Träume

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POV Louisiana

In meinem Kopf hallen seine Worte wieder. Eindringlich hat er mich darauf hingewiesen, dass sein Schlafzimmer tabu ist. Erst erschien es mir nachvollziehbar weil ich ihn kaum kenne. Nun erscheint es mir als hätte er das aus anderen Gründen gesagt. Aus einem Impuls heraus ignoriere ich seine Worte. Obwohl sie so deutlich in meinem Kopf zu hören sind. Nichts ist deutlicher als diese Schreie. Sie gehen mir durch Mark und Bein. Leise verlasse ich das Gästezimmer und gehe zum Schlafzimmer. Er hat mir heute gezeigt welche Tür zu seinem Schlafzimmer führt. Ich muss ja wissen welchen Raum ich nicht betreten darf. Und nun stehe ich hier. Die Türklinke in der Hand. Ein weiterer Ohrenbetäubender Schrei durchzuckt die Stille und aus einem weiteren Impuls heraus drücke ich die Klinke nach unten und finde mich selbst in seinem Schlafzimmer wieder.

Die Schreie sind verklungen. Er sitzt kerzengerade auf dem Bett. Er atmet viel zu schnell und flach. Außerdem schwitzt er stark. „Ich sagte mein Schlafzimmer ist tabu", faucht er, ich merke jedoch dass er sich kaum darauf konzentrieren kann und mich wenig wahrnimmt. Er hat eine Panikattacke. Eindeutig. Ich habe Erfahrung damit. Auch einige meiner Klienten hatten das schon. Man sollte nicht meinen, dass es bei straffällig gewordenen Jugendlichen so häufig vorkommt. Es kommt aber häufiger vor als man denkt. Sie haben eben auch Angst. Panik. Panik davor was sie erwartet. Ich erkenne also die Anzeichen. Deutlich. Er hat eindeutig eine Panikattacke. Ich sehe dass er den Mund öffnet, vermutlich um mir nochmal klar zu machen, dass ich hier nichts verloren habe, doch im nächsten Moment presst er sich die Hand vor den Mund und springt aus dem Bett. Er läuft ins angrenzende Bad wo er sich heftig übergeben muss. Ich bin ihm gefolgt. Warum weiß ich auch nicht so genau. Eigentlich habe ich hier wirklich nichts verloren aber ich kann nicht anders. Ich kann ihn gerade einfach nicht leiden lassen. Alleine.

Ich gehe ein paar Schritte auf ihn zu und streichle ihm behutsam über den Rücken, während er sich nochmal würgend übergeben muss. Danach sinkt er schwer zu Boden. Ich nehme seinen Zahnputzbecher und fülle ihn mit Wasser. Dann reiche ihm ihn den Becher. Ich weiß nicht was ich tun soll. Ich weiß auch nicht was ich sagen soll. Man lernt viel. Auch in der Ausbildung. Aber niemand bringt einem bei wie man reagiert wenn ein eigentlich fremder Mann eine heftige Panikattacke hat. Ich stehe also betretend schweigend neben ihm. Ich sehe zu ihm. Er sieht irgendwann auch zu mir. Seine Atmung hat sich normalisiert. Er streicht sich die Haare aus dem Gesicht. „Ich sagte dir doch mein Schlafzimmer ist tabu", wiederholt er sich. „Im Moment stehe ich in deinem Badezimmer" Er verdreht die Augen. „Ja äußerst schlau Sherlock", gibt er unbeeindruckt zurück. Er erhebt sich vom Boden und geht wortlos an mir vorbei zurück in sein Schlafzimmer. Ich folge ihm. „Jetzt stehst du eindeutig in meinem Schlafzimmer", merkt er an.

Dieser Mann. Eiskalt und faszinierend. Gleichzeitig wirkte er so unfassbar zerbrechlich gerade eben. „Hast du das öfter?", frage ich. „Was?", gibt er zurück als hätte er keine Ahnung. „Panikattacken", gebe ich zurück und versuche mir nicht anmerken zu lassen dass er mich nervös macht. Seine braunen Augen ruhen auf mir. „Kommt vor" „Mitten in der Nacht?" „Nach Albträumen", gibt er zurück. Ich sehe ihn an und nicke. „Ich verstehe" „Nein", gibt er barsch zurück. Ich reiße erstaunt die Augen auf. „Wie meinst du das jetzt?" „Niemand versteht so etwas. Niemand der es nicht selbst erlebt" Ich weiß, dass er irgendwie recht hat, deshalb nicke ich resigniert. „Hast du deshalb gesagt dein Schlafzimmer ist tabu?", frage ich ihn. Er seufzt. „Interessant" „Was ist interessant?" „Das du denkst ich hätte dich aus meinem Schlafzimmer verband wegen der Albträume und Panikattacken" „Warum denn sonst?" Er lacht bitter auf. „Vielleicht weil es mein Schlafzimmer ist und ich mir aussuche was darin für Frauen liegen?" Seine Worte klingen von oben herab. Und irgendwie treffen sie mich. Ich weiß selbst dass ich kein Model bin. Ich weiß selbst, dass ich sicher nicht der Typ Frau bin, den er sonst in seinem Schlafzimmer hat, dennoch ist es hart es aus seinem Mund zu hören. Und das obwohl ich den Arsch nicht mal näher kenne.

„Ich habe dir immerhin geholfen" „Darum habe ich dich nicht gebeten" „Weißt du was ich glaube?" Ich weiß selbst nicht warum ich mich um kurz nach Mitternacht auf eine Diskussion mit ihm einlasse, aber mein Mund redet schneller als mein Hirn denken kann. „Interessiert es mich?" „Ich glaube du willst nicht, dass man deine Schwachstellen kennt. Du willst nicht als verletzlich angesehen werden. Aber soll ich dir was sagen? Jeder hat vor irgendwas Angst. Das ist legitim. Und ich gehe auch nicht morgen auf die Straße und erzähle allen davon. Was bringt mir das überhaupt? Ich weiß ja nicht mal wer du bist" „Ganz richtig", erwidert er und ich hole erstaunt Luft. Hat er mir gerade Recht gegeben? „Also das letzte. Damit hast du absolut ins Schwarze getroffen. Du weißt überhaupt nicht wer ich bin. Und jetzt raus hier. Ich will schlafen" Kalt. Unnahbar. Ja regelrecht bösartig treffen mich seine Worte. Ich widerspreche jedoch nicht sondern verlasse mit hängendem Kopf sein Schlafzimmer.

Ich lege mich zurück in dieses unverschämt weiche Gästebett und denke nach. Ich kann jetzt nicht schlafen. Zu viele Gedanken kreisen in meinem Kopf herum. Wer ist dieser Unbekannte? Ich meine ich kenne seinen Namen aber was weiß ich sonst über ihn? Warum hat er so schlimme Albträume, dass sie direkt Panikattacken auslösen? Und warum ist er so unfassbar launisch? Manchmal ist er nett, manchmal total ausdruckslos und manchmal regelrecht verletzend. Warum liege ich in der Wohnung eines Mannes der so unberechenbar ist und von dem ich überhaupt nichts weiß? Ich meine Marius ist auch schwer zu berechnen. Er flippt meistens auch spontan aus. Ohne Vorwarnung. Und dann treffen mich seine Schläge. Hart, verletzend. Aber niemals so verletzend wie Worte. Marius hat mich oft verletzt. Körperlich. Die seelischen Schmerzen die er mir zugefügt hat, waren anfangs hart. Schlimm. Brutal. Doch mit der Zeit sind diese Wunden geheilt. Mittlerweile ist mir egal was er sagt. Ich weiß er ist sowieso ständig high. Er hat meistens keine Ahnung was er überhaupt sagt. Seine Worte können mir nichts mehr anhaben. Und die Trennung diesmal ist endgültig. Das habe ich ihm heute klar gemacht. Heute als er mich danach vor den Ferrari von Raphael geschubst hat.

Man könnte sagen es ist naiv, dass ich hier liege. Ich kenne Raphael doch nicht. Er ist mysteriös. Macht ein großes Geheimnis um seine Person. Und er scheint unberechenbar. Aber ich habe Vertrauen in ihn. Als erstes, muss ich zugeben, hat mich sein Aussehen angezogen. Er sieht unverschämt gut aus und auch wenn ich weiß, ich wäre absolut nicht sein Typ, so habe ich mich doch geehrt gefühlt als er mich quasi zu sich eingeladen hat. Seine Augen. Seine Augen ziehen einen magisch in den Bann. Selbst wenn er manchmal eiskalt und herabwertend spricht, seine Augen strahlen eine Wärme aus. Sie sind wie flüssiges Karamell, wenn er zufrieden wirkt. Ich weiß nicht was dieser Mann in mir ausgelöst hat, aber ich hatte sofort ein besonders Gefühl bei ihm. Tja bitter Lou, dass du nicht so aussiehst wie deine Schwester. Arizona ist wunderschön. Sie ist groß, schlank, hat blonde Haare, die ihr meist in Wellen über die Schulter fallen. Sie ist schön. Natürlich schön. Nichts an ihr ist gemacht und sie trägt meist nur wenig Make-up und dennoch ist sie wunderschön. Das hat auch mein Schwager, Florian, recht schnell erkannt und sie deshalb gleich geehelicht. Außerdem haben sie schon einen Sohn. Ich liebe meinen Neffen, Linus. Er ist vor ein paar Wochen 4 geworden. Ein richtiger Sonnenschein.

Es klopft leise an meiner Zimmertür und ich schrecke aus meinen Gedanken hoch. „Herein", flüstere ich. Die Klinke wird nach unten gedrückt und die Tür springt auf. Ich bin nicht überrascht Raphael in der Tür zu sehen. Immerhin ist niemand außer uns beiden in der Wohnung. Aber irgendwie bin ich doch überrascht ihn zu sehen. Nachdem er mich so deutlich und energisch aus seinem Schlafzimmer geworfen hat. „Es tut mir leid", flüstert er kaum hörbar. Er sieht durch den Wind aus. Offenbar hatte er wieder einen Albtraum. Diesmal habe ich ihn allerdings nicht schreien gehört. „Was?", frage ich. „Was ich gesagt habe" Ich mustere ihn. Sein Gesicht ist gezeichnet. Er hat dunkle Augenringe, was mir verrät, dass er häufiger Schlafprobleme hat. „Deshalb kommst du um viertel nach eins in dein Gästezimmer? Um mir zu sagen, dass es dir leid tut?", frage ich ihn skeptisch. Er schüttelt kurz den Kopf. „Sondern?" „Ich hatte wieder einen Albtraum. Und das geht so weiter. Immer weiter. Ich kann die ganze Nacht nicht schlafen. Immer und immer wieder. Es wiederholt sich alles wiederholt sich", stottert er etwas wirr. „Kann ich dir irgendwie helfen?", frage ich nach. Er tut mir leid. Egal wie unnahbar er sich gibt, er ist durch. Er braucht Hilfe. Ob er sie nun will oder nicht. Er nickt zaghaft. „Wie?", frage ich. „Kann...kann... kann ich bei dir schlafen?", fragt er und deutet auf die zweite Hälfte seines Gästebetts. Ich reiße erstaunt die Augen auf. Ich hatte mit allem möglichen gerechnet, aber nicht damit, dass er sich nachts zu mir ins Bett kuscheln will. „Bitte", fügt er hinzu. Ich nicke. „Komm her", sage ich sanft und klopfe neben mich. Er schlurft schließlich zum Bett und schlüpft zu mir unter die Decke. „Ich kann nicht allein sein", murmelt er leise. „Es bringt mich fast um", fügt er hinzu. Ich strecke meine Arme aus und widererwarten rutscht er tatsächlich näher und kuschelt sich an mich. „Alles ist gut. Du bist nicht alleine", flüstere ich beruhigend... 

Raf Camora FF//  LouisianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt