21. Juli

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POV Louisiana:

Er verlässt danach die Dusche ohne noch etwas zu sagen. Ich bleibe zurück. Lass das heiße Wasser weiter über meinen Körper prasseln. Wasche mich. Nicht weil ich mich schmutzig fühle, einfach weil ich aus diesem Grund unter die Dusche gestiegen bin. In meinem Kopf herrscht Chaos. 4 Wochen. 4 lange Wochen hat er mich nicht angefasst. Hat mich nicht geküsst. Hat ab und an mit mir gekuschelt, mehr war da nicht. 4 lange Wochen. Und heute? Ohne ein Wort stand er auf einmal da. Er hat mir die Chance geben. Er hat mir die Chance gegeben ‚Nein' zu sagen. Ich weiß, hätte ich nein gesagt, wäre er gegangen. Er hätte mich zu nichts gezwungen. Und ich? Was mache ich? Ich sage ‚Ja'. Lasse ihn gewähren. Der Sex mit ihm ist fantastisch. Er ist nicht von dieser Welt. Aber dass es jetzt passiert ist macht das ausstehende Gespräch nicht gerade einfacher. Meine verwirrten Gefühle fahren Achterbahn. Was bin ich für ihn? Was sieht er in mir?

Ich wollte heute mit ihm reden. Habe mir das ganz fest vorgenommen. Aber gerade als ich mich abtrockne fällt es mir ein. Morgen ist der Todestag. Morgen ist der Todestag seiner großen Liebe. Und wir haben kurz vor Mitternacht. Also ist quasi schon so gut wie ihr Todestag. Und das kann ich ihm nicht antun. Ich will ihn nicht unter Druck setzen. Nicht an diesem Tag. Ich habe ihm versprochen ihn heute auf den Friedhof zu begleiten. Für ihn da zu sein. Sein Gefühlshaushalt wird wohl noch verwirrter sein als meiner. Und in dieser Situation kann ich ihn unmöglich damit konfrontieren. Außer er sucht das Gespräch wenn ich gleich aus dem Bad komme. Ich habe ein bisschen ein mulmiges Gefühl als ich mich in ein T-Shirt von ihm wickle und aus dem Bad spaziere. Was wenn er jetzt das Gespräch sucht? Wie wird es verlaufen? Oder breitet er wieder den Schleier des Vergessens darüber?

Als ich aus dem Bad trete liegt er auf dem Bett mit geschlossenen Augen. Ich atme erleichtert aus. Ich vermute er ist bereits eingeschlafen. Leise lege ich mich neben ihn und mache das Licht aus. Wie jeden Abend. Ich bin eigentlich immer hier. Jeden Abend. Jede Nacht. Ich will hier auch gar nicht weg. Setzte ich das was ich jetzt habe aufs Spiel wenn ich ihn darauf anspreche was zwischen uns ist? Wird er sich zurückziehen und die Flucht ergreifen? Seine Schwester meinte doch ich soll unbedingt mit ihm darüber reden. Aber ich habe Angst. Ich habe Angst vor seiner Reaktion. Angst davor, dass er sich zurückzieht. Dass er wieder so abweisend wird wie am Anfang. Und dass er mich rauswirft. Ich habe mich an all das gewöhnt. Ich fühle mich wohl in seiner Umgebung. In seiner Wohnung. In seinem Freundeskreis. Ich will das nicht von heute auf morgen verlieren weil ich ihn zu sehr unter Druck setze. Aber andererseits, kann ich ewig so weiter machen? Ewig so in der Luft hängend? Nicht wissend ob wir nun in einer Beziehung sind oder nicht? Ab und an mit ihm schlafen wenn ihm danach ist, aber ihm nie zu nahe kommen? Immer auf seinen ersten Schritt warten? Und was ist wenn ich mal eine Familie gründen will? Was wenn ich mir Kinder wünsche? Kann ich ihn damit dann konfrontieren? Oder was mache ich, wenn er plötzlich Sex mit einer anderen Frau hat? Ich darf nicht eifersüchtig sein. Ich habe kein Recht darauf, da wir ja nicht zusammen sind. Oder doch. Oder... keine Ahnung.

Er hat mir jedenfalls nicht gesagt, dass er mich liebt oder so. Aber vielleicht ist er noch nicht soweit. Vielleicht hing er mit seiner großen Liebe auch lange so in der Luft bis das erste ‚Ich liebe dich' fiel und dann wussten die Beiden erst, dass sie ein Paar sind. So viele Vielleichts und keine Antworten. Ich seufze und lasse mich tiefer ins Kissen sinken. Ich drehe mich mit dem Gesicht in seine Richtung. Beobachte ihn beim Schlafen. Beobachte seine Gesichtszüge. Ich frage mich ob er auch so in der Luft hängt wie ich. Ob er sich auch so unsicher ist, was all das hier bedeutet. Oder ist für ihn alles klar und ich stehe wie eine Idiotin da, wenn ich ihn darauf anspreche. Was wenn für ihn sonnenklar ist, dass wir ein Paar sind und ich frage ihn was wir sind? Wird er dann sauer auf mich sein? Oder was wenn er mich auslacht wenn ich diesen Gedanken ausspreche. Was wenn er in mir nur eine Freundin mit gewissen Vorzügen sieht und mich deshalb auslacht wenn ich ihn nach unserem Beziehungsstatus frage?

„Wir müssen darüber reden. Aber nicht heute. Morgen dann. Wenn alles vorbei ist" Seine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken und ich erschrecke ein wenig. „Sorry wollte dich nicht erschrecken", meint er an und dabei meine ich eine gewisse Belustigung in seiner Stimme zu vernehmen. „Macht... macht nichts. Ich dachte nur du schläfst schon", erwidere ich. Er streckt seinen Arm aus und deutet mir, mich an ihn zu kuscheln. Ich schmiege meinen Kopf an seine Brust. „Machen wir", sage ich leise. „Danach. Wenn alles vorbei ist", bestätige ich. Mit alles vorbei meint er den Besuch am Friedhof und den Todestag von Kira. Dann will er mit mir darüber reden. Er sieht also auch Gesprächspotential. Vielleicht ist für ihn doch auch nicht alles klar und er hängt irgendwo in der Luft. Im Gedanken daran wie er wohl fühlt schlafe ich ein.

POV Raphael:

Es ist kurz nach 9 Uhr morgens als ich mich aus dem Bett erhebe. Lou hat Frühstück gemacht. Ich kann es riechen. Ich weiß nicht ob ich wirklich großen Appetit habe, aber ihr zu liebe werde ich wohl einen kleinen Happen essen. Immerhin ist sie extra früher aufgestanden um mir was zu essen zu machen. Ich lasse mich also an meinen Esstisch sinken und beobachte Lou wie sie mir frisches Rührei mit Schinken anrichtet. „Hoffe es schmeckt dir", sagt sie und lächelt. „Danke", erwidere ich und lächle ebenfalls. Der Sex gestern Nacht hat alles nur viel komplizierter gemacht. Ich bin durcheinander und sie ist es auch. Ich bin mir zumindest ziemlich sicher dass sie es auch ist. Aber ich habe gerade keinen Kopf dafür mir darüber Gedanken zu machen. Nicht heute. Nicht an diesem Tag.

Heute auf den Tag genau vor 5 Jahren ist es passiert. Der Unfall, der Schicksalsschlag, der Kira das Leben gekostet hat. Nachdem Frühstück fahren wir zum Friedhof, zu ihrem Grab. Ich habe mich mit ihren Eltern abgesprochen, dass wir nicht zugleich kommen. Nicht etwa weil ich sie nicht sehen will, nein, einfach nur damit sie ihre Ruhe beim Trauern haben und ich genauso. Aber wir sind danach zum Mittagessen verabredet. Sie haben sich das gewünscht und ich konnte ihnen diesen Wunsch nicht abschlagen. Nicht nachdem ich für den Tod ihrer Tochter verantwortlich bin.

Ich würge das Frühstück runter. Obwohl es köstlich schmeckt, habe ich überhaupt keinen Appetit. Während Lou sich fertig macht stehe ich vor meinem Regal und sehe das Bild an. Das Bild von ihr. Das Bild von uns. Bilder aus glücklichen Tagen. Bilder aus Zeiten wo alles einfacher war. Alles klarer war. Wo ich noch nicht vor den Scherben meines Lebens gestanden habe und versucht habe meinen Gefühlshaushalt unter Kontrolle zu bringen. Bilder von Tagen an denen ich mir sicher war fühlen zu können, fühlen zu wollen. An denen das stärkste Gefühl Liebe war. Meine Liebe zu ihr. Ihre Liebe zu mir. Nicht diese Trauer die einen beinahe zerfrisst. Bilder von solchen Tagen. Von solchen besonderen Momenten. Ich spüre bereits jetzt die Tränen in meinen Augen brenne, halte sie jedoch zurück. Ich fürchte, ob ich will oder nicht, Lou wird heute noch genug von meinen Tränen sehen. Sie muss nicht schon so in den Tag starten.

Als sie sich hinter mir räuspert drehe ich mich um. Sie sieht wunderschön aus. Sie trägt ein Kleidchen mit Blümchen. Früher trug sie immer nur viel zu große, weite Sachen. Seit sie mich kennt, geht sie wohl etwas mehr aus sich heraus. Seit ich ihr gesagt habe, dass ich sie wunderschön in Kleidern finde, hat sie sich einige gekauft. Bestellt und zu mir liefern lassen. Es hat mich nicht gestört. Sie hat ohnehin meinen Namen und nicht ihren angegeben. Wenn das klärende Gespräch passiert ist, wenn wir uns dann hoffentlich endlich im Klaren über unsere Gefühle und unsere Zukunft sind werde ich sie hier anmelden. Es soll auch ihr Wohnsitz werden. Also falls wir uns entscheiden zusammen zu ziehen. Ob jetzt als Freunde oder als Paar? Ich weiß es nicht. Aber es gäbe auch ein zweites Schlafzimmer in meiner geräumigen Wohnung. „Das Kleid steht dir ganz wunderbar", sage ich leise und bemühe mich um ein Lächeln auf meinen Lippen, obwohl Lächeln sich gerade einfach nur falsch anfühlt. „Danke", erwidert sie und strahlt mich förmlich an. Tja es ist an der Zeit. Ob ich bereit bin oder nicht. Ich muss mich anziehen. Ich muss mich fertig machen. Fertig machen um meine große Liebe zu besuchen... fertig machen um Kira zu besuchen... 

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So ihr lieben, da ist es also das neue Kapitel. Und was soll ich sagen? Das klärende Gespräch bleibt aus. Noch!

Wie ihr euch sicher denken könnt, werden die beiden im nächsten Kapitel auf dem Friedhof sein. Was meint ihr? Wird dieser "Ausflug" sie näher zueinander bringen oder eher entzweien? Wird Lou für ihn da sein können, oder ist die Trauer und der Schmerz viel größer? 

Raf Camora FF//  LouisianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt