ᕼOᗰᗴՏIᑕK

22 3 7
                                    

Nach meiner kurzen Erklärung herrschte für einen kurzen Moment Stille, in der einfach jeder sein Essen aß. Nur Herr Wagner hatte mich noch aufmunternd angelächelt. Während ich also diese unglaublich leckeren Bratkartoffeln in meinen Mund wandern ließ, sah ich aus meinem Augenwinkel Nick's Arm. Er hatte wirklich braune Haut und seine Adern waren deutlich zu erkennen. Wenn der Chef in dem Moment wohl nicht das Wort ergriffen hätte, hätte ich bestimmt angefangen zu sabbern.

"Nick, wo hast du dich überhaupt wieder rum getrieben?"

Als ob er etwas zu verbergen hätte, schaute er irritiert zu Herrn Wagner.

"Was meinen Sie?"

"Deine Haare. War das Heu wieder so staubig?"

"Ne eigentlich nicht. Ist es wieder so schlimm?" Nick hielt seinen Kopf zur Seite und wuschelte sich wild mit seiner freien Hand durch sein kurzes straßenköter blondes Haar. Ich schaute nur zu Martha und wartete schon darauf, dass sie sich beschweren würde, wie Nick nur ihre schöne Küche dreckig machen konnte. Doch anstatt, dass sie was sagte, schüttelte sie einfach nur den Kopf und sagte:
"Junge, junge wie kriegen wir den bloß groß? Na hoffentlich schlebst du nicht den ganzen Dreck in den Bett."

"Jaha!", entgegenete mein Sitznachbar nur und widmete sich seinem Essen.

"Wann kommen eigentlich die anderen beiden Mädchen morgen? Muss ich dabei sein?", erkundigte sich Nick.

"Die anderen beiden Azubis kommen gegen Mittag soweit ich das weiß. Ich glaube nicht, dass wir dich da brauchen", beantwortete Frau Wagner seine Frage. Das klang doch ganz danach, als ob ich morgen Gesellschaft bekommen würde. Dann musste ich den Anfang hier nicht allein stemmen. 

"Achso Melanie, hat dir Nick zufällig schon den normalen Tagesablauf hier erklärt?" Ich schüttelte den Kopf.

"Also morgens um 6 Uhr stehst du auf, dann kommst du runter und isst was. Martha ist eigentlich immer hier, weswegen es hier auch immer was zu essen finden solltest. Von 7 bis 9 Uhr lassen wir den ersten Schwung an Pferde auf die Weiden und dann wird gemistet. Nach dem Misten habt ihr dann eure Reitstunde bei mir, die ihr alle zusammen macht. Halb 12 gibt es Mittag, falls du irgendwelche Allergien hast, dann sag das bitte Martha noch nach dem Essen. Bis um eins ist dann erstmal Mittagsruhe. An manchen Tagen kommt zu dieser Zeit schon mal der Schmied oder der Tierarzt, je nachdem was ansteht. Da du auf deine Ausbildung auf dem Schwerpunkt Zucht machst, triffts du dich nach der Mittagsstunde mit mir, diese Einheit geht so eine bis zwei Stunden. Es kommt immer darauf an, was ich dir gerade zeigen will. Von 16 bis 17 Uhr ist nochmal Reitunterricht. Natürlich dürft ihr an manchen Tagen auch mal ausreiten. Ihr werdet nicht nur in der Halle oder auf dem Platz reiten. 17 Uhr schieben wir den Tieren was zu fressen in den Hals und danach gibt es denn für uns Essen. 22 Uhr ist Nachtruhe, obwohl ich glaube, dass ihr selten solange wach bleiben werdet. Die frische Luft macht nämlich wirklich müde. Achja und abends wird halt immer besprochen, was am nächsten Tag passieren soll. Das wars eigentlich.

In welche Herde wir deinen Geysir schmeißen, werden wir die Tage sehen. Am besten lassen wir ihn jeden Tag mal mit einem anderen Pferd auf's Paddock."

"Und wenn ich zweimal reiten soll....krieg ich denn einmal ein anderes Pferd?"

"Ja, wir haben hier genug Jung Pferde, die bewegt werden wollen und Routine brauchen. Für solche Sachen ist der tägliche Unterricht perfekt." Herr Wagner schenkte mir ein breites Lächeln, griff nach der Kelle und tat sich noch ein paar Bratkartoffeln auf den Teller.

Langsam durchlief ich nochmal den Zeitplan, den er mir soeben an den Kopf geworfen hatte. Ok, soweit war alles klar.

"Nick?", gab Frau Wagner plötzlich von sich. Mein Sitznachbar sah sie sofort aufmerksam an.

"Du könntest ja morgen in deiner Mittagspause unseren neuen Mädchen den Hof zeigen. Würdest du das machen?"

Er nickte schnell und trank einen Schluck aus seinem Glas.

Gut. Die Sorge war also auch weg. Ich hätte fast gefragt, ob mir hier irgendwer noch den Hof zeigen könnte. Doch das hatte sich ja zum Glück von selbst erledigt.

Nach dem Essen räumte jeder sein Geschirr in den Spüler und verschwand dann aus dem Raum. Doch ich blieb noch. Ich würde ein schlechtes Gewissen kriegen, wenn ich Martha hier allein lassen würde. Zumal sie mich so herzlich behandelte. Sie sagte mir zwar tausend Mal, dass ich nicht hätte helfen müssen, doch ich bestand darauf.

Nachdenklich lag ich einige Minuten später in meinem Bett und sah an die Decke. Das war also mein Zuhause für die nächsten drei Jahre. Wieder kam ein leichter Anflug von Heimweh und ein kleiner Kloß bildete sich in meinem Hals. Im Moment wollte ich mein Pferd am liebsten aufladen und nach Hause fahren. Ich vermisste meine Familie und meine Freunde. Nach dem Abi hatten wir nur noch selten Kontakt und ich sah uns schon auseinander rennen. Nur noch mit Jessica und Pauline hatte ich recht viel Kontakt. Wenigstens einmal pro Woche schrieb ich mit ihnen. Oh Man, ich vermisste die Schulzeit. Alles hatte sich von allein organisiert und man sah jeden Tag seine Freunde. Nachdenklich setzte ich mich auf, und sogleich kullerte eine Träne über meine Wange.

Genervt verdrehte ich meine Augen. Warum heuelte ich auch immer so schnell? Ich hasste es so sentimental zu sein. Naja, das hatte ich wohl geerbt. Viele in meiner Familie waren nah am Wasser gebaut....In meinen Gedanken versunken, bekam ich fast gar nicht mit, wie es an der Tür klopfte.

"Melanie? Ich bin's Nick.."

Oh Scheiße, warum kam er ausgerechnet jetzt?! Hastig fuhr ich mit meinem Ärmel über mein Gesicht.

"Ja?"

Vorsichtig öffnete er die Tür und kam in mein Zimmer. In seiner Hand, hielt er einen kleinen Zettel. Sanft lächelte er mich an.

"Hier, ich dachte, dass du den brauchen könntest."

'Wlan - Schlüssel', las ich nur und musste auch lächeln.

"Danke, den kann ich sehr gut gebrauchen."

Kurz sah ich ihn an und dachte nicht an meine nassen Augen. Man wie ich es hasste, vor fremden Leuten zu heulen. Schnell sah ich wieder auf mein Bett.

"Ist alles gut?", hörte ich ihn auch schon fragen.

"Ja, ist nur ein bisschen Heimweh. Sonst nichts weiter."

Gott, ich kam mir hier vor, wie das blödste Kind, was nicht mal einen Tag ohne seine Eltern sein konnte...

"Falls du nicht allein sein möchtest, kannst du auch gern zu mir mit rüber kommen...", bot er mir an, doch ich schüttelte den Kopf. Ich war wirklich K.O.

"Danke, das ist lieb. Aber ich denke, ich sollte lieber schlafen. Die lange Autofahrt war anstrengend."

Nickend resignierte er meine Antwort und verließ mit einem kurzen "Nacht", mein Zimmer.

Go for it! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt