Einmal alle drei Monde führte sein Weg zu den Flügellosen. Im Gegensatz zu vielen anderen Drachen hatte er sie zwar akzeptiert, als sie in ihr Land gekommen waren, jedoch würde er sich nie binden lassen. Es widersprach der Natur eines Drachen, sich an einen der Flügellosen zu binden - zumindest war dies seine Ansicht. Gerade, da die Flügellosen so exzessiv nach seinesgleichen jagten.
Aber es zog ihn doch zu ihnen. Immer im gleichen Abstand und immer sah er den Schrecken in ihren Augen. Die Flügellosen fürchteten sich allein vor seinem Anblick. Die schwarzen Schuppen, die roten Augen, die weißen, mit rotem Schimmer überzogenen Flügelhäute.
'Schrecklicher' nannten ihn einige kurz, 'Schwarzer Schrecken' andere. Doch die meisten kreischten nur und rannten weg.Er schüttelte den Kopf. Noch nie hatte er einen von ihnen mutwillig getötet, doch die Geschichten der Drachen taten ihren Teil. Die Geschichten über die schwarzen Drachen, Überreste des Bösen, das einst auf dem Kontinent herrschte und vom Feuer der vereinten Drachen ins Meer getrieben wurde. Geschichten, die die Bindung zu den Flügellosen in ihre Köpfe setzte, geboren aus der Angst vor der Dunkelheit und allem was schwarz ist. Dabei war die Bezeichnung als Erbe der Schatten nichts weiter als das.
Er tat nichts gegen diese Geschichten. Selbst die Jagd auf die Schwarzdrachen war nicht mehr als eine Geschichte. Die Wahrheit war, dass die Schwarzen selten waren, dafür aber länger als die anderen Drachen lebten. Eine Ewigkeit gab es nicht. Niemand konnte für alle Zeit leben. Doch ihre Lebensspanne reichte weit über die der Flügellosen.
Neben ihm selbst wusste er nur von zwei weiteren Schwarzdrachen, jedoch waren es noch Drachlinge die bei einem Weißdrachen lebten. Ein wilder Drache, der seine Jungen nicht wegen der Farbe der Schuppen verstieß, wie es bei manchen seiner Art üblich war.
Niemand wusste woher die plötzliche Färbung kam, denn auch zu zwei Schwarzdrachen kamen bunte Eier, aus denen bunte Drachen schlüpften.
Wie viele mochte es geben, deren Eltern Schwarzdrachen waren, aber die unter den bunten Drachen lebten. Unwissend ihrer Herkunft.
Viel zu wenige wussten noch von der Wahrheit, selbst unter den wilden.Ein Dorf kam in sein Blickfeld. Rauch stieg auf und hohe Schreie trug der Wind zu ihm. Es verbrannten Holz und Fleisch, identifizierte er. Die Flügellosen feierten wohl wieder ein Fest. Oft verbrannten sie auch Beute um Drachen anzulocken. Diese wollten sie fangen und zähmen, wenn sie nicht von selbst blieben.
Sein Interesse genügte nicht und er wollte gerade abdrehen, als er einen weiteren hohen Schrei hörte. Es schwang Verzweiflung mit und Wut. Irritiert wurde er langsamer und beobachtete das Dorf.Zwischen den Häusern war eine freie Fläche. Viele der Flügellosen hatten sich dort versammelt. In ihrer Mitte loderte ein gewaltiges Feuer und viele hielten kleine Fackeln in den Händen.
Einige rissen an einer der ihren herum. Zogen und trieben sie zum Feuer, wie er es bei dem Umgang mit Tieren beobachtet hatte. Und wie die Tiere schrien, wenn die Flügellosen sie trieben, so schrie auch diese.Er legte den Kopf schief und konzentrierte sich auf die weibliche Flügellose. Sie trug einen Stofffetzen, wie viele der anderen, doch ihr Haar war weiß, wie Schnee auf den Gipfeln der Berge. Wütende, violette Augen sahen über die Menge, doch auch Verzweiflung glitzerte darin. Der Duft von Angst umhüllte sie.
Um ihren Hals lag ein silberner Reif, der jedoch aus einem unedlerem Metall war, und es gingen nur kurze Ketten davon aus. Daran zerrten die anderen Flügellosen.Er richtete den Kopf wieder gerade. Sein Alter hatte ihn gelehrt die Flügellosen sich selbst zu überlassen, sich nicht in ihre Belange einzumischen - doch das Weibchen brauchte seine Hilfe, daran gab es keinen Zweifel - und er hatte den Drang ihr zu helfen.
Er brüllte und jagte auf das Dorf zu.
Die Flügellosen stoben auseinander, jene, die sie zum Feuer gezerrt hatten fiel in den Staub und sah nach oben. Die violetten Augen wirkten rot im Schein des Feuers. Einen Moment starrte sie ihn an, beinahe Dankbarkeit meinte er zu erkennen, doch so schnell wie er gekommen war, war dieser Moment auch wieder vorbei. Sie sprang auf und rannte auf dem kürzesten Weg zu den nahen Bäumen, die einen kleinen Wald bildeten.
Er brummte und spürte genau, dass sie nicht vor ihm floh sondern die Gelegenheit nutzte um von ihresgleichen zu fliehen. Ob er sie entkommen lassen sollte, überlegte er sich noch einen kurzen Augenblick, während die Flügellosen aus einer Scheune eine Balliste zogen und mit dem eingelegten Pfeil auf ihn zielten.Er brüllte, die Schützen erschraken sich und der Pfeil, ein dünnes Gebilde aus einem weißen Metall, am vorderen Ende eine gedrehte Spitze, geschaffen um die Schuppen und Haut der Drachen - aller Drachen - zu durchschlagen, verfehlte ihm um eine Flügelspanne. Eine solche Waffe war zum Glück nur in kleineren Dörfern verbreitet.
Ein kurzer Feuerstoß auf die Todeswaffe besiegelte ihr Ende und er drehte ab. Mehr brauchte er auch nicht zu tun. Die Flügellosen diese Dorfes würden nun eine neue Geschichte über den Schwarzen Schrecken zu erzählen haben und er hatte eine der mörderischen Waffen zerstört.Zufrieden brummte er, während er nach dem Weibchen suchte. Schnell fand er sie am Waldrand, fort von ihresgleichen und immer weiter auf dem Weg in den Wald. Kam sie weiter, konnte er ihr nicht mehr folgen.
Lachend brummte er, stieß hinab und umschloss sie mit seiner Klaue. Sanft, als trüge er eine Blume, hielt er sie und nutzte seinen Schwung, um zurück in den Himmel zu kommen, nicht ohne noch die Wipfel einiger Bäume abzureißen.
Vielleicht würden es auch zwei Geschichten werden.
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Keeper
FantasyIn einer Welt, in der Drachen über den Himmel ziehen wie Vögel, war es immer Lyns Wunsch einmal mit ihnen zu fliegen. Dass die Idylle jedoch nur Illusion ist, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. In einer Welt, in der Drachen über den Himmel ziehen wi...