31.Altes Versprechen

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Die Tage zogen an uns vorbei und bisher hatten wir unser Quartier nicht weiter umgesiedelt. Aus meiner Sicht war dies gefährlich, sowohl für Harry und mich aber auch für die anderen drei. Doch hatte ich dieses Thema nur einmal angeschnitten und dabei artete es in einem schrecklichen Streitgespräch aus.

„Warum ziehen wir nicht weiter Harry, so wie vorher? Es ist nicht sicher, wenn wir so lange auf einem Fleck bleiben", fragte ich den dunkelhaarigen Jungen vor mir. Wir hatten wie beinahe jeden Tag nun ein Trainingsduell und das heutige gerade beendet. Verwirrt musterten mich die grünen Augen meines Gegenübers, da ich das Thema aus heiterem Himmel angesprochen hatte. Mit unruhigen Händen verstaute ich meinen Zauberstab wieder an seiner Halterung und wartete. Es blieb ruhig zwischen uns und ich bemerkte, dass uns selbst Hermine und Leon von ihrem Platz aus nun neugierig musterten. Sie hatten sich etwas abseits von uns niedergelassen und über Hermines Buch aus dem Testament gebeugt.
„Ist das so?"
Die Kälte in Harrys Stimme irritierte mich ungemein und wüsste ich nicht, dass das Medaillon in einer kleinen Schachtel im Zelt lag, würde ich es auf seine Macht schieben.
„Ja, immerhin wirst du von einigen aus der Zaubererwelt gesucht und bei mir sind wir nicht sicher, ob ER auch seine Schergen hier hat", antwortete ich ihm vorsichtig und rührte mich nicht. Eine Windböe erreichte uns und wehte mir den eiskalten Dezemberwind in das Gesicht. Leicht fröstelnd umschlang ich meinen Oberkörper und versteckte einen Teil meines Gesichtes in meinem Schal. Ich verstand nicht, warum Harry ein solches Risiko einging und wieso er sich so abweisend mir gegenüber verhielt.
„Hast du denn eine bessere Idee, was wir tun sollten, Thalia?"
Entweder kam es mir nur so vor oder aber der Junge mit den grünen Augen betonte meinen Namen extra.
„Ich meine nur, dass es besser wäre, wenn wir wie vorher die Standorte wechseln", erwiderte ich und trat unruhig auf meiner Stelle hin und her. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich uns die anderen beiden näherten und zu Samira gesellten.
„Du meinst also, wo noch alles ‚gut' und wir zu sechst waren? Manche Dinge ändern sich Thalia, und so auch meine Entscheidung."
„Ich dachte, wir hätten da ein Wörtchen mitzureden?", mischte sich nun Leon in unser Gespräch ein. Natürlich war es toll, dass er mich unterstützen wollte, nur war dies wahrscheinlich der ungünstigste Zeitpunkt dafür.
„Wenn ich mich richtig erinnere, kennt ihr euch auf der Erde nicht aus. Von daher wird dies wohl eher schwieriger", entgegnete Harry ihm und funkelte ihn herausfordernd an.
„Harry, was ist bloß los mit dir?", fragte ihn nun Hermine fassungslos und blickte zwischen uns dreien hin und her.
„Was los ist? Wir hängen hier draußen fest mit keinerlei Hinweisen, um weiter zu kommen. Ron hat uns alle verlassen und ich habe keine Ahnung, wie wir das alles schaffen sollen. Ja wir haben einen Horkrux, aber keine Möglichkeit ihn zu zerstören. Das Schwert von Gryffindor ist weg, verschwunden, geklaut oder was weiß ich nicht. Und niemand, weder ihr noch ich, hat eine Idee, wo noch weitere Seelenstücke versteckt sind", redete sich Harry in Rage. Schlussendlich stand er schwer atmend vor uns und blickte zu uns. Und wir? Wir anderen hatten wahrscheinlich den gleichen überraschten und betretenen Blick.
„Harry ich verstehe deine Sorgen, aber-", versuchte ich ihn zu beruhigen, hatte jedoch den falschen Weg eingeschlagen.
„Ach ja? Leon und du habt euer Leben lang in Hellmir in einem Schloss gelebt. Ihr habt von all den Geschehnissen kaum etwas mitbekommen. Also frage ich dich, ob du mich wirklich verstehen kannst?"
Fassungslos starrte ich den Jungen vor mir an und hörte neben mir Hermine leise Luft holen.
„Du Schwachkopf", murmelte sie nur mit bleichem Gesicht und schielte anschließend zu mir.
„Wir können das nicht verstehen, meinst du?", fragte ich ihn trocken und sah ihm unentwegt in das Gesicht.
„Denkst du ich habe freiwillig beinahe jeden Tag meines Lebens hinter unseren Schlossmauern verbracht? Eingesperrt in einen goldenen Käfig? Bei Hellmirs Kraft, ich wollte nie etwas anderes als ein normales Leben haben. Mit meinen Eltern, Geschwistern und Leons Familie. Du meinst, wir verstehen deine Bedenken nicht? Jeden Tag fühlt sich meine Flucht aus meiner Heimat als Verrat an mein Volk an. Ich habe geschworen es und Hellmir zu beschützen. Und was mache ich stattdessen?", begann ich und musste zwischendrin kurz freudlos auflachen.
„Anstatt meine Leute zu verteidigen gegen IHN, verkrieche ich mich wie eine feige Ratte. Meine Eltern und Schwestern, sie sind alle geborene Anführer. Und mein Bruder?", meinte ich und konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten.
„Er ist für mich, meinen Schutz und für unsere Heimat gestorben vor fast sechs Jahren. Damit ER mich nicht in seine Fänge bekommt und seinen Plan vollenden kann. Alexander ist gestorben, damit ich leben kann. Er ist für mich gestorben ... nur wegen mir ist er tot", fuhr ich mit bebender Stimme fort und beachtete die herablaufenden Tränen kaum.
„Er ist tot!", schrie ich laut und schlang schluchzend die Arme um meinen Oberkörper. Zu meiner rechten Seiten ertönte ein leises gequältes Miauen und kurz darauf spürte ich Samiras Körperwärme an meinem Bein.
„Alex hatte ebenso einen Beschützer wie ich Samira. Durch seinen Tod wurde diese Verbindung getrennt. Seya verlor ihren Schützling und verschwand, wodurch Samira allein war, da sie wie Seelenverwandte waren. Meine Eltern haben keinen Sohn mehr, meine Schwestern keinen Bruder und Leon", fuhr ich ungerührt fort und blickte zu ihm. Der Blick, den er mir schenkte, war so voller Leid gefüllt, dass ich mich nicht traute, ihn länger anzusehen.
„Leon hat seinen besten Freund verloren, den einzigen den er je hatte. Ich mache alles kaputt, überall wo ich bin oder hingehe. Also ja, Harry ich verstehe dich nur allzu gut. Warum du das nicht einsehen willst, weiß ich bei Hellmir nicht."
Mit diesen Worten beendete ich für mich das Gespräch und rannte in das Zelt hinein. Hinter mir hörte ich nur Hermine aufgebracht nach mir rufen und wie sie Harry anschrie. Doch achtete ich nicht wirklich darauf, sondern versuchte zwischen meinen Schluchzern mich auf die Zauber zu konzentrieren, die ich gleich wirken wollte. Kaum als ich den Schlafsaal betreten hatte, zückte ich zum wiederholten Male an diesem Tag meinen Zauberstab, ging auf mein Feldbett und hob beschwörend die Hände. Innerhalb weniger Sekunden, hatte ich dieselben Schutzzauber erscheinen lassen, mit denen ich mich sonst zu Neumond einsperrte. Als ich mich in meiner kleinen Schutzblase um mein Bett befand, brachen bei mir alle Dämme. Unaufhörlich schossen die Bilder an Alexanders Tod an meinem inneren Auge vorbei und zwangen mich auf das Feldbett. Bitterlich weinend wiegte ich meinen Körper hin und her und achtete nicht auf die salzigen Tränen, die meine Sicht verschleierten.
„Es tut mir so leid, Alex. Ich bin schuld", wisperte ich schluchzend und konnte ein Schaudern nicht unterdrücken.
„Jeder um mich herum stirbt, der mir versucht zu helfen. Erst dein Tod, dann Seyas Verschwinden. Wahrscheinlich ist sie auch tot und Albus ebenso. Warum?"
Ein weiterer Schwall an Tränen übermannte mich und endete in einem Weinkrampf.
„Über all hin ziehe ich eine Spur von Tod. Ich helfe den Seelen nicht in die Totenwelt, ich bringe sie dahin!"
Ein weiteres Bild kroch aus meinen Erinnerungen hervor. Es war der Augenblick, als Alexanders Herz seine letzte Arbeit tätigte.

Engel der Finsternis (II.Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt