Park

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POV Louisiana:

Es ist jetzt etwas mehr als eine Woche her, dass Raphael mich nach Hause gebracht hat. Seitdem habe ich nichts von ihm gehört, mich aber auch nicht bei ihm gemeldet. Abstand täte uns gut meinte er. Ich weiß nur nicht ob es wirklich so ist. Ich habe eher Angst, dass er sich wieder zurück verkriecht und verschließt vor seinen Gefühlen. Seine Instagram Story hat mir verraten, dass er wohl bald nach Japan fliegen wird. Tokyo. Ich hätte ihn gerne vorher noch gesehen, aber ich weiß nicht ob ich mich wirklich melden sollte. Ich habe heute die letzte Uni Prüfung für dieses Semester geschrieben und arbeite heute Nachmittag wieder. Ich bin gerade auf dem Weg zur Arbeit. Und obwohl ich nicht daran denken will, kommt er immer und immer wieder in meine Gedanken. Die Woche war stressig. Ich bin geschlaucht. Uni ist anstrengend und Privatleben habe ich im Augenblick keines. Und je mehr ich gestresst bin, desto mehr sehne ich mich danach mit ihm zu reden. Ihn wieder zu sehen. Während er sich wahrscheinlich einfach mit irgendeiner seiner Betthäschen vergnügt und mal wieder auf Arschloch macht.

Ich habe heute in der Arbeit 3 Beratungstermine. Der erste vergeht relativ problemlos und schnell. Es handelte sich um einen 15-jährigen Jungen der verurteilt wurde wegen verlässiger Körperverletzung und Gefährdung im Straßenverkehr, weil er betrunken mit seinem Moped gefahren ist. Er hat nun einen Ausbildungsplatz gefunden dank meiner Hilfe. In einer tollen Firma an die ich schon mehrere meiner Klienten geschickt habe. Es ist eine sehr offene Firma, die immer wieder bereit dazu ist jemanden von meinen Klienten aufzunehmen. Es wird von einem Mann geleitet, der selbst als Jugendlicher straffällig geworden ist. Nun ist er einer der erfolgreichsten Unternehmer von Deutschland. Auch mein zweiter Termin vergeht recht schnell. Es ist ein Ersttermin. Ein 17-jähriger kam mit seiner Bewährungshelferin. Er hat jetzt noch 3 Monate Bewährung, danach will er wieder voll und ganz ins Leben starten. Ich werde mich also auch für ihn umhören. Nur mein letzter Termin lässt auf sich warten. Jenny. Ich arbeite schon sehr lange mit Jenny. Sie ist 16. Hat eigentlich das ganze Leben noch vor sich. Sie saß in Haft wegen Verstoßes gegen das BtmG und Körperverletzung. Mit ihr ist es schwieriger, als mit den anderen Kunden. Ich kenne sie ja auch schon recht lange. Genaugenommen seit 2 Jahren. Sie wurde mit 14 das erste Mal straffällig. Sie kam mit einer Bewährung davon. Mit 15 musste sie in Haft. Seit einem halben Jahr ist sie jetzt draußen. Sie ist sich so sicher, dass sie ihr Leben nun in den Griff bekommen wird, doch immer wieder verfällt sie in alte Muster. Ihr Vater ist abgehauen als sie ein kleines Kind war. Ihre Mutter war schwer Drogenabhängig. Seit ein paar Jahren gilt sie nun als clean, aber zu spät für ihre Tochter.

Jenny kommt normal nie zu spät. Sie hat zwar immer wieder Rückfälle in denen sie meint, alles wäre sinnlos, sie würde sowieso nie ein normales Leben haben, doch sie kommt immer wieder. Ihre Mutter ist ihr großes Vorbild. Denn auch sie hat es aus dem Drogensumpf geschafft. Ich sitze also hier, starre auf die Uhr und warte dass sie kommt. Wenn das Gespräch mit Jenny vorbei ist kann ich nach Hause gehen. Es wird dann spät sein. Es ist jetzt schon spät. Ich bin müde und immer und immer wieder kreisen meine Gedanken um Raphael. Die letzten Tage ganz besonders. Denn Lottes Semester hat schon etwas früher geendet als meins. Sie ist deshalb schon seit Anfang der Woche bei ihrer Mutter. Sie fährt immer in den Ferien zu ihrer Familie. Es klopft an meiner Tür und reißt mich damit aus meinen Gedanken. „Herein", rufe ich. Ich erwarte Jenny doch ich erstarre als ich ihre Mutter mir rotverquollenen Augen in der Tür stehen sehe. „Frau Huber? Was ist passiert? Kommen Sie rein", sage ich sanft. Es ist nicht meine Aufgabe Seelentröster für Angehörige zu spielen, meine Aufgabe ist es Jugendlichen den Weg in ein normales Leben zu ebnen. Aber ich erweitere meinen Aufgabenkreis immer wieder ganz gern.

„Ich habe in Jennys Kalender gesehen, dass sie heute einen Termin hier hätte. Ich habe es leider nicht ganz pünktlich geschafft", stammelt sie und guckt auf ihre verknoteten Hände. „Das ist kein Problem. Setzten Sie sich.", sage ich sanft und reiche ihr Taschentücher. Die brauchen wir hier immer wieder, deshalb habe ich immer genügend da. „Wo ist Jenny denn?", frage ich. Ich hatte schon öfter mit ihrer Mutter zu tun. Manchmal, wenn Jenny einfach abgehauen ist, ist ihre Mutter hergekommen. Ich vermute, dass es wieder so weit ist. Jenny ist abgehauen. Ihre Mutter wird von einem Heulkrampf geschüttelt. „Ich bin hergekommen weil ich Sie informieren wollte. Einen Anruf fand ich zu unpersönlich. Sie begleiten Jenny schließlich schon seit 2 Jahren", fängt sie an und muss sich erstmal die Nase putzen. Ich nicke. „Jenny wird nicht mehr kommen", fährt sie fort. Ich gucke sie verdutzt an. „Was? Warum nicht? Als ich sie das letzte Mal gesprochen habe, hat sie mit keinem Wort erwähnt, dass sie die Beratung nicht länger in Anspruch nimmt", erwidere ich perplex. Ihre Mutter schluchzt auf und räuspert sich dann. Als sie weiter spricht, steht meine Welt für einen Moment still. Was sie mir sagt lässt mir das Blut in den Adern gefrieren und reißt mich mehr mit, als ich es jemals erwartet habe. „Jenny lebt nicht mehr. Sie hat sich umgebracht. Vor zwei Tagen. Niemand... niemand hat damit gerechnet. Es ging alles sehr plötzlich. Ich wollte Sie damit nicht belasten. Aber Sie kennen sie so lange. Ich wollte... ich wollte es Ihnen persönlich mitteilen"

Raf Camora FF//  LouisianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt