20.Widerspenstiges Medaillon

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Für wenige Augenblicke erschien es mir, als würde sich die Erde einige Sekunden nicht mehr drehen. Alles erreichte mich nur durch einen dichten Nebel, der jegliches Geräusch verschluckte. Starr blickte ich auf den sich vor Schmerzen krümmenden Ron und das von Blut durchtränkte Hemd. Zudem bemerkte ich Hermines Silhouette, die sich verzweifelt über den verkrampften Körper beugte und wie sie Harry etwas zurief.
„Alex... ich...ich will nicht, dass du gehst."
„Versprich es mir, meine kleine... Prinzessin. Lass mich gehen...werde glücklich auch ohne mich."

Stumpf hallten diese Worte in meinen Kopf umher und anstatt des Rotschopfes, erschien vor meinem inneren Auge der leblose Körper meines Bruders. Wie er in jener Nacht in meinen Armen starb und mir dieses Versprechen abrang.
„Lia!", rief jemand meinen Namen und packte mich an meinen Schultern. Langsam verschwand die grausame Szenerie von vor einigen Jahre und machte für Leon besorgtes Gesicht platz, welches genau vor meinem war. Desorientiert sah ich ihn an und musste ein paar blinzeln, um ihn klar vor mir erkennen zu können.
„Geht es wieder?", fragte mich mein Beschützer mit sorgenvollen Augen und entspannte sich sichtlich. Zögernd nickte ich und versuchte krampfhaft den Kloß in meinem Hals herunter zu schlucken. Vorsichtig ließ mich mein bester Freund daraufhin los und trat aus meinem direkten Sichtfeld an meine Seite. Anscheinend musste ich einige Augenblicke nicht anwesend gewesen sein, denn gerade beendete Harry den Aufbau eines kleinen Zeltes, während Hermine in einiger Entfernung, so wie es aussah, Schutzzauber ausführte. Ron hingegen lag mit einer einbandagierten Schulter auf den von Laub bedeckten Waldboden mit geschlossenen Augen. Seiner Atmung nach zu urteilen, schlief er, denn ab und zu hörte man ihn leise ächzen.
„Thalia, geht es dir wieder besser?", kam es von Hermine, die gerade wieder auf den Weg zu uns war und den violetten Blazer von Mafalda Hopfkirch auszog.
„Ja...alles in Ordnung", meine Stimme war nicht mehr als ein leises Krächzen zu Beginn, weshalb ich mich ein paar Mal räuspern musste. Da mir die Blicke der beiden unangenehm waren, wandte ich meinen Blick auf den Boden zu Samira. Doch auch ihr Blick war bohrend und ließ mich nicht außer Acht. Deshalb richtete ich meinen Kopf in die Richtung des Zeltes, um von der für mich unangenehmen Situation ablenken zu können.
„Ist das ein magisch vergrößertes Zelt, Hermine? Von wem hast du es?", lenkte ich von mir ab und deutete auf die Außenplane, die Harry mit Metallstäben im Boden verankerte.
„Mr Weasley hat es mir angeboten, nachdem er von unserem Vorhaben erfahren hatte. Er meinte, wir könnten es vielleicht gebrauchen", antwortete mir meine beste Freundin und trat dann an Ron heran.
„Wir müssen ihn in das Zelt bringen. Seine Schulter ist zersplittert", murmelte das braunhaarige Mädchen eher zu sich selbst, als an jemanden von uns gewandt. Verwirrt runzelte ich die Stirn und blickte erst zu Leon und dann zurück ihr.
„Wie ist dies gekommen?"
Überrascht von meiner Frage drehte sich Hermine wieder zu mir um, ehe sie sich nervös durch das Haar fuhr.
„Wir waren schon fast alle wieder am Grimmauldplatz, doch da bemerkte ich, wie sich dieser Yaxley an Ron festhielt und bereits das Straßenschild sowie die Hausreihe gesehen haben muss. Ich... ich bin in Panik geraten und habe uns hier her gebracht. Wir waren hier vor drei Jahren, als die Quidditch-Weltmeisterschaft stattfand. Warum auch immer, habe ich an diesen Ort gedacht", fasste sie für mich die Situation kurz und knapp zusammen. Anschließend blickte sie dann in den Wolken verhangenen Himmel, der in der nächsten Zeit ein Unwetter bringen könnte.
„Ich finde, wir sollten alle hinein in das Zelt gehen und dort alles weitere besprechen", durchbrach Leon die Stille und erhielt von uns Mädchen ein zustimmendes Nicken. Gerade in dem Moment trat der dunkelhaarige Junge von dem hinteren Teil unserer neuen Behausung weg und kam mit schnellen Schritten auf uns zu. Gemeinsam trugen wir den Rotschopf in das Innere des Zeltes und legten ihn nach einigen Metern auf ein altes Feldbett ab. Um ihm ein bisschen Ruhe zu gönnen, zogen wir uns in den großen Vorraum zurück und ließen den Vorhang zufallen. Eine Zeit lang blieben wir alle still und betrachteten entweder die Maserung des Holztisches oder die karge Inneneinrichtung. Einzig und allein Hermine verursachte ein paar Geräusche, als sie auf einer kleinen Feuerstelle einen Kessel voll mit Wasser und Kräutern für einen Tee ansetzte. Nach wenigen Minuten schwebten vier braune Tontassen zu uns auf den Tisch und hinterließen dabei eine Spur aus gutriechenden und beruhigend wirkenden Dampfschwaden.
„Was war da draußen los gewesen, Thalia? Du wirktest ganz so, als ob du nicht mehr hier bei uns wärst", durchbrach Harry schlussendlich die Stille und umschloss dabei den krummen Henkel seiner Tasse fester.
„Harry, ich weiß nicht-"
„Ist schon gut, Hermine", unterbrach ich das Mädchen mit den lockigen Haaren. Konzentriert besah ich die Einkerbungen des Tisches an meinem Sitzplatz, bevor ich dem Jungen mit den grünen Augen antwortete.
„Die ganze Situation hat mich an die Nacht vor über sechs Jahren erinnert. Das Blut...die Verletzung...die Schmerzen", fuhr ich mit zittriger Stimme fort und umschloss die dampfende Teetasse. Selbst nach all der Zeit und anderen Dingen, die ich erlebt hatte, war es für mich immer noch eine Überwindung über das Thema zu reden.
Zu meinen Füßen bemerkte ich, wie Samira sich an mich schmiegte und mich mit ihrem Schnurren beruhigen wollte. Harry antwortete auf meine Aussage nichts, doch bemerkte ich seinen schuldbewussten Blick in meine Richtung.
„Du musst dich nich schuldig fühlen, Harry. Immerhin konntest du es nicht erahnen", besänftigte ich ihn und sah von dem Tisch auf.
„Was werden wir nun als nächstes unternehmen, jetzt da wir das Medaillon haben?", richtete ich mich an die anderen und straffte meine Schultern. Kurz blickte Hermine zu Harry und dann zu Leon, ehe sie sich räusperte.
„Wir müssen einen Weg finden, den Horkrux im Inneren zu zerstören. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass dies nicht gerade einfach wird."
„Dumbledore hat es geschafft und gemeinsam werden wir das auch", versuchte Harry uns aufzubauen, obwohl sein Gesichtsausdruck eher zweifelnd als überzeugend war.
„Aber nicht mehr heute. Ich schlage vor, wir essen noch kurz etwas und klären morgen alles weitere, wenn Ron dabei ist", fuhr der dunkelhaarige Junge fort und stand von seinem Platz auf. Schnell taten wir es ihm gleich und bereiteten in einem kleinen Kessel vor dem Zelt einen Eintopf vor, den Hermine schon fertig in Dosen verpackt in ihrer Handtasche hatte.
Nachdem wir alle gesättigt waren, gingen wir in den Raum zurück in dem Ron noch immer tief und fest schlief und legten uns in die anderen Betten. Gemeinsam mit Samira an meiner Seite sank ich in einen traumlosen Schlaf, während die ersten Regentropfen auf die Außenplane fielen. Eine beruhigende Melodie in unruhigen Zeiten.

Engel der Finsternis (II.Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt