In einer der Apotheken begegneten wir Dean Thomas, der gerade gemeinsam mit Seamus Finnigan seinen Vorrat an Zaubertrankutensilien aufstockte. Auch ich stockte, allerdings in meiner Bewegung, wodurch George hinter mir in mich reinlief. Er setzte zu einer Schimpftirade an (die er sich wahrscheinlich bei seiner Mutter abgeguckt hatte), folgte aber meinem Blick. Er grinste.
„Ein gut aussehender Junge. Da verzeihe ich dir deine Sperrigkeit noch einmal."
„Sperrigkeit?", wiederholte ich empört. Mein Schockzustand hatte glücklicherweise nicht lange gedauert. Er war vermutlich überhaupt erst aufgetreten, weil Eva mir die gesamten Ferien über mit Dean und seinem Wangenkuss letztes Jahr in den Ohren gelegen hatte. „Du hättest mir auch einfach ausweichen können."
„Du weißt doch wie Treiber sind. Wir schleudern nun mal gerne Dinge aus dem Weg", erklärte George grinsend. „Ausweichen ist für die restlichen Flaschen in der Mannschaft."
„Lass das mal Oliver Wood hören", gab ich zurück, schmunzelte aber ebenfalls. Vom Kapitän der Gryffindorquidditchmannschaft war bekannt, dass er den Sport sehr ernst nahm. Daher würde er als Hüter wohl kaum gerne als Flasche betitelt werden.
„Dann lass ich Dean gewisse Sachen hören", drohte George an. Ich kniff die Augen zusammen.
„Untersteh dich. Sonst hat er noch völlig falsche Vorstellungen von mir." Immerhin war da wahrscheinlich von seiner Seite aus überhaupt nichts. Und auch mögliche Gefühle meinerseits bestanden sicherlich nur wegen Evas blöden Spekulationen. Das Einzige, was dazu geführt hatte, war dieser kurze Kuss auf die Wange, den mir Dean Ende letzten Jahres gegeben hatte. Aber bestimmt hatte das für ihn keine tiefere Bedeutung und er konnte ja auch nicht mit Evas wilden Interpretationen rechnen. Also sollte ich mich auch endlich beruhigen. Leider schlug mein Herz trotzdem schneller, während ich meinen Mitschüler beim Eintüten von Froschaugen beobachtete.
„Du starrst ihn an, als wäre er ein rechnender Troll", stellte George fest und hob seine Augenbraue. Hätte ich mir doch besser jemand anderen zum Bummeln gesucht als die Zwillinge. Von denen mussten solche Kommentare ja stammen.
„Nein, das tue ich gewiss nicht", widersprach ich vehement. „Mir ist nur eben eingefallen, dass ich auch noch Froschaugen brauche."
Das tat ich eigentlich überhaupt nicht, ich hatte noch ein großes Glas voll. Jetzt blieb mir aber wohl nichts anderes mehr übrig, als mir die blöden Augen zu kaufen. Also warf ich George einen bösen Blick zu – immerhin musste ich wegen ihm Geld in überflüssige Dinge investieren. Dann straffte ich die Schultern und marschierte geradewegs auf meine beiden Mitschüler zu. Zumindest tat ich das anfangs sogar recht entschlossen, doch mit jedem Schritt wurde ich langsamer. Ja, vielleicht hatte ich Angst. Vielleicht vor einer Blamage, vielleicht vor Sozialkontakten.
Meine Geschwindigkeit war mittlerweile wohl etwa bei null angekommen. Ich stand zwischen zwei Regalen mit ekligen Zaubertrankzutaten und überlegte, wie ich am besten fliehen konnte. George hatte sich an einen Schrank gelehnt und blickte mich abwartend an. Er würde mich nicht so leicht gehen lassen. Lee und Fred konnte ich nicht entdecken, sie kauften anscheinend die Trollpusteln, von denen sie vorhin gesprochen hatten. Bevor ich die Flucht antreten konnte, entdeckte mich jedoch Seamus.
„Eleonora!", rief er in einer Lautstärke, die auch im Laden nebenan wohl noch die gleiche war. Außerdem wechselte er einen kurzen Blick mit Dean. Dieser hatte – ebenso wie die restliche Winkelgasse – meine Anwesenheit bemerkt. Ich lächelte angestrengt und bemühte mich, überrascht auszusehen.
„Seamus! Dean!", begrüßte ich sie. „Euch hatte ich ja gar nicht hier erwartet!"
„Wo sollten wir denn sonst unsere Schulsachen herbekommen?", fragte Seamus und kratzte sich am Kopf. „Wir sind extra mit meiner Mum hergekommen. Und weil Dean ja Muggeleltern hat, haben wir ihn gleich mitgenommen."
Dean blickte etwas betreten in der Gegend herum, als wäre ihm sein Blutstatus peinlich. Bei anderen Zauberern hätte er es ihm vielleicht auch sein müssen, aber mir waren solche Dinge nicht wichtig. Zumindest nicht mehr. Früher bei den Malfoys war mir die Wichtigkeit der Abstammung eingetrichtert worden. Aber auch da hatte ich nicht ganz den Sinn dahinter verstanden.
Sein bester Freund hatte Deans Gefühle scheinbar ebenfalls bemerkt, denn er entschied sich für einen abrupten Themenwechsel. „Ich brauche noch eine neue Schöpfkelle. Die letzte habe ich leider in einer Explosion verloren. Bin dann mal weg."
Mit diesen Worten verschwand er um die nächste Regalecke und ließ Dean und mich alleine. Wir starrten uns einen Augenblick nur in die Augen, bis wir peinlich berührt in verschiedene Richtungen blickten. Diese eingelegten Schrumpelkgurken im Regal übten plötzlich eine ganz neue Faszination auf mich aus.
Dean räusperte sich. „Schöne Ferien gehabt?"
Ich nickte nur, sonst hätte ich wohl aus Nervosität eine halbe Stunde sämtliche Ferienaktivitäten aufgezählt. „Du?"
„Ich eigentlich auch", antwortete er so ruhig wie immer. Die Nervosität hatte wohl nur mich als Opfer. „Eine meiner Halbschwester hat allerdings einen wackelnden Zahn gehabt und alle ewig auf Trab gehalten. Nach einer Woche ist er dann endlich ausgefallen."
Wieder nickte ich. Eine andere Antwort fiel mir auf wackelnde Zähne auch nicht ein. Wenn ich welche gehabt hatte, hatte Narcissa sie mir entweder mithilfe von Magie entfernt oder direkt gezogen. Auf langes Theater wollten die Malfoys verzichten.
Dean schien das als Ermutigung zu nehmen, weiterzuerzählen. „Die letzte Woche verbringe ich aber bei Seamus, der so nett war mich einzuladen. Sonst könnte ich meine Reserven nicht auffüllen." Er schwenkte die Tüte mit den Augen hin und her. Als ich weiterhin stumm und reglos blieb – was ich eigentlich überhaupt nicht beabsichtigte – fragte Dean mich: „Hast du denn schon alle Sachen beisammen?"
Er starrte auf meinen Mund, wahrscheinlich, weil nichts herauskam. Ich schüttelte den Kopf um endlich alle Reste meiner eigenartigen Starre loszuwerden. Normalerweise kriegte ich immer einen Ton raus, sogar bei direkten Konfrontationen mit dem Dunklen Lord. „Ähm fast. Ich brauche noch die Bücher und ein paar neue Umhänge. Aus den alten bin ich rausgewachsen."
Dean war aber noch mehr gewachsen als ich und ich reichte ihm jetzt gerade mal bis zur Brust. Letztes Jahr war ich nur wenige Fingerbreit kleiner gewesen. Das Problem der langsam schrumpfenden Umhänge kannte er daher wohl noch besser als ich.
„Na dann", sagte Dean. „Man sieht sich ja im Hogwartsexpress."
Wie unter dem Imperio-Fluch stehend nickte ich. Er warf mir noch einen letzten, etwas verwirrten Blick von oben bis unten zu und verschwand dann Richtung Kasse. Kaum war er um die Ecke verschwunden, tauchte George an meiner Seite auf und sah mich missbilligend an. „Was war denn das bitte?", wollte er wissen. „Liegt deine Zunge etwa auch hier irgendwo in einem der Gläser herum?"
Ich erwachte endgültig aus meiner Starre. „Wie bitte?"
Er verdrehte die Augen. „Bei Merlins Bart, Nora! Selbst der Käfer in dieser Schachtel hätte bessere Antworten geben können als du!"
„Was hätte ich denn deiner Meinung nach anders machen sollen?", erkundigte ich mich pikiert.
„Vielleicht etwas anderes tun als nicken? Und dich am Gespräch beteiligen ... dazu gehören nämlich zwei." George seufzte. „Und ich dachte, dass du mutig wärst, nach der Sache mit dem fliegenden Auto und Voldi letztes Jahr ..."
Lee und Fred kamen fröhlich grinsend auf uns zu. „Na, was geht hier ab?"
„Privatkram", antwortete ich ausweichend. Ich schnappte mir George und zwang ihn, mit mir zu Madam Malkins zu gehen. Ich brauchte dringend neue Umhänge und auch den Zwillingen waren ihre nach dem Wachstumsschub über die Ferien zu kurz. Und außerdem wollte ich dringend von Fred und Lee und besonders ihren neugierigen Fragen und Blicken entkommen. Vermutlich würde George ihnen nachher zwar sowieso jedes kleine Detail unserer Unterhaltung wiedergeben, aber dann müsste ich wenigstens nicht anwesend sein.
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Eleonora Black und Slytherins Erbe ∥ Ⅱ ∥ Abgeschlossen
FanfictionEleonoras zweites Jahr auf Hogwarts beginnt. Nachdem sie letztes Jahr mehr oder weniger erfolgreich Voldemort aufgehalten hat, steht ihr nun ein weiteres Jahr voller Abenteuer bevor. Dabei hatte sie sich doch eigentlich so fest vorgenommen, nichts V...