Erkenntnis

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"Du hast also einen Wächter gezähmt, Kind." Der Mann lachte während der rote Drache im Hintergrund keine Regung zeigte. Er war riesig. Gößer als alle lebenden Drachen, die Khan je gesehen hatte. Der Wächter zweifelte, dass der Jäger ihn gezähmt hatte, als er dieses Alter bereits erreicht hatte. 
"Warum denn so schweigsam, Schwarzer Schrecken? Du solltest dich freuen dich als gezähmter Drache bezeichnen zu dürfen."
"Ich habe ihn nicht gezähmt..." Lyn saß noch immer an der Wand, zusammengesunken und Eiszahn in Griffweite, doch unfähig sich zu bewegen. Der Jäger besaß stärkere Magie als erwartet. "Wir sind Freunde."
"Man kann nicht mit einem Tier befreundet sein.", widersprach der Jäger. Ein Feuerball bildete sich in seiner Hand und er schritt langsam, beinahe erhaben auf Lyn zu. "Und so ein Mischling wie du sollte eigentlich nicht existieren."

"Weg von ihr!", knurrte der Schwarze und kämpfte mühsam gegen die Ketten, die sich um seine Beine schlangen. Der steinerne Boden splitterte, als sie hart aufschlugen, doch nahmen selbst keinen Schaden. "Lass das Drachenblut in Ruhe, Jäger."
"Jäger..." Bedächtig wiederholte er das Wort und sah hoch. "So nennt ihr uns also. Jäger." Er zuckte mit den Schultern. "Ein treffender Begriff, immerhin jagen wir das Böse."
"Seit wann sind Drachen das Böse?", fauchte Lyn, was in ihrer Position jedoch nicht bedrohlich klang. Der Jäger wusste dies und ignorierte sie. 
"Weißt du, Wächter? Ich könnte sie einfach hier und jetzt umbringen, deine 'Freundin', und niemand würde es je erfahren. Die Drachen verlieren diesen Kampf und müssen sich wieder verstecken. Im Wald. In den Bergen. Wie nannten ihr den Kessel noch gleich? Zuflucht?"

"Woher weißt du davon?", knurrte Khan. Er kannte den Jäger nicht und kein Jäger konnte von dem Versteck in den Bergen wissen. Kein Drache, der gezähmt war, war je dort. Es waren nur Gerüchte, die durch die Welt geisterten. Er selbst kannte die Zuflucht nur daher, dass dort eins der Sitz der Bedrohung war. Doch der Ort hatte sich während seines Todes verändert. Die hohen Kuppeln waren abgetragen worden, die gigantische Halle hatte ihr Zelt verloren.
"Ich kenne  die Zuflucht. Das, was ihr aus dem Zentrum der Schatten gemacht habt, Drache. Und ich kenne dich. Besser als du." Der Jäger baute sich vor ihm auf. Grinsend ließ er den Feuerball verschwinden.

"Ich bin zwar mit den Mig gekommen, aber ich kenne dieses Land besser als sie. Ich war hier schon einmal. Ich wurde hier geschaffen. Das Gleichgewicht zwischen hell und dunkel. Tag und Nacht. Nun, errätst du es?"

Fassungslos starrte Khan auf den Jäger. Dunkler Nebel drang um ihn herum aus dem steinernen Boden. Wie Ranken wickelten sie sich um die Ketten, kühlten sie ab, so dass es war, als seinen sie aus Eis. Der Nebel erkundete den Raum, wuchs am Boden entlang die Wände hinauf bis an die Decke. Die blauen Flammen verloschen, kaum dass er sie berührte. 
Er sah zu Lyn. Die Schuppen verhinderten, dass der Nebel sie erreichte. Das Licht widersetzte sich der Dunkelheit. Eiszahn glühte in kaltem, blauen Licht, Glutschein, der Schild, legte sich von ihrer Hand über den ganzen Körper. Warmes, gelbes Licht. Weißes Licht. Blaues Licht. Als seien die Schöpferdrachen noch immer in der Welt, nicht nur ein Zahn und eine Schuppe.

"Khan... Was ist hier los?" Sie bewegte sich noch immer nicht. Nur die Magie schützte sie. Doch wie lange würde es noch funktionieren? Die Schatten lebten von der Magie. Doch sie konnten nur von jener zehren, die sich im inneren der Festung befand. Die Toten, die Lyn auf ihrem Weg hinterlassen hatte fielen weg. Die Drachen waren draußen und im Licht der Sonne.
"Keine Sonne, nur Regen und Sturm." Als hätte er seine Gedanken gelesen. 
Khan brummte. Keine Sonne, er hatte recht. Es gab kein Licht, dass die Schatten stoppte. "Der Sturm ist dein Werk, nicht wahr? So viel Zufall kann es nicht geben, dass ausgerechnet heute, wenn wir angreifen, eine Sturmfront über die Mitte Aqanas zieht." Er knurrte. "Warum habe ich es nicht bemerkt. Die Magie im Ring... niemand könnte den Geist eines Wächters verwirren. Du hast uns in eine Falle gelockt." Nun sah er wütend zu dem Drachen. Noch immer unbewegt stand er da, als sei er eine Statue, kein lebendes Wesen. Doch die Magie verriet ihn - und die Schatten hielten sich dennoch fern. "Und du hast ihm geholfen."

Endlich regte sich etwas in dem anderen. Der Rote wandte den Kopf zu Lyn, dann Khan. "Ich hatte keine Wahl. Er drohte mir..."
"Und du hattest nicht den Mut zu sterben? In die Nebel zu gehen und sie zu durchschreiten?" Khan war wütend. Er mochte den Roten nicht kennen, aber es war der Instinkt eines jeden Drachen, frei zu sein. Keine Ketten, keine Bindungen.
"Ich habe den Mut verloren als er mir bewies, dass man frei sein kann und gleichzeitig zusammenarbeiten." Der Rote senkte den Kopf. "Ich bin nicht gezähmt, Herr der Himmel, wie du bin ich frei."
"Du vernichtest dein eigenes Volk!"
"Nein, nicht alle." Der Rote hob den Kopf wieder. "Ich kann entscheiden, wer gerettet wird. Ich tue das nur für sie!"

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