Fragen

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"Drache? Drache! Wach auf! Los!"
Schwer öffnete er ein Auge. Die Flügellose stand vor ihm, sah ihn wütend an.
"Was?", knurrte er. Er mochte es nicht, geweckt zu werden. Und er mochte keine Flügellosen. Vor allem nicht so nah. Sollte er sie vielleicht einfach aus der Höhle werfen?
"Du hast mich einfach stehen lassen. Was fällt dir eigentlich ein! Und warum kannst du sprechen? Und gerade mit mir?"
Er knurrte und hob den Kopf. Sie war so klein, sie füllte nichteinmal den hohlen Zahn, dachte er sich, dann schüttelte er den Kopf.
"Ich war müde. Das war ein langer Flug." Zur Bestätigung riss er das Maul auf und gähnte. "Außerdem kann jeder Drache sprechen. Mit jedem, mit dem er sprechen will."
"Von wegen. Nur Reiter können mit Drachen sprechen." Sie klopfte auf den Ring an ihrem Hals. "So war es schon immer."
"Ach ja? Du bist aber kein - wie sagtest du? - Reiter? Oder doch? Und wenn, wo ist dann dein Drache?" Er mochte es nicht, einem Flügellosen einen Drachen zuzuweisen, aber sie wollten es so. "Und was soll das Halsband?"

Sie schwieg, sah ihn wütend an, dann traurig, dann ließ sie sich auf die Knie fallen. Sie schloss die Augen und breitete die Arme aus. "Erlöse mich, Drache. Lass es vorbei sein."
Er drehte den Kopf. Offenbar hatte sie den Verstand verloren. Er erwog erneut, sie einfach aus der Höhle zu werfen. Aber dann verwarf er den Gedanken wieder und sah zum Gang, der von seiner Ecke in die Haupthöhle führte. "Du bist verrückt.", stellte er fest, worauf sie schnell wieder die Augen öffnete. "Hol mir lieber ein paar rote Bohnen. Das Vorratslager ist der Raum links."

"Also, was soll das Halsband?", wiederholte er seine Frage. Die Flügellose hatte ihm drei der Bohnen gebracht, eine hatte er ihr zugeschoben.
"Das ist kompliziert." Die Frucht war halb so groß wie sie selbst, doch einen Drachen seiner Größe sättigte es für eine ganze Weile. Trotzdem sollte er Nahrung für sie auftreiben, wenn sie blieb.
"Na schön, das ist deine Sache. Sagst du mir wenigstens, warum die anderen dich zum Feuer getrieben haben?"
"Sie wollten wissen, ob es stimmt."
"Stimmt? Was denn?"
Sie sah von der angeknabberten Bohne hoch. "Na, ob ich feuerfest bin."

"Ich weiß, dass dein Volk merkwürdig ist, aber das ist doch sehr unwahrscheinlich.", brummte er. "Also lügst du. Aber es kann mir auch egal sein."
"Aber es stimmt." Sie kratzte an dem Reif. "Feuer kann mir nichts anhaben. Versuch es."
Misstrauisch sah er sie an. Ihr Blick war ernst und unterstützte ihre Worte. Dann stieß er einen Schwall seines Feuers aus und hüllte sie in die rotschwarzen Flammen. Als es versiegte saß sie noch immer vor ihm, die Bohne und der Stoff fielen als Asche zu Boden, sie jedoch hatte nicht einmal einen Kratzer. Und auch das Metall war nicht heiß geworden.
"Siehst du." Sie sah an sich herab, dann schlang sie schnell die dünnen Arme um den Körper. "Du hast hier zufällig ein Ersatzkleid?"
"Nein. Sowas brauche ich nicht." Es wunderte ihn, dass das ihre einzige Sorge war. Immerhin war sie gerade von ihm verbrannt worden. Nachdenklich legte er den Kopf auf die Klauen. "Feuer kann dir also nichts anhaben...", murmelte er. "Vielleicht..." Schnell schüttelte er den Kopf. "Nein, das sind nur alte Geschichten."

"Ja, die Geschichten vom Drachenblut kenne ich." Er sah sie an. Überrascht, denn die Geschichten wurden nur von den ältesten der wilden Drachen erzählt. Selbst dort nur von wenigen und ausschließlich in langen, kalten Winternächten.
"Ach ja? Woher denn? Du siehst nicht aus, als hättest du dich mit einem Rag unterhalten."
"Rag?"
"Ein alter Drache. Die ältesten unseres Volkes. Also?"

Sie schwieg, senkte den Kopf, dann klopfte sie wieder an den Ring. "Ich trage ihn nicht freiwillig.", erklärte sie und sah ihn an. Trauer lag in den violetten Augen und zerstörte fast die schöne Farbe. Es erinnerte ihn an die Amethyste in den Bruthöhlen der Felsdrachen. "Die Reiter haben ihn mir angelegt. Magie verhindert, dass ich ihn ablegen kann oder dass er zerstört wird."
Er hörte zu und folgte aufmerksam der Erzählung.
"Ich wollte immer eine von ihnen sein, weißt du? Aber wenn man ein Reiter werden will muss man einen Drachen zähmen. Bei mir... bei mir ist nie einer geblieben. Ich habe ihnen vertraut, aber sobald ich sie auf die Jagd entließ verschwanden sie.
Die Reiter wurden wütend und beschimpften mich. Ich sei unfähig und naiv, sagten sie.
Ich wollte sie verlassen und meinen Traum vergessen, doch sie ließen mich nicht.
Eines Nachts wurde ich überfallen und sie legten mir den Ring an. Von da an war ich nicht mehr wert als das Vieh, das die Drachen jagten." Sie stoppte einen Moment und er bedachte ihre Worte. Ihm erschloss sich der Sinn nicht jemanden zu behalten, der für unfähig befunden wurde. Nicht, dass einige Drachen es anders machten. Schwache Drachlinge wurden in einigen Gruppen von den Müttern gefressen, wenn die Nahrung knapp wurde. Man behielt sie nicht. Sie sahen es als ein zu großes Risiko für den Rest der Gruppe. 
"Ich war über Jahre ihre Gefangene, aber irgendwann konnte ich fliehen. Ich rannte einfach fort als meine Bewacher für einen Moment abgelenkt waren und versteckte mich vor ihnen. Sie haben mich aber nicht gejagt. Sie ließen es das Volk tun indem sie mich als Verräterin bezeichneten. So bin ich den Dorfbewohnern in die Hände gefallen. Sie wollten mich umbringen - oder Schlimmeres."

Irritiert sah er an ihr vorbei. Was sollte den schlimmer sein als der Tod. Nichteinmal der Tod war das Ende des Lebens. Rajus Welt der Nebel folgte und dort war das Leben wahrhaft endlos. Jeder der durch eine Waffe starb gelangte dorthin. Nicht nur Drachen.
Er sah auf sie hinab. Es war natürlich auch möglich, dass sie das nicht wusste. Rajus Nebel war nichts, was die Flügellosen verstehen würden. "Sie wussten nicht, dass Feuer dir nichts anhaben kann. Du wolltest nur eine Antwort auf die Frage, die dich seit der Entdeckung quält.", stellte er fest und lenkte sich von seinen eigenen Fragen ab. Sie fingen doch bereits seit so vielen Jahren Drachen. War es wirklich möglich, dass sie die Nebel leugneten?
Sie nickte.
"Und darum hattest du auch keine Angst vor mir. Du kennst Drachen." Warum leugneten sie die Nebel?
"Ja. Nein." Sie schüttelte den Kopf. "Noch nie hat ein Drache mit mir gesprochen. Ich dachte nur, du bringst mich zu den Reitern zurück."
"Tja, nun bist du hier." Er hob den Kopf und streckte die Flügel. "Willst du bleiben? Dann brauchst du noch ein paar Sachen." Wenn du bleibst kann ich dir mehr über die Nebel erzählen. Wenn du davon weißt fürchtest du das Ende deines Körpers nicht mehr, fügte er für sich an.
"Sachen?" Sie sah an sich herab, dann versteckte sie ihren Körper wieder notdürftig. Es war ihr mehr als nur unangenehm ohne Stoff von ihm gesehen zu werden.
"Kleider, Nahrung, einen Namen.", zählte er auf und überlegte was sonst noch fehlte. Eine Schlafstelle brauchte sie auch noch.
"Ich habe einen Namen!", rief sie entrüstet. "Ich heiße Lyn."

Er sah zu ihr hinunter."Oh, das wusste ich nicht." Sollte er? "Mein Name ist Khan. Also, was brauchst du?"

KeeperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt