Kapitel 64

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Libbys P.O.V.

Anfangs war es süß und jetzt bin ich kurz davor sie umzubringen. Max und Sina haben die meiste Zeit über geredet und, so wie es für mich aussah, auch geflirtet. Es ist merkwürdig die Beiden so zu sehen. Im letzten Jahr muss etwas vorgefallen sein, dass sie nähergekommen sind. Bei unserem letzten Treffen waren sie nicht so frei und offen mit ihren Gefühlen. Wobei ich auch gemerkt habe, dass die Zwillinge nicht überrascht scheinen. Vielleicht ist es ihre Art mir von ihrem neuen Beziehungsstatus zu erzählen? Ich weiß es nicht. Es stört mich auch nicht. Hauptsache sie sind glücklich, was will ich denn mehr?

Es hilft mir mich abzulenken und mich auf das Jetzt zu konzentrieren, auf unsere nächsten Schritte, um voran zu kommen. Ich muss noch immer wieder an Jasmins leblosen Körper in der Gasse denken und die Schuldgefühle fressen mich im wahrsten Sinne des Wortes auf. Unsere Beerdigung für sie hat mir dabei nicht geholfen.

Nach dem Fiasko vorgestern mit dem Mann, der mit seinem Rudel gegen Karl antreten möchte, hatte keiner von uns fünfen die Kraft uns mit Jasmins Tod auseinanderzusetzen. Aber letzte Nacht haben wir uns unter dem Nachthimmel versammelt und uns von ihr verabschiedet. Erst hatte ich Angst nichts sagen zu können, aber erst einmal angefangen, konnte ich nicht mehr aufhören. Uns ging es allen so. Wir alle hatten wundervolle Erinnerungen mit ihr, die wir alle in unseren Herzen tragen werden.

Letzte Nacht gab es sogar einen Vollmond, als ob die Götter selbst uns den Weg erleuchten, um zu sagen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Auch wenn Jasmin nicht physisch bei uns war, konnten wir sie spüren. Und es hat uns geholfen uns statt auf die Trauer der verlorenen Jahre mit ihr auf die gemeinsam verbrachten Jahre konzentrieren zu können.

Nachdem alle über sie gesprochen haben, hat Max mit Tränen in den Augen etwas gesagt, was ich noch jetzt in meinen Gedanken abspiele. Wieder und wieder.

Wir müssen uns versprechen, dass wir nicht trauern, wenn einer von uns stirbt. Stattdessen sollten wir unsere Wünsche sammeln und diese nach dem Tod einer Person aus unserer Familie erfüllen, als wäre sie noch bei uns.

Es waren Jasmins eigene Worte, nachdem wir uns schon einige Wochen kannten und mit jedem verstreichenden Tag immer mehr zusammengewachsen sind. An dem Tag wurde uns so langsam klar, dass wir in derselben Situation waren und auch dasselbe wollten: unsere Freiheit.

Also hat sich der Plan etwas verändert gehabt. Wir wollten die Stadt nicht nur verlassen, sondern auch schauen, ob wir nicht einen Wunsch von Jasmins erfüllen können. Sina hatte mir schon am ersten Tag unseres Wiedersehens erzählt, dass sie an einem Strand waren und im Meer geschwommen sind. Ein weiterer Wunsch von ihr war es eine Sternschnuppe zu sehen und sich etwas vollkommen Banales zu wünschen und einen Schneeengel zu machen. Wir haben ende Herbst, da wird es noch etwas dauern, bis genug Schnee gefallen ist, aber eine Sternschnuppe zu sehen, kann ja wohl nicht so schwer sein, oder? Wir haben uns alle entschieden einen Großteil der Nächte wach zu bleiben in der Hoffnung eine zu sehen, aber letzte Nacht hatten wir kein Glück. Wir werden aber nicht so schnell aufgeben.

Wenn ich nachts wach bleibe, muss ich mich wenigstens nicht die halbe Nacht schlaflos hin und her wälzen, weil gewisser Mann nicht aus meinen Gedanken verschwinden möchte. Aber egal wie oft ich mir vornehme nicht mehr an ihn zu denken, desto öfter schleicht er sich in meine Gedanken. Dann werde ich sauer auf mich und in der nächsten Sekunde frage ich mich, ob er wohl auch an mich denkt, sodass es wieder von vorne anfängt. Es ist ein Teufelskreislauf.

„Tom, warte! Du kannst nicht einfach... Und da läuft er schon weg!", ruft Sina erst besorgt. Schnell wandelt sich die Sorge in Verärgerung. Tim grinst sie wölfisch an und prescht an mir vorbei Tom hinterher.

Es reißt mich glücklicherweise aus meinen Gedanken und ich drehe mich zu Sina um. „Ich rieche nichts, ihr?"

Beide schütteln den Kopf und die einzige logische Erklärung löst sich damit in Luft auf. Wenn drei Wölfe nichts riechen, kann ich mich nicht irren. Den Kopf schüttelnd schaue ich in den Himmel und suche die Sonne. Seit meinem letzten Blick in den Himmel ist sie tiefer gewandert und so langsam bekomme ich auch Hunger. Wir sind noch tief im Wald und nach den Gerüchen zu urteilen, ist in einigen Kilometern nur eine ländliche Gegend und nicht sofort die Stadt. Das heißt hier in der Nähe könnte ein Rudel sein. Aber hier und in unserer unmittelbaren Umgebung ist nichts markiert.

Das Wispern eines WolfesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt