36.Bestialischer Kampf

44 9 4
                                    

Immer noch überfordert mit der ganzen Situation, blickte ich zu Hermine und Leon. Auch auf ihren Gesichtern zeichnete sich das Gefühl des Unbehagens wieder.
„Diese Frau, ihre Aura. Irgendetwas stimmt hier nicht", meinte Leon flüsternd und ließ Harry, der bereits das Gelände verlassen hatte, nicht aus den Augen. Und obwohl mein bester Freund leise gesprochen hatte, schien es ganz so, als hätte ihn die ältere Hexe gehört zu haben. Ihre, tief in den Augenhöhlen liegenden Augen, huschten ruckartig in Leons Richtung und fixierten ihn wie ein Raubtier. Eine unangenehme Gänsehaut überkam mich und ließ mich frösteln. Augenblicklich lagen sie starren Augen der Frau auf mir und musterten mich eingehend.
„Leute mir gefällt das auch nicht, ganz und gar nicht. Aber wir dürfen Harry nicht allein lassen. Wir finden einander sonst nicht mehr wieder, wenn wir uns jetzt trennen. Aber ich stimme dir zu Leon, irgendetwas stimmt hier nicht", meinte Hermine neben mir und rieb sich nervös die behandschuhten Hände. Ohne auf eine Antwort von uns zu warten, folgte sie dem dunkelhaarigen Jungen, wenn auch mit bemerkbaren Widerwillen. Seufzend blickte ich empor in den Himmel und schickte ein kurzes Stoßgebet nach Hellmir, ehe auch ich loslief.
„Thalia, wo willst du hin? Sag bloß nicht, du willst ihnen folgen", hielt mich Leon am Arm zurück und sah mich von der Seite her entsetzt an. Nervös schielte ich zu ihm, ohne diese Bathilda Bagshot wirklich aus den Augen zu lassen.
„Mir gefällt das alles auch nicht. Ich sehe doch Samiras Reaktion und spüre ebenso wie du dieses Unbehagen. Aber wie Hermine sagte, wenn wir uns jetzt trennen, werden wir uns nicht mehr so schnell wiederfinden. Und wir finden uns weder in der Zaubererwelt noch in der Muggelwelt zurecht. Wir brauchen die beiden und sie uns", flüsterte ich ihm noch leiser zu, als er es vorhin bereits getan hatte. Einen Moment lang spürte ich Leons flehenden Blick auf mir, ehe er ihn mit einem Seufzen beendete. Langsam ließ er mich los und stellte sich wieder richtig an meine Seite. Mit einem kurzen Nicken seinerseits liefen wir, angeführt von Samira, auf das Friedhofstor zu. Dort wartete bereits eine unruhige Hermine, welche zwischen uns beiden und der Hexe hin und her blickte. Dabei bemerkte ich auch ihren Abstand zu dieser Frau. Einzig und allein Harry hatte sich ihr genähert und unterhielt sich in dem Moment leise mit ihr. Wobei man eher sagen musste, dass er redete und Bathilda Bagshot ihn nur stumm musterte.
Neben mir zog Leon das kleine eiserne Tor zu, wodurch es mit einem metallenen Klicken in sein Schloss fiel. Sofort lag der Blick der Hexe auf uns vier. Doch anstatt irgendetwas zu sagen, drehte sie sich um und ging den Teil der verschneiten Straße entlang, den wir noch nicht untersucht hatten. Aufgekratzt blickte Harry zu uns, ehe er ihr zügig folgte. Auch wir taten es ihm gleich, jedoch in einem langsameren Tempo.

Stumm zog unsere Gruppe durch das kleine Dörfchen, vorbei an den in Dunkelheit liegenden Familienhäusern und engen Seitenstraßen. Kein einziges Geräusch war zu vernehmen, bis auf das dumpfe Knirschen zu unseren Füßen.
Ab und zu wechselten wir mit Hermine und Leon einen kurzen verunsicherten Blick, doch trauten wir uns nicht, etwas zu sagen. Bathilda Bagshots Silhouette wirkte in diesem diffusen Licht, welches die einzelnen Straßenlaternen warfen leicht schummrig, als wäre sie ein Geist.
Nach einigen Minuten Fußmarsch erreichten wir ein recht großes Grundstück, doch war dieses stark verwildert. Unzählige Büsche und Bäume wuchsen dort vom Schnee bedeckt in alle Richtungen. Jedoch waren die Pflanzen nicht das, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war die verfallene Ruine, deren Grundmauern früher einmal zu einem Familienhaus gehörten. Mit großen Augen musterte ich die dunklen Mauern, als mich ein kleiner Seitenstoß von Hermine aus meinen Gedanken holte. Verwirrt blickte ich zu ihr und bemerkte, wie sie mit ihren Augen von Harry zu dem Gebäude schielte. Und da verstand ich, was dies zu bedeuten hatte. Wir standen hier vor Harrys Elternhaus, dem Ort, wo er geboren und das erste Jahr aufgewachsen war. Bedrückt sah ich zu dem dunkelhaarigen Jungen, der die Klinke des Gartentores fest umschlossen hatte. Es musste schwer für ihn sein, jetzt hier in diesem Moment vor den Ruinen zu stehen, dem Ort, wo seine Eltern starben.
Doch lange verharrte Harry in seiner Starre nicht, denn zügig folgte er Bathildas Gestalt über das Grundstück. Augenblicklich folgten wir ihm, als die alte Frau durch ein dichtes Gestrüpp stieg. Zweifelnd blickte ich zu Hermine, auch sie war nicht sonderlich davon angetan. Und doch setzte sie ihren Weg fort, so wie Leon und ich.
Vorsichtig schob ich einige kleine Äste zur Seite und schlüpfte durch das wirre Unterholz. Hinter mir hörte ich meinen Beschützer leise fluchen, da er größer war als wir anderen und somit mehr Probleme hatte. Die Einzige, die es mit Leichtigkeit hindurch schaffte, war Samira, die grazil durch die Äste sprang. Immer wieder spürte ich, wie sich kleinere Teile des Holzes in meinem Mantel oder meinen Haaren verfingen. Doch hielt ich nicht an und wandt mich umsichtig aus diesem Wirrwarr.
Erleichtert atmete ich auf, als wir endlich aus dem Unterholz getreten waren. Auch Hermine und besonders Leon erging es nicht anders.
„Bei Hellmir, hätten wir nicht außen herum gehen können?", kam es von ihm leise und klopfte sich einige kleine Äste von dem Mantel und Haar. Ehe ich etwas auf seine Worte antworten konnte, fiel mir Harrys Silhouette auf. Mit schief gelegten Kopf betrachtete ich ihn, wie er gerade in einem herunter gekommenen Haus verschwand. Schnell folgten wir ihm hinein und mussten einen kurzen Moment lang stehen bleiben. In dem verfallenen Haus herrschte Dunkelheit, nur ganz wenig Licht drang unter einer der Türen hindurch und durch ein Loch in der Decke. Ein eisiger Schauer überkam mich. Irgendetwas an diesem Ort hier versuchte, auf sich aufmerksam zu machen, doch augenscheinlich spürten Hermine und Leon dies nicht.
„Gemütlich", meinte ich, immer noch leicht fröstelnd und zückte meinen Zauberstab. Meine beste Freundin tat es mir nach und gleichzeitig erschien an deren Spitzen eine kleine Lichtkugel. Suchend blickten wir uns in dem schäbigen Flur nach Harry um, doch konnte man ihn nirgendwo sehen.
„Warten Sie, lassen Sie mich das machen", hörte ich Harry Stimme mit einem Mal aus einem der Zimmer. Beinahe zeitgleich eilten wir drei, gefolgt von Samira, in den heruntergekommenen Raum am Ende des Ganges. Dort entzündete unser Freund gerade eine Kerze für die alte Dame und sah sich mit Hilfe des schmalen Lichts um. Auch ich betrachtete das Zimmer, welches früher einmal ein Salon gewesen sein musste. Die Tapete an den Wänden hing teilweise bis auf den Holzboden herunter. Auch klafften hier und da Löcher sowohl in den Wänden, als auch im Boden oder in der Decke. Alles im allen sah der ehemalige Salon ziemlich mitgenommen aus. Auch die vereinzelten Möbel gaben kein besseres Bild ab. Es schien ganz so, als würde hier schon lange kein Mensch mehr leben und nicht eine alte Frau.
„Mrs Bagshot, wer ist dieser Mann hier auf dem Foto?", riss mich Harrys aufgeregt klingende Stimme aus meinen Gedanken. Schnell wandte ich meinen Kopf in seine Richtung und blickte auf das gerahmte Bild in seinen Händen. Es war eine alte, magische Photographie eines hochgewachsenen Mannes mit hellem Haar und selbstsicheren Grinsen.
Doch anstatt ihm zu antworten, schnappte sich die Hexe die Kerze in einer metallnen Halterung und verließ den Raum über eine angrenzende Holztreppe. Ohne groß zu zögern, folgte der dunkelhaarige Junge ihr, was weder ich noch die anderen für gut hießen.
„Harry!", flüsterte ihm Hermine aufgebracht zu und auch Samira knurrte als Hinweis auf. Seitdem wir das Haus betreten hatten, war sie weiter gewachsen und bestätigte mir damit mein anfängliches Gefühl: Etwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Mit großen Augen verfolgten wir unseren Freund, wie er, ohne etwas zu erwidern, nach oben in den ersten Stock ging.
„Was machen wir nun?", fragte Leon leise und blickte empor an die Decke.
„Umsehen. Etwas anderes können wir nicht machen", erwiderte Hermine ebenso leise und deutete dabei mit der leuchtenden Spitze ihres Zauberstabes auf den Flur und den Raum. Wenig begeistert von dem Vorschlag entfachte mein Beschützer auf seiner Handfläche eine kleine Flamme. Auf ein kurzes Nicken von Hermine hin teilten wir uns auf. Leon blieb im Salon, während wir mit meiner besten Freundin in den düsteren Flur zurückkehrten. An meiner Seite schritt Samira, deren Nackenfell sich gesträubt hatte.
„Mine, mit dem Ort und der Frau stimmt etwas nicht", hauchte ich und deutete dabei auf meine Beschützerin.
„Ich spüre es auch. Aber woran liegt das nur?", antwortete sie mir ebenso leise. Ratlos zuckte ich mit meinen Schultern und blickte den dunklen Flur entlang. Neben mir bemerkte ich, wie Hermine durch eine halbgeöffnete Tür lugte und schließlich das Zimmer betrat. Jedoch folgte ich ihr nicht. In mir war mit einem Mal ein beklemmendes Gefühl erschienen. Etwas schrie in mir, von hier zu verschwinden und doch zog es mich in eine bestimmte Richtung des Hauses. Wie in Trance lief ich vorsichtig den Gang entlang und blieb schlussendlich vor einer modrigen Holztür stehen. Das Gefühl hatte in der Zwischenzeit an Stärke zugenommen und summte nun unangenehm in meiner Brust, begleitet von dem wild trommelnden Schlag meines Herzens. Nur beiläufig nahm ich Samiras Miauen wahr und das sie unablässig versuchte, meine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Doch konnte ich meinen Blick nicht von der Türklinke abwenden und streckte meine Hand nach ihr aus. Das eisige Metall der Klinke brannte beinahe schon auf meiner Haut. Loslassen konnte ich aber nicht, selbst wenn ich es gewollt hätte. Vorsichtig drückte ich diese hinunter und öffnete den dahinterliegenden Raum. Ein bestialischer Gestank kam zum Vorschein und ich konnte nur knapp ein Würgen unterdrücken. Mit einer zittrigen Hand hob ich meinen Zauberstab empor und betrachtete in dessen kühlem Licht den kleinen Raum. Kein einziges Möbelstück, nicht einmal ein Besen befand sich darin. Lediglich ein umgeworfener Stapel an Zeitungen lag auf dem Boden und warf einen unförmigen dunklen Schatten auf den Boden.
„Thalia?", hörte ich mit einem Mal Hermine hinter mir. Doch noch immer konnte ich mich nicht aus meiner Trance lösen. Das Summen wurde immer stärker in meiner Brust und explodierte beinahe in mir. Langsam glitt mein Blick an die Decke und konnte ebenso wenig, wie Hermine, ein Keuchen unterdrücken.

Engel der Finsternis (II.Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt