Schwarz und Gold

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Still lag das Land weit unter ihm da. Nichts rührte sich außer dem Gras, das der Wind seiner Flügelschläge zur Seite trieb. Selbst aus dieser Höhe, nur knapp unter den Wolken, hatte er Einfluss auf das Leben am Boden. Er konnte jeden Grashalm einzeln beobachten, wie er sich unter den Luftmassen zu Boden bog.
Zufrieden brummte er und stieg auf. Er tauchte in die Wolken über ihm und Wasser benetzte für einen Moment seine Schuppen. Doch der Flugwind trieb es beinahe sofort wieder herunter und unter den Wolken sah man im leichten Sprühregen das gebrochene Licht.

Ein lautes Brüllen durchbrach den Frieden und er knurrte leise. Er ahnte, was folgte, wurde langsamer und hielt auf einen niedrigen Hügel zu. Das grüne, lebendige Gras wurde unter seinem Gewicht zerdrückt, die Blumen dazwischen umgeknickt und in die Erde gepresst.
Er sah in den Himmel und erkannte einen bunten Punkt, der ein Stück über ihm schwebte. Ein junger Drache, kaum größer als seine Klaue, dessen goldene Schuppen im letzten Licht des Tages glänzten.
"Was willst du, Anfänger?", knurrte er. Der andere sank ein Stück herab.
"Ich will gegen dich kämpfen, Schwarzer Schrecken, denn du bist eine Bedrohung derer, die nicht fliegen können.", brüllte er. Effektvoll schüttelte er den Kopf, die Schuppen waren blank poliert, und fletschte die Zähne.
"Junge, lass es. Du wirst nur verlieren."
"Ich verliere nicht. Ich bin ein Nachkomme des legendären Kriegers der roten Flamme. Ein Nachfahre der ältesten Familie des Drachenlandes und ich..."
"Ich sagte verschwinde, Junge!", unterbrach er harsch. Der Jüngere verstummte und der Schwarze schüttelte fassungslos den Kopf. "Sucht euch Mutproben, bei denen ihr Chancen habt. Noch kannst du die Herausforderung zurückziehen.", erinnerte er ruhiger.
Er bemerkte, dass dieser Drache an einen der Flügellosen gebunden war. Jedoch noch nicht so lange, dass es ihm bereits seine Intelligenz geraubt hatte. Das sichtbarste Zeichen war die Verwendung des Wortes Drachenland, welches allein die Flügellosen nutzten. Wurde ein Drache gefangen, vergaß er einen großen Teil seines Wissens. Darunter auch den Namen des Landes.

Der Kleine lachte grollend. "Ich habe Chancen. Meine Vorfahren haben deinesgleichen gejagt. Und ich werde es ihnen gleichtun. Also, kämpfe!" Ein weiterer Beweis, dass er verloren war. Diesen hier konnte er nicht retten.
Der Schwarze schnaubte, als der Jüngere im Sturzflug zu ihm kam. Aber er erreichte ihn nicht ganz, denn als er nah genug war streckte der Schwarze die Klaue aus, riss den Goldenen aus der Luft und zermalmte ihn am Boden. Der junge Drache war sofort tot.
"Wir wurden nie gejagt.", brummte der Sieger. Er bedauerte den Tod des anderen und empfand gleichzeitig Wut auf die Flügellosen, die seinesgleichen in Ketten legten. "Du wusstest das einmal."

Dennoch fiel es ihm leicht, die Klaue zu heben und den Hals des Gegners aufzuschlitzen. Dunkelrotes Blut quoll noch aus der frischen Wunde, doch bald würde es versiegt sein, ein Teil des Landes. Aus einem kleinen Hautbeutel  am Übergang von Hals zu Körper zog er einen blass leuchtenden Kristall hervor und betrachtete ihn zwischen den Spitzen zweier Krallen. Noch war die Kraft des Jungdrachen frisch, der Kristall strahlte golden. Doch er war klein, winzig. Der Angreifer war kaum zehn Jahre in der Luft gewesen, bevor er sich diese Herausforderung gesucht hatte.
Aber er hatte die Regeln trotz seiner Gefangenschaft gekannt, darum leuchtete der Stein. Seine Lebenskraft war darin übergegangen und würde so an den Sieger gehen. Der ließ den Stein in seine Klaue rollen und erhob sich wieder in die Luft.

Dabei rissen einige Büschel Gras aus der Erde und erhoben sich in die Lüfte. Von einem Lufthauch getragen, der nicht aus dem Schlagen seiner Flügel stammte, flogen sie geheimnisvoll in eine entfernte Richtung. Veränderung... Ein Wort, das sie ihm zuzuflüstern schienen.

Doch Khan schüttelte den Kopf. Auch seinen Weg legte der Wind fest und nun hatte er aufgefrischt und führte ihn nach Osten, fort von den letzten Strahlen der Sonne und fort von den Gräsern im Wind. Veränderung würde es nie mehr geben. Dafür war gesorgt worden...

KeeperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt