Kapitel 9 - Hogwartsexpress und Mordgedanken

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Leider neigten sich die Ferien bald schon dem Ende zu. Narcissa hatte mir mit ihrer hübschen Schleiereule noch am Tag des misslungenen Einkaufsbummels einen Brief geschickt, doch er lag ungeöffnet ganz unten in meinem Koffer. Wir reisten mit dem zu diesem Zweck magisch vergrößerten Ford Anglia zum King's Cross Bahnhof. Ich war froh, dass ich nicht fahren musste und ruhte mich auf einer der Rückbänke zwischen den Zwillingen und Percy aus. Mehrfach mussten wir umdrehen, weil sich ständig jemand erinnerte, etwas vergessen zu haben. Und so kam es, dass wir erst eine Viertelstunde vor geplanter Abfahrt des Zuges am Bahnhof ankamen. Entsprechend hektisch drängelten wir uns durch die Absperrung. Ich hetzte den Zwillingen hinterher, als diese durch die Absperrung rannten. Uns blieb keine Zeit mehr, noch lange auf die anderen zu warten, deshalb schoben wir unsere Gepäckwägen schnell zu einem der Waggons und hievten unsere überladenen Koffer hinein. George brachte unsere Wägen weg, während Fred und ich uns ein Abteil suchten. Die meisten waren schon gnadenlos überfüllt und wir fanden erst am Ende des Zugs eins, in dem weder vor Aufregung quietschende Erstklässler, noch deprimierte Siebtklässler saßen, denen soeben eingefallen war, dass Lernen doch ganz gut war.

Ich hatte keine Ahnung, wo meine Freunde saßen, deshalb blieb ich erstmal bei den Zwillingen. Auch Ginny gesellte sich zu uns. Der Zug setzte sich bereits in Bewegung, als unser Gepäck noch nicht in den dafür vorgesehenen Ablagen verstaut war. Das verkomplizierte alles, aber wir schafften es mit vereinten Kräften endlich doch.

Ich saß auf einem Platz am Fenster, gegenüber von Fred und hatte meine Stirn gegen die kühle Scheibe gelegt. In der vergangenen Nacht hatte ich so gut wie keinen Schlaf bekommen, weil Ginny ständig Fragen über Hogwarts gestellt hatte und ich zu höflich gewesen war, um sie unbeantwortet zu lassen. Außerdem hatte sie die Ferien über bereitwillig ihr Zimmer mit mir geteilt und ich konnte ihre Aufregung verstehen. Auch ein Jahr zuvor hatte ich vor der Abfahrt kaum ein Auge zu machen können.

Je ruhiger es aber wurde und je mehr ich auf die beruhigenden Geräusche des fahrenden Zuges achtete, desto schläfriger wurde ich, bis ich schließlich ganz wegsackte. Mein Schlaf war nicht gerade ruhig und traumlos, trotzdem fühlte ich mich erholt, als ich schließlich aufwachte.

„Na Schlafmütze?", begrüßte George mich fröhlich. „Du sabberst im Schlaf."

Ich grunzte und boxte ihn gegen den Arm. Kurz nach dem Aufwachen hatte ich selten schlagfertige Antworten parat. Meine verspannten Muskeln streckend blickte ich mich im Abteil um. Ginny saß noch immer im Abteil und machte sich über einen großen Haufen Süßigkeiten neben sich her. Auch Fred auf der anderen Seite biss zufrieden einer Gummischlange den Kopf ab. Neben George hatte sich Lee Jordan niedergelassen, kein Wunder, er und die Zwillinge waren schließlich sehr eng befreundet.

„Habt ihr auch Schokofrösche?", wollte ich wissen und spähte auf den Süßigkeitenstapel.

„Bedien' dich", sagte Fred zwischen zwei Bissen. Das musste er mir nicht zweimal sagen und schnell hatte ich die hüpfende Schokolade erspäht. Ich schob mir den Schokofrosch in den Mund und kniff bei dem herrlich schokoladigen Geschmack verzückt die Augen zusammen. „Danke." Ich nahm die Sammelkarte heraus. „Braucht noch jemand Agrippa?"

Die Hexe war einer der etwas häufigeren Karten und daher hatte ich sie schon viermal. Wobei ... meine Kartensammlung war bei den Malfoys und bestimmt hatte Lucius die Hauselfen schon angewiesen, meine Habseligkeiten zu verbrennen. Die wichtigsten Sachen hatte ich zum Glück bei meinen Schulsachen dabei. Es wäre trotzdem schade um die fast vollständige Sammlung. Der Gedanke an die Malfoys stimmte mich traurig. Ich spürte, wie mein Blick sich etwas verschleierte und zerrte meine Schuluniform aus dem Koffer. So hatte ich eine Erklärung dafür, dass ich das Abteil verließ.

Hinter mir zog ich die Schiebetür zu und machte mich auf den Weg zu den Toiletten. Ich spähte ich alle Abteile, an denen ich vorbeilief. In keinem von ihnen saßen Hermine, Eva, Ron oder Harry. Vermutlich würden sie gemeinsam in einem der vorderen Abteile sitzen. Hermine hatte ihnen doch bestimmt Plätze freigehalten. Dafür entdeckte ich allerdings Neville, Seamus und Dean in einem Abteil, die mit einigen Ravenclawjungs in eine Unterhaltung vertieft waren. Dean bemerkte mich und winkte mir zu. Ich winkte zurück und wurde rot. Aus welchem Grund auch immer.

In der Toilette zog ich mich schnell um und kehrte dann wieder in mein Abteil zurück. Diesmal blickte ich erst gar nicht in Deans Abteil. Doofer Fehler. Dann wäre ich nämlich vielleicht etwas mehr auf seine Anwesenheit vorbereitet gewesen. In meinem Abteil.

„Dean!", presste ich also überrascht hervor. In einer Stimmhöhe, die in etwa der eines Knuddelmuffs entsprach.

Er grinste mich an und schien die Blicke der Weasleyzwillinge nicht zu bemerken, die zwischen ihm und mir hin- und herglitten. Dabei hatten sie ein schiefes Grinsen auf den Lippen, das mir verriet, dass sie mich später über alles ausquetschen würden. George hatte Fred also definitiv von unserem kleinen Gespräch bei Madam Malkins erzählt. Ich konnte es ihm eigentlich nicht verübeln, dennoch wünschte ich die beiden gerade zum Mond.

„Brauchst du denn noch meine Hilfe?", fragte Dean, während ich zeitgleich sagte: „Brauchst du irgendetwas Bestimmtes?" Wir lachten beide peinlich berührt auf ob der ähnlichen Fragestellung. Merlin, befrei mich bitte aus dieser eigenartigen Situation!

„Ich dachte eigentlich, dass du etwas von mir brauchst. Deshalb hat Eva mich auch hergeschickt", antwortete Dean als erster. Grrr, ich würde sie umbringen!

„Was brauche ich ihrer Meinung denn?", hakte ich nach. Wetten, es war wieder irgendetwas total beklopptes, von dem sie sich unrealistische Szenarien erhoffte. Wie zum Beispiel einen weiteren Kuss... Ich verlor mich einen Augenblick zu lange in dieser Vorstellung von Deans sehr weichen Lippen. Dann riss ich mich endgültig zusammen und beschloss, dass ich von nun an nicht mehr wie ein stummer Fisch in Deans Nähe sein wollte. Ich war ja langsam schon so schlimm wie Ginny bei Harry. Der Vergleich mit der Erstklässlerin brachte mich endgültig zur Besinnung. So beeinflussbar wollte ich nicht sein.

„Bei einer Geburtstagskarte für deinen Freund Scott", antwortete er und griff nach Pergament und Federn auf dem Sitz neben sich. Er bemerkte ganz offensichtlich meine Verwunderung über seine Anwesenheit und schien sich zu fragen, ob er lieber gehen sollte. Aber Scott? Wer war nochmal gleich Scott? Dann fiel es mir ein. Scott war der Junge, mit dem Eva und ich in Rumänien gemeinsam Urlaub gemacht hatten.

„Und wie sollst du mir dabei helfen?", erkundigte ich mich. Evas Plan hatte ich immer noch nicht verstanden. Wie sollte es mir oder Dean denn helfen, eine Karte gemeinsam zu schreiben? Oder wollte sie ihn nur mit der Vorstellung von mir und einem anderen Jungen eifersüchtig machen?

„Ähm ich habe eine schöne Schrift", antwortete Dean auf einmal ganz verlegen. „Und kann auch etwas zeichnen. Oder zumindest fand Eva meine Schrift gut und hat gesagt, dass sie wesentlich schöner als deine ist." Er warf mir einen entschuldigenden Blick zu. Es war um ehrlich zu sein auch keine große Kunst eine schönere Schrift zu haben als ich. Meine Buchstaben sahen aus, als hätte man einem Hippogreifen eine Feder in den Schnabel geklemmt und dann Wörter von ihm verlangt. Wenn dann noch ein halbes Tintenglas über das Pergament verspritzt war, kam das der üblichen Optik meiner Aufsätze sehr ähnlich. Manchmal wunderte ich mich, dass die Lehrer das überhaupt bewerten konnten.

Ein Knuff von Freds Ellenbogen holte mich zurück in die Gegenwart. Über Evas Verkupplungsversuch innerlich brodelnd lächelte ich den armen Dean an, der ja nichts dafür konnte. Er und ich waren hier beide die Opfer.

„Schön", sagte ich und fletschte weiter die Zähne. Hoffentlich ging es als Lächeln durch. „Dann schreiben wir jetzt mal eine Geburtstagskarte an Scott."

Eleonora Black und Slytherins Erbe ∥ Ⅱ ∥ AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt