Friedhof

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POV Louisiana:

Ich habe ein eigenartig beklemmendes Gefühl als wir den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Friedhof parken. Raf wirkt schon die ganze Fahrt über etwas abwesend. Hat kein Wort gesprochen. Er steigt auch jetzt ohne was zu sagen aus, kommt jedoch um den Wagen rum um mir wie ein Gentleman die Tür zu öffnen. Ich bedanke mich leise und steige aus. Er versperrt den Wagen und wir gehen näher dran. Am Tor des Friedhofs strafft er wie automatisch die Schultern. Als wolle er sich selbst damit Mut machen. Er atmet tief durch und geht rein. Ich folge ihm. Es ist riesig hier, aber sehr übersichtlich. Ich war schon mal hier. Schon öfter. Raf geht jedoch nicht zielstrebig wie ich es erwartet habe, sondern bummelt umher, lässt sich lange Zeit, sieht sich um, fast so als wüsste er nicht wo er hin muss.

„Findest du den Weg nicht?", frage ich vorsichtig. Er bleibt stehen, dreht sich abrupt zu mir um. „Doch natürlich", gibt er zurück. Kalt und unnahbar. Aber das schiebe ich mal auf das Gefühlschaos das gerade in ihm herrscht. Und es ist okay. Es fühlt sich nicht gut an, aber es ist okay. Ich weiß er leidet. Er leidet unfassbar. Er biegt in einen Gang ab und geht eine Weile voran. Irgendwann bleibt er so plötzlich stehen, dass ich nicht mehr rechtzeitig bremsen kann und in seinen Rücken krache. „Sorry", murmle ich entschuldigend, doch er gibt mir keine Antwort mehr. Er starrt wie gebannt auf den Grabstein links von uns. Ich drehe mich hin und folge seinem Blick. Da steht es. Die Gravur. Ihr Name. Das Geburts- und Sterbedatum. Eine Kerze ist frisch, ich vermute von ihren Eltern. Ein frischer Strauß Blumen steckt in der Vase. Wir haben auch Pflanzen mitgebracht. Auf dem Weg hierher, haben wir Halt gemacht und frische Pflanzen zum Einsetzten gekauft. Eine Schaufel und Handschuhe haben wir mitgebracht.

Raf steht stocksteif da. Ohne ein Wort zu sagen. Ihm läuft noch nicht mal eine Träne über die Wange, obwohl ich damit gerechnet habe, dass er jeden Moment völlig aufgelöst in Tränen ausbrechen würde. Ich stelle die Blumen, die ich getragen habe ab. „Alles okay?", frage ich vorsichtig. Er nickt abwesend und sinkt zu Boden. Dann beginnt er eilig die alten Blumen aus der Erde zu entfernen und Löcher zu machen für die Neuen. Er wirkt total neben sich. Arbeitet hektisch. Er atmet schwer als würde er weinen, nach wie vor verlässt jedoch keine Träne seine Augen. „Ganz ruhig Raf du hast Zeit", sage ich leise. „Ich muss das fertig machen.", stammelt er nur wirr vor sich hin. Er arbeitet wie eine Maschine. Bewegungsabläufe wie auswendig gelernt. Als er die Blumen fertig eingepflanzt hat, betrachtet er sein Werk. Er hat sich dabei noch nicht mal bekleckert. Anscheinend ist er ein guter Gärtner. Hätte ich gar nicht erwartet. Tja er überrascht mich eben immer wieder. Dann entzündet er eine Kerze. Er stellt sie neben jene von ihren Eltern. Ich denke für einen Augenblick schon er will bereits wieder gehen, als er sich zu mir umdreht und sagt: „Könntest du mich kurz alleine lassen?"

POV Raphael:

Sie nickt stumm und geht ein paar Schritte zurück, dort steht eine Parkbank. Von dort aus kann sie mich sehen, jedoch nicht hören wenn ich in einer normalen Lautstärke spreche. Sie gibt mir Freiraum. Sie will mich nicht belauschen. Sie will mich lediglich im Auge behalten. Ich weiß nicht ob ich es gut finde. Ich... ich denke ich finde es gut. Ich denke ich finde es gut, dass sie mir meinen Freiraum lässt. Gerade hier. Gerade hier wo ich vor Jahren Abschied nehmen musste. Ich werde den Tag der Beerdigung niemals vergessen.

Flashback

„Und so nehmen wir Abschied. Abschied von einem ganz besonderen Menschen. Einem Menschen der nicht nur das Leben ihrer Familie bereichert hat sondern so viel mehr erreicht hat. Und noch so große Ziele hatte. Das Schicksal hat es nicht gut gemeint. Gott wollte die junge Kira wieder zu sich holen. Auch wenn der Schmerz..." Bla bla. Ich höre schon gar nicht mehr hin. Was für ein unfassbarer Schwachsinn den der Pfarrer hier von sich gibt. Was für ein Schicksal? Was für zu sich holen? Das Schicksal hieß wohl Raphael Ragucci und hat sich in einer Bar betrunken. Seit ihrem tragischen Tod vor 6 Tagen ist der Selbsthass schier nicht auszuhalten. Und doch war er in diesen 6 Tagen niemals so schlimm wie gerade jetzt. Gerade in diesem Augenblick, während der Pfarrer irgendwas daher labbert. Kira wollte das nicht mal. Sie hat mir mal gesagt sie hält nichts von Bestattungen. Sie wollte verbrannt und verstreut werden. An ihrem Lieblingsort. Doch Kira war jung. Sie war zu jung um zu gehen. Deshalb hatte sie ihre Beerdigung noch nicht geregelt. Deshalb hatte sie ihren letzten Willen noch nicht niedergeschrieben. Sie hat ihn lediglich mir anvertraut. Und das in einem gemütlich zwanglosen Gespräch.

Raf Camora FF//  LouisianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt