Kapitel 60

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Adams P.O.V.

Ich konnte es nicht. Jedes Mal, wenn ich daran denke Ferdinand über den Weg zu laufen, wird mir schlecht. Wie kann ich ihm so etwas grausames sagen? Mir fehlen die richtigen Worte und der Mut. Der Gedanke daran schnürt mir die Kehle zu und deswegen sitze ich hier in meinem Büro und meide jeden.

In meinem Büro kann ich ihm nicht zufällig über den Weg laufen. Erst wollte ich in die Küche und etwas frühstücken, aber ich weiß nicht, ob er schon wach ist. Was ist, wenn ich ihm über den Weg laufe? Wenn mich jemand sieht und ihm Bescheid gibt, dass ich wach bin? Er war gestern Abend nicht gerade erfreut. Ich kann es ihm nicht verübeln, bin ihm aber trotzdem sauer. Wenn ich Lana nicht mitgebracht habe, muss es einen Grund gegeben haben. Das sollte er wissen.

Und jetzt bekomme ich Schuldgefühle. Super.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr und lasse meinen Kopf in meine Hände fallen. Ich bin seit zwei Stunden an meinem Schreibtisch und kümmere mich um die Finanzen des Rudels, aber ich bin nicht weit gekommen. Ich habe gerade mal vier Rechnungen bewilligt und es liegen noch mindestens ein Dutzend vor mir. Sie sind auch noch die Rechnungen, die schnell überprüft sind! Es stehen noch die ganzen Forderungen an und Geld einzutreiben ist viel mühseliger als Rechnungen zu begleichen.

Ich bin einfach nicht bei der Sache. Wie kann ich denn auch?

Wieder drehen sich meine Gedanken über die Informationen, die ich über Niklas bekommen habe. Die Ergebnisse der Untersuchungen der Ausgestoßenen sind genauso besorgniserregend, wenn nicht sogar schlimmer und bedrohlicher für die Sicherheit meines Rudels und aller Wölfe, aber ich kann nicht daran denken.

Plötzlich wird die Klinke aggressiv runter gedrückt und mein Kopf schnellt hoch. Karin steht mit bebender Brust vor mir und Johann bleibt besorgt neben ihr stehen. Noch bevor ich ein Wort sagen kann, knallt Karin eine Hand auf den Tisch und knurrt mich an.

Meine gesamte Energie ist aber verbraucht und mache mir nicht einmal die Mühe sie in ihre Schranken zu weisen. Wieso auch? Johann wird dazwischen gehen, sich entschuldigen und ich werde meine Dominanz benutzen. Ich brauche es nicht. Ich weiß, dass ich das sagen habe, auch wenn Karin einfach in mein Büro marschiert. Sie weiß es auch, das spüre ich. Es ist nur die Wut und leichte Sorge, die ihr Verhalten gerade bestimmen.

„Wo ist Lana?", will Karin sofort wissen. Johann legt ihr eine Hand auf die Schulter, wahrscheinlich um sie zu beruhigen. Aber sie schiebt sie weg.

Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und verschränke meine Arme vor meiner Brust. Dabei lasse ich beide nicht aus den Augen und beobachte, wie Johann sich immer mehr verspannt und Karin ungeduldig auf mich hinab starrt.

„Ich habe Lana gefunden, wollte sie wieder zurückbringen und dann ist sie mit einer Gruppe ausgestoßener Wölfe in den Wald verschwunden." Ich erzähle ihnen die Wahrheit. Es bringt niemandem etwas die Wahrheit zu verheimlichen.

Mit meiner Antwort haben wohl beide nicht gerechnet. Johann dankt der Göttin erleichtert, bis ihm bei meinem letzten Satz der Mund offensteht. Karin dagegen wird wütend und läuft rot an.

„Du lügst. Ich rieche sie doch noch leicht an dir. Du hast sie vor uns versteckt und willst uns nur bestrafen. Lana würde niemals mit fremden Leuten mitgehen, geschweige denn mit Wölfen!"

Ich zucke mit den Schultern und Karin fegt meine Unterlagen vom Tisch. Besser so, dann habe ich einen Grund mehr, nicht mehr zu arbeiten.

Johann zieht Karin schnell wieder zurück und legt eine Hand auf ihre Hüfte, um sie an seine Seite zu pressen. Sie ignoriert ihn und versucht auf mich zuzukommen, schafft es aber nicht, sich aus seinem Griff zu lösen. Er verstärkt seinen Griff um sie, bis seine Knöchel weiß hervortreten und schaut mich ernst an.

Das Wispern eines WolfesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt