Kapitel 29 - Schlangen und Schnee

439 34 22
                                    

Sowohl anwesende Schüler, als auch die Lehrer starrten Harry an, als habe er soeben einen Stepptanz zu Ehren des Dunklen Lords aufgeführt. Ihre Mienen waren versteinert und entsetzt. Ich erlebte es zwar auch nicht täglich, dass jemand sich einer Schlange entgegenstellte, doch sollten sie ihm etwas dankbarer sein. Sie taten ja geradezu so, als hätte er ein Kapitalverbrechen begangen.

Harrys Grinsen wich so schnell aus seinem Gesicht, wie es gekommen war. Justin stierte ihn mit Wut und Angst in den Augen an. „Was treibst du da eigentlich?", schrie er und rannte aus der Halle. Einige seiner Freunde aus Hufflepuff folgten ihm. Eigentlich waren Mitglieder dieses Hauses für ihre Harmoniebedürftigkeit bekannt, aber ihre Blicke sprachen eine andere Sprache.

Severus löste sich aus seiner Starre und ließ die Schlange mit einem Zauberstabwedeln verschwinden. Auch er musterte Harry scharf. Die übrigen Schüler begannen zu murmeln und die Gespräche schwollen an. Ron kletterte auf die Bühne und zog Harry an seinem Umhang hinunter. Gemeinsam mit Hermine verschwanden auch die drei aus der Halle. Man wich vor ihnen zurück, als hätten sie eine ansteckende Krankheit.

Lautlos war Blaise neben mir aufgetaucht. „Dein Freund ist also ein Parselmund", stellte er fest und schaute fast schon bewundernd.

„Hmm?", machte ich, ich konnte ihm nicht ganz folgen.

„Harry Potter ist ein Parselmund", wiederholte er geduldig, schien aber aufgeregt darüber zu sein.

„Was war das noch gleich?", fragte ich kleinlaut nach. Ich konnte mir Fachbegriffe nicht gut merken und glaubte, vor Jahren mal bei den Malfoys über diesen Begriff gestoßen zu sein. Beim besten Willen konnte ich mich aber nicht an die Bedeutung erinnern.

Ihm machte es offenbar nichts aus, den Lehrer zu spielen, denn er erklärte bereitwillig: „Parselmund nennt man Hexen und Zauberer, die mit Schlangen sprechen können. Sie verstehen sich gegenseitig und sollen sogar richtige, tiefe Gespräche führen können. Zumindest hat das ein Kerl in einem Buch in der Bibliothek meiner Mutter so geschrieben." Er zuckte mit den Achseln. „Wie weit du mit einer Schlange über Philosophie reden kannst, weiß ich echt nicht. Jedenfalls ist Harry Potter ebenfalls ein Parselmund."

„Ebenfalls?" Ich stolperte über das kleine Wort. „Wer denn noch?"

Er blickte mich etwas spöttisch an. „Du bist gerade aber auch etwas begriffsstutzig, oder? Na wie wer wohl? Ebenso wie der Dunkle Lord!"

Ich sog dramatisch die Luft ein. „Was?! Nein! Das kann doch gar nicht möglich sein!", sagte ich ironisch. „Wenn das eben eine Unterhaltung gewesen sein soll, dann fresse ich einen Nimbus. Ja gut, die Schlange hat auf ihn gehört, aber hätte das nicht bei allen anderen auch sein können? Das muss doch noch lange nicht heißen, dass Harry wirklich mit Schlangen reden kann."

Er schüttelte den Kopf. „Diese Zischlaute waren definitiv Parsel. Hast du es etwa nicht gehört?"

Wann sollte Harry das denn getan haben? Er hatte doch nur Weg von ihm! gesagt, das war alles. Moment mal ... wenn das Parsel gewesen sein soll, dann ... dann hatte ich ihn verstanden!

„Du hast nicht verstanden, was er gesagt hat?", erkundigte ich mich schnell. Vielleicht war das so ein Reinblüter-Ding. Immerhin hatte ich ebenfalls einen langen Stammbaum voll mit Slytherins. Da wäre es nicht undenkbar, dass ich Schlangen verstand.

„Nein, natürlich nicht", antwortete er. „Nur, weil ich in Slytherin bin, bin ich nicht gleich seine Reinkarnation." Damit machte er meine Hoffnungen gleich wieder zunichte. Allerdings, wenn Harry mit Schlangen sprechen konnte, dann konnte es doch keine schlechte Eigenschaft sein, oder? Immerhin hatte er den Dunklen Lord aufgehalten. Und er war ebenso wenig wie ich in Slytherin gelandet. Dennoch sollte ich Eva und Dean lieber nichts davon erzählen. Wenn rauskam, dass ich auch ein Parselmund war, würde ich mit den gleichen Blicken bedacht werden wie Harry. Und das brauchte ich nun wirklich nicht.

„Warte mal", setzte Blaise an. „Hast du ihn etwa verstanden? Stellst du deshalb so komische Fragen?"

Verdammter Doxiemist! Jetzt musste ich Schadenbegrenzung betreiben. „Wie kommst du denn auf diesen Blödsinn? Nein, ich konnte ihn doch wegen der ganzen Panikschreie gar nicht hören. Es wundert mich sowieso, dass du von dort hinten die Zischlaute gehört haben willst."

Er warf mir zwar noch misstrauische Blicke zu, schien sich aber mit meiner Antwort zufrieden zu geben. Zumindest vorerst. Ich sollte in Zukunft besser vorsichtig sein. Und vielleicht heimlich Nachforschungen über Parselmünder der Vergangenheit anstellen. Vielleicht konnte ich auch noch Hermine einspannen und es so wirken lassen, als ob ich es wegen Harry täte. Das könnte klappen. Bei Merlin, das klang furchtbar manipulativ! Fast schon nach einer Slytherin. Hoffentlich war ich nicht die Erbin Slytherins. Verdammter Mist.

Der nächste Morgen brachte Unmengen an Schnee mit sich. Kräuterkunde fiel wegen des weiterhin andauernden Schneesturms aus – außerdem musste Professor Sprout sich um die Alraunen kümmern und wollte die Aufgabe niemandem anderen überlassen. Wenn sie erst groß genug waren, sollten sie schließlich Colin und Mrs Norris wieder ins Leben zurückholen, da konnte man sich keine Fehler leisten.

Da es der erste Schnee des Jahres war, wollte ich unbedingt einen Spaziergang machen. Leider ließ sich keiner meiner Freunde erweichen. Eva redete sich mit einer Erkältung heraus, Seamus mit den blauen Flecken, die er von gestern davongetragen hatte, Neville musste noch ein paar Hausaufgaben erledigen und Dean hatte ihm versprochen, ihn dabei zu unterstützen.

„Du hängst ohnehin schon viel zu oft mit uns rum", fand Eva und warf mir auf ihrem Bett liegend eine Mütze zu. Sie wollte ihre Freistunde nutzen, um gemütlich ein Buch zu lesen. „Sonst wirst du noch abhängig."

Ich hatte die Kräfte des Schneesturms etwas unterschätzt. Schnell trat ich wieder in die Eingangshalle zurück und beschloss, lieber in einen der windgeschützten Innenhöfe zu gehen. Kaum hatte ich mein Ziel erreicht, traf mich ein Schneeball an der Wange. Er hinterließ eine brennende Stelle und ließ mich aufkeuchen. Der Schütze war leicht auszumachen, bis auf zwei Gestalten war der Hof menschenleer.

„Volltreffer!", freute sich Fred lauthals und formte schon das nächste Geschoss.

„Na warte", rief ich und kratzte Schnee zusammen. „Dich kriege ich schon noch!"

Mein Schneeball war schneller fertig als seiner und so landete ich einen guten Treffer auf seinem Bauch. Aber ich hatte George nicht bedacht. Sein Ball traf mich von hinten am Rücken.

„Zwei gegen eins ist ungerecht", beklagte ich mich. „Machen wir doch lieber jeden gegen jeden."

Sie waren einverstanden. Kurze Zeit später hatten wir alle wohl ebenso viel abgekriegt, wie wir die anderen abgeworfen hatten. Ein besonders fieser Schneeball von George war an meinem Hinterkopf zerborsten und hatte eisige Klumpen unter Jacke und Schal verteilt. Jetzt langsam schmolzen die Brocken und hinterließen nasse Spuren auf meinem Rücken. Ich bibberte vor Kälte und den Jungs ging es nicht anders.

„Frieden?", schlug George vor und Fred und ich willigten ein. Gemeinsam schlenderten wir zurück zum Gryffindorturm, um uns trockene Sachen zu holen.

„Und wie kommt es, dass ihr Zeit für Schneeballschlachten habt?", wollte ich von den beiden wissen.

„Pflege magischer Geschöpfe ist ausgefallen", antwortete George und Fred ergänzte: „Die können uns bei dem Wetter nicht auch noch in den Wald jagen. Außerdem hindert uns doch sowieso kein Unterricht an unseren Vorhaben. Du solltest uns langsam besser kennen."

„Und wie kommen wir zu dem unverhofften Vergnügen deiner Begleitung?", fragte George und grinste mich an.

„Kräuterkunde findet nicht statt. Es ist zu kalt und Sprout versorgt persönlich die Alraunen."

„Apropos Alraunen", begann Fred. „Wir haben von dem kleinen Parselzwischenfall gestern gehört. Glaubst du an Harry als den Erben Slytherins?"

„Nein, dafür ist er viel zu nett. Zumindest mit den Attacken hat er nichts zu tun. Aber vielleicht sieht sich ja jemand als Helfer des Erben und verübt die Verbrechen in seinem Namen", gab ich zu bedenken.

Die Zwillinge wechselten einen Blick. „Daran haben wir noch gar nicht gedacht", gestand George schließlich. „Unsere Theorien liefen eigentlich immer auf einen der Slytherins hinaus."

Wenn sie wüssten, dass Harry und ich wahrscheinlich die einzigen Parselmünder der Schule waren und noch dazu beide in Gryffindor, würden ihre Theorien bestimmt anders aussehen.

Eleonora Black und Slytherins Erbe ∥ Ⅱ ∥ AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt