mir mir die letzten 0.1% den letzten Atem rauben.
Mittlerweile lag ich schon wieder in meinem Bett, nachdem ich ins Krankenhaus gefahren war, um David zu sehen. Aber die Krankenschwestern meinten, es sei schon zu spät und ich sollte es morgen wieder versuchen. Ich hätte diese Frauen beinahe anschreien können, wie sie mir in ihrem netteten Tonfall zu sagen versuchten zu sagen, das alles halb so schlimm sei, denn es war eine schlimme Sache wegen einer Überdosis von Drogen in ein Krankenhaus zu gelangen!
Es klopfte an meiner Zimmertür, doch ich regte mich nicht, sondern starrte weiter auf die roten Kunstblumen in meinem Zimmer. Ich hoffte die Person an der Tür würde bald verschwinden und mich in Ruhe lassen.
Doch heute blieb mir auch nichts verschont. Die Tür öffnete sich vorsichtig und Noah trat ein. Auch wenn es dunkel in meinem Zimmer und draussen war, konnte ich ihn an seiner Silhouette erkennen.
Ich schnalzte mit der Zunge und drehte mich auf die andere Seite um, wo ich nur noch eine weisse, kahle Wand zu Sicht hatte.
Ich spürte seine Anwesenheit regelrecht in der Luft hängen, und da ich heute schon genug lange eine deprimierende Stimmung wegen ihm hatte, hatte ich gerade keine Lust auf ihn. Na ja, eigentlich wollte ich, dass er bei mir blieb, aber es war leichter für mich, mir das Gegenteil einzureden.
,,Verschwinde!", zischte ich leise und musste aber trotzdem feststellen, dass sich die Matraze neben mir senkte. Ich wurde nervöser, als die Matraze gesenkt blieb und er eine Hand über meine Haare fahren lies. Egal wie sehr ich seine kleine Berührung eben genoss, sollte er wissen, dass er mich nicht so behandeln sollte. Denn vielleicht hatte er immernoch Gefühle für Jordan, und ich war nur zu seinen Nebengunsten zu Nütze.
Ich setzte mich ruckartig hoch und funkelte ihn an. ,,Jetzt geh! Bitte!"
Dieses ganze Drama um alles nahm mich so sehr mit, dass mir bereits jetzt Tränen in die Augen stiessen. Ich liess mich auf den Rücken fallen, schloss meine Augen und atmete tief durch.
,,Hey...", fing er behutsam an, ,,Was hab ich getan?"
Für einen kurzen Moment meinte ich tatsächlich, Besorgnis in seiner Stimme zu hören, und genau dieser Moment verliess mich dazu, dass eine Träne meine Wange hinunter floss.
Ich drehte mich zurück zur kahlen Wand, sodass Noah mein Gesicht nicht sehen konnte. Leider Gottes Willen konnte ich mir ein Schniefen nicht verkneifen.
Die Matte senkte sich ein zweites Mal und ich merkte, dass er nun neben mir lag. Sein heisser Atem stiess in meinen Nacken und er schob meine Haare auf der Schulter zur Seite, um mich keine Sekunde später an dieser Stelle sanft zu küssen. Seine Hand streichelte meinen Arm.
,,Willst du, dass ich gehe?"
Ich packte zaghaft seine Hand und zog sie zu meinem Gesicht, wo ich deren Handrücken küsste, um ihm so meine Antwort zu schildern. Und er verstand.
Unglaublich, wie zärtlich wir miteinander umgehen konnten, wobei ich doch wusste, dass ich ihn am nächsten Morgen über meine Schwester nachfragen sollte, wobei mir seine Antwort höllische Angst zubereitet. So oder so würde ich nach diesem Ereignis meinen Bruder besuchen gehen, was mir seltsamerweise ein komisches Gefühl in meinem Magenbereich hinterliess.
Schlussendlich war ich trotzdem froh und glücklich darüber, dass er heute Nacht wieder bei mir sein würde.
Es hätte auch alles so gut ein Traum sein können, denn als ich am nächsten Morgen durch einen warmen Luftzug wach wurde, war die andere Bettseite leer. Ich war irgendwie enttäuscht, dass ich Noahs Arm nicht um mich spürte, aber die ungemachte Bettseite bewies mir, dass er tatsächlich hier war. Heute war Montag, also musste ich wieder zurück ins College. Mein Bruder musste wohl noch ein bisschen auf mich warten.
Mit einem Blick auf die Uhr erkannte ich, dass ich noch genügend Zeit hatte, bis der Unterricht für mich began.
Die Tür ging auf und Noah trat mit einem Tablett in mein Zimmer, wo er es auf mein Bett stellte und mich angrinste.
,,Frühstück! Die Waffeln hat Simon gemacht, also kann ich dir nicht versprechen, dass sie gut schmecken werden!" Ich biss in eines davon rein und verzog sofort mein Gesicht. Die Waffel in meinem Mund spuckte ich in eine Serviette und schmiss diese in den Mülleimer.
Lachend setzte er sich zu mir aufs Bett und sagte: ,,Schick." Ich schnaubte nur verärgert und grinste dabei, bevor ich zurück in meinen ernsten Gesichtsausdruck geriet, den ich nicht kontrollieren konnte. Ich konnte und wollte gerade wirklich nicht lachen, also weshalb sollte ich ihm was vormachen.
Ich räusperte mich kurz und fixierte einen Punkt auf der Waffel, während ich nervös meine Hände miteinander verknotete. ,,Ich war gestern bei Jordan...", fing ich an und schaute nach oben in sein Gesicht, um irgendeine Reaktion in Noahs Gesicht zu sehen. Er runzelte etwas die Stirn und hob seine Brauen. ,,Und? Was hat sie dir gesagt?" Vielleicht lag es an mir, aber seine Art hatte sich in dieser einen Sekunde komplett verändert. Was war nur los, dass er plötzlich so kalt drauf war?
Ich hielt seinen eisernen Blick Stand. ,,Sie hat mir von eurer Affäre erzählt, die wohl nicht sehr toll geendet hatte. Sie meinte, es wäre gar nicht so lange her seit ich hier bin." Ich musterte seine Reaktion, die daraus bestand, dass er eine kurze Weile auf einen fixierten Punkt starrte und dann mit gerunzelter Stirn, was Anzeichen an seiner Verwirrung zeigte, zu mir hoch. ,,Oh, äh...okay. Mehr nicht? Es wundert mich nicht, dass sie dir sowas erzählt hat. Sie redet ja gerne irgendwelche unsinnigen Sachen vor sich hin... ", sagte er wohl eher zu sich selbst. Nun war ich hier die Verwirrte im Raum. Ich verstand nicht, warum er das eben gesagt hatte. Bezeichnete er meine Schwester gerade indirekt als Lügnerin? ,,Also hat sie dir nicht erzählt, warum unsere Affäre geendet hat?" Warum hatte ich das Gefühl, dass er das Wort Affäre verächtlich aussprach? Es gab zu viele Fragen auf einmal.
Ich schluckte schwer und entschied mich dazu, die Wahrheit zu sagen. ,,Doch, hat sie." Er zog seine Braue hoch. ,,Sie meinte, dass nachdem sie noch mit einem anderen Typen was hatte, du dich betrogen gefühlt hast, weil du dich anscheinend in sie verliebt hast."
Er lachte plötzlich spöttisch auf. ,,Wow, wirklich. Unglaublich wie tief das Niveau deiner Schwester seit unserer Beziehung gesunken ist." Keine Sekunde später schaute er mich erschrocken an und fluchte leise vor sich hin, als hätte er etwas gesagt, was er nicht hätte sagen sollen. Ich wurde hellhörig und schaute ihn misstrauisch an. ,,Was für eine Beziehung bitteschön?"
Er schaute mir lange in die Augen, während seine Nasenflügel ein wenig zu flattern schienen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass sein Starren keine neue Welle von Nervosität einbrachte.
Doch plötzlich wendete er sich von mir ab und schüttelte unbewusst seinen Kopf. ,,Ach, vergiss es. Das soll dir Jordan erklären..." Mit diesen Worten verliess er mein Zimmer und lies mich vollkommen verdattert auf dem Bett zurück.
Auch als ich inmitten eines Vortrages über die heutige Politik sass, konnte ich mich kaum auf das Gesagte des Professors konzentrieren. Dauernd musste ich darüber nachdenken, wie ich das ganze Verhältnis zwischen Noah und Jordan einordnen sollte. Hatten die beiden nun eine Affäre gehabt oder nicht? War Noah tatsächlich mal in sie verliebt gewesen? Warum hätte mir Noah so viel Verwirrung in meinem Kopf geschaffen, wenn Jordans Worte wahr wären?
Bis ich endlich im Spital auf dem Parkplatz stand, liessen mir diese Gedanken keine Ruhe. Doch jetzt gab es anderes, worüber ich nachdenken sollte, und zwar meinen Bruder. Ich wusste nicht, wie ich mich gegenüber ihm verhalten sollte. Ich wusste es auch die letzten Wochen nicht.
Kaum versah ich mich, stand ich bereits vor seiner Tür und trat zögernd ein. Er lag in einem weissen Kittel auf dem Bett und Schläuche hingen an seinen Armen. Als ich die Tür zu schliesste, drehte er seinen Kopf vom Bildschirm weg und schaute mich glücklich an. ,,Skylynn!'', rief er freudig und ich lief zögernd auf sein Krankenhausbett zu. Es war immernoch seltsam. Doch sobald mich mein Bruder schon fast gewalttätig in seine Arme zog, schloss auch ich meine um ihn und war froh, hier zu sein.
,,Es tut mir so Leid...'', murmelte er an meiner Schulter. Mir lief eine kleine Träne über meine Wange, die ich an Davids Kittel schnell wegwischte, damit er es nicht sehen konnte. Ich wollte vor meinem Bruder nicht schwach wirken, obwohl ich es doch schon so oft gewesen war. ,,Ich wollte dich nicht schockieren...'', fuhr er fort, und das lies mich dazu veranlassen, mich von ihm zu lösen.
Obwohl ich wusste, dass meine Antwort in dieser Situation gerade etwas fies war, hatte er es mehr als verdient, also antwortete ich kühl: ,,Mach dir darüber keine Sorgen, David. Du hast mich seit dem Tag an schockiert, als du mich gegen die Küchenlehne gestossen hast und mein Kopf ununterbrochen geblutet hat. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis du hier gelandet bist.'' Er schaute mich verletzt und entschuldigend an.
,,Es wird aufhören! Ich verspreche es dir!'', meinte er hastig. ,,Es wird sowiso an der Zeit, dass ich was dagegen mache... Du glaubst gar nicht, wie sehr ich es bereue, es überhaupt nur ausprobiert zu haben.''
Ich musterte ihn kurz und stellte etwas schockierend fest, dass seine sonstliche schöne Bräune im Gesicht ziemlich nachgelassen hatte. ,,Und was hast du jetzt vor?''
,,Na was wohl? das, wozu alle Junkies nach einem ungeplanten Besuch im Krankenhaus gezwungen werden. Entzugsklinik. Die Ärzte meinten, in Alabama gäbe es eine, aber scheisse, das ist zu weit entfernt von allem hier! Ich kriege das nicht alleine hin!'' Er lachte trocken auf legte seine Hände in Fäusten geformt über seine Augen. ,,Ich werde das ganz einfach auch ohne eine Entzugsklinik hinkriegen... Ich habe Freunde, die mir helfen werden. Das klappt schon..." Es schien mir, als müsste er sich gerade selber von dieser Idee überzeugen.
Ich räusperte mich. ,,Vielleicht hast du Recht, aber willst du das Risiko wirklich eingehen? Dort wird man dir besser helfen können...'' Er schaute mich ungläubig an und schnaubte dann verärgert. Ich strich ihm vorsichtig durch seine Haare. ,,Wir werden sehen, okay?" Er nickte noch einmal, bevor er mich wieder kurz in seine Arme schloss. Zu viel Geschwisterliebe auf einmal.
,,Wissen Mom und Dad schon Bescheid?" Ich bin mir sicher, dass unsere Eltern überraus schockiert wären zu hören, dass ihr einziger noch lebender Sohn im Krankenhaus eingeliefert wurde wegen einer Überdosis. Sie hatten nicht einmal von mir oder sonst wem erfahren, dass er die letzten Wochen auf Drogen gewesen war.
Wieder nickte er, dazu kam ein genervtes Augenrollen. ,,Ja, leider. Eine Krankenschwester hat sie darüber informiert, obwohl ich sie präzise darum gebeten hatte, ihnen nichts über meine jetzige Lage mitzuteilen. Alter, ich glaube, die hatte ne volle Ladung Stroh in ihren Ohren, als ich sie darum bat. Was ist daran so schwer, die Klappe zu halten?" Er seufzte frustriert aus. Seine Nasenflügel flatterten vor Wut.
,,Vielleicht ist es besser so David..."

DU LIEST GERADE
Heavenly dream
RomanceSkylynn verbringt ungewollt viel Zeit mit einem ihrer neuen Zimmerbewohner und fragt sich am Ende, ob diese Zeit doch nicht die schönste war.