22.Vertrauensbeweis

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Frustriert über diesen doch eigentlich offensichtlichen Punkt, versank ein jeder von uns in seinen Gedanken. Warum auch immer hatten wir das verschwundene Artefakt ausgeblendet, wahrscheinlich weil es sonst immer in Hogwarts verwahrt war. Laut knarrend schob sich ein Stuhl über den Boden, als sich Harry erhob und mit schnellen Schritten aus dem Zelt verschwand. Hermine wollte ihm gerade folgen, als Ron sie mit seinem gesunden Arm zurückhielt.
„Lass ihn, Mine. Er braucht Zeit für sich. Und wenn Harry mit uns reden will, dann wird er auf uns zu kommen", redete er auf sie ein und hielt sie dabei sanft fest. Widerwillig nickte sie ihm zu und fing an mit ihrem Jackenärmel zu spielen, was sie immer in angespannten Situationen tat. Solche Dinge und Angewohnheiten fielen mir meistens auf, wenn ich die Menschen um mich herum stumm beobachtete und analysierte.
„Ich weiß nicht, wie es euch geht. Aber ich habe Hunger", äußerte sich der Rotschopf wieder und ließ uns in ein leises Gelächter verfallen. Verwirrt sah er uns der Reihe nach an.
„Wieso lacht ihr jetzt?"
„Weil du immer Hunger hast, Ron", erwiderte Hermine, immer noch leicht glucksend. Jedoch begab sie sich zu Zelteingang und schwang ihren Zauberstab, woraufhin ein dampfender Kessel mit Suppe ihr in das Innere folgte. Dabei gab er einen würzigen Geruch ab, der meinen Magen leise grummeln ließ.
„Ron ist anscheinend nicht der einzige, der hungrig ist", flüsterte mir Leon belustigt zu und konnte sich eine verschmitzte Grimasse nicht verkneifen. Augenrollend stieß ich ihn mit meiner Schulter an und schüttelte nur den Kopf.
„Du bist so-", begann ich, wurde aber je unterbrochen.
„-intelligent, witzig, charmant, talentiert?", merkte mein Beschützer gespielt grüblerisch an.
„Unmöglich würde es eher treffen. Bescheidenheit ist eine Tugend, wusstest du das nicht, mein Lieber?", antwortete ich ihm trocken und grinste ihn am Ende unschuldig an.
„Nein wirklich? Gut, dass du mir das gesagt hast."
Einen kurzen Augenblick sahen wir uns in die Augen, bis wir in ein schallendes Gelächter verfielen. Es tat gut, sich für einen flüchtigen Moment unbeschwert zu fühlen. Auch, wenn er nur von kurzer Dauer war.
Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten, blickte ich in die leicht verwirrten aber dennoch belustigten Gesichter von Ron und Hermine.
„Ist irgendetwas?", fragte ich sie verunsichert und rutschte auf dem Stuhl hin und her.
„Nein alles gut", meinte Ron lediglich und widmete sich ganz seinem Teller mit Suppe, der vor ihm stand und dampfte. Mit einem kurzen Kopfschütteln zu dem Rotschopf herüber, reichte Hermine uns jeweils einen gefüllten Teller und setzte sich wieder auf ihren Platz.
„Es ist nur schön euch beide so... locker und fröhlich zu sehen. Die meiste Zeit wirkt ihr beide konzentriert und abwesend. Gerade jetzt. Da ist es angenehm etwas anderes zu sehen, vor allem etwas positives", beantwortete Hermine mir meine Frage und wandte sich ebenfalls ihrem Essen zu. Nachdenklich blickte ich von ihr zu Leon, von ihm zu Samira, die zu meinen Füßen ruhte und dann zu meinem Teller. Sie hatte recht, damit dass wir so ernst waren. Irgendwie wurde mir dies erst jetzt bewusst, aber was sollte man auch anderes in solchen Zeiten erwarten. Gerade, wenn man mit einer Vergangenheit zu kämpfen hat, wie Harry und wir.
Unser Abendessen verbrachten wir ruhig und ohne ein Wort zu sagen. Selbst als der schwarzhaarige Junge wieder zurückkam und daran teilnahm, blieb alles still. Dennoch war es nicht unangenehm, sondern eher beruhigend, wenn man nicht von Lärm umgeben war. Nachdem ein jeder von uns seine Portion, und Ron sogar seine dritte, verspeist hatte, teilte sich unsere Gruppe. Während Ron und Harry in den Schlafbereich gingen und sich dort ein wenig unterhielten, trat ich mit Hermine, Samira und Leon hinaus aus dem Zelt. Was die drei nicht mitbekamen: Ich belegte unsere Unterredung mit dem Zauber Muffliato, den mir Harry einmal beigebracht hatte. Was ich mit meinen besten Freunden zu bereden hatte, sollten die Jungs im Zelt nicht mitbekommen. Denn ich wusste ganz genau, dass Leon sich mit seinem Temperament irgendwann nicht mehr beherrschen und ungehalten werden konnte.
Dadurch, dass ich die beiden nur mit einer Kopfbewegung nach draußen gebeten hatte, starrten mich die beiden nun erwartungsvoll an. Tief holte ich Luft und schielte dabei kurz zu dem bereits mit Sternen versehenen Nachthimmel.
„Heute ist wieder Neumond... der Erste ohne Hogwartsschutzzaauber oder denen des Fuchsbaus, geschweige denn des Grimmaultplatzes. Es gibt nichts hier draußen, was mir im Notfall helfen würde mich einzuschließen", begann ich mit einer zittrigen Stimme und bemerkte, wie sich bei meinem letzten Satz die Gesichtszüge meiner Freunde veränderten.
„Sage so etwas nicht! Du bist meine beste Freundin und ich weiß, dass du uns niemals etwas antun würdest", entgegnete mir Hermine und verschränkte ihre Arme vor den Oberkörper. Ganz klar das Zeichen des Protestes.
„Ich stimme ihr zu. Lia, du würdest uns niemals etwas antun-", begann Leon, doch unterbrach ich ihn schnell.
„Ich könnte das nie, aber du kannst nicht mit Sicherheit sagen, dass mein... anderes Ich es nicht tun würde. Ihr habt doch die Aussage dieser Hexe gelesen, die von jemanden wie mir angegriffen wurde. Wenn euch etwas passieren würde, das könnte ich nicht ertragen", flüsterte ich verzweifelt und rieb mir über die Augen. Einen kurzen Moment lang blieb es still zwischen uns drei, selbst Samira, die zuvor durch das trockene Laub gewandert war, verursachte kein Geräusch mehr.
„Und was sollen wir jetzt deiner Meinung nach unternehmen?", fragte mich Hermine vorsichtig nach einigen Sekunden der Überlegung. Entschlossen seufzte ich und griff in meine Jackentasche. Hervor kam eine der kleinen Phiolen, die Albus mir geschenkt hatte und zeigte sie meiner besten Freundin.
„Dies ist ein Zauberbanntrank, von Albus für mich entwickelt. In den letzten Monaten habe ich ihn immer kurz vor Aufgang des Neumondes eingenommen. Ähnlich, wie meine Kette, soll er meine... Verwandlung unterdrücken, sowie die damit auftretenden Instinkte. Anders als die Monate zuvor, schützen mich nun aber keine komplexen Zauber wie die von Hogwarts oder dem Fuchsbau. Daher will ich dich um etwas bitten und ich ich weiß, dass es dir nicht sonderlich gefällt. Ebenso wenig wie Leon und Samira."
Verunsichert und verängstigt durch meine Worte blickten mich die beiden an, als wären sie gerade einer Horde Umbrae begegnet.
„Thalia, du machst mir gerade große Angst. Was ist es, was mir nicht gefallen wird?", fragte mich meine beste Freundin mit unsicherer Stimme und verlagerte unruhig ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. Verstohlen blickte ich kurz zu Leon, ehe ich auf ihre Frage reagierte.
„Ich möchte, dass du mich in einem Kreis von Bannzaubern einschließt. Ähnlich denen, die wir hier für unser Lager nutzen."
„Das kann doch nicht dein Ernst sein!", rief Leon entsetzt aus.
„Thalia, du ganz allein da draußen, ohne Schutz? Das werde ich dir nicht antun!", meinte Hermine bestürzt und schlug sich die Hand vor den Mund.
„Ich will euch nicht verletzen. Zwar hätte ich es auch ohne deine Hilfe bereits machen können, aber mit dir als Unterstützung würde es besser klappen. Und ich hoffe, dass du mir hilfst."
Stumm betrachtete Hermine mich und blickte dann von Samira zu Leon.
„Das kann doch nicht dein Ernst sein! Hermine ich werde das nicht zulassen. Ich habe deinen Eltern versprochen, dich zu beschützen und nicht allein zulassen, Thalia", sagte mein Beschützer fassungslos und kam einen Schritt auf mich zu. Kopfschüttelnd entfernte ich mich aber wieder von ihm und umklammerte mein Medaillon verzweifelt.
„Es tut mir leid, Leon. Aber in dieser Angelegenheit hast du dies nicht zu entscheiden", erwiderte ich ruhig und mit neutraler Stimme. Langsam begann ich damit rückwärts zu laufen und bedeutete Hermine mit einem Kopfnicken an, mir zu folgen.
„Lia, das kann ich nicht zulassen!", rief er mir laut zu und kam auf uns zu.
„Und ich auch nicht. Es tut mir leid. Locomotor Mortis", hauchte ich betrübt und ehe Leon reagieren konnte, hatte ich ihn mit einem Beinklammerfluch belegt. Sofort zog es ihm diese zusammen und er sackte durch den plötzlichen Zauber zusammen auf den Boden.
„Lia, mach das nicht!", flüsterte Leon und sah mich flehend an. Doch ohne etwas darauf zu erwidern, drehte ich mich zu meiner besten Freundin um und ging mit ihr und Samira im Schlepptau von dem Zelt und meinem besten Freund weg. Ungewollt begann mir eine Träne die Wange entlang herunter zu rollen, und die Rufe im Hintergrund von Leon machten es mir nicht gerade leicht weiter zu gehen.
„Werden Harry und Ron nicht gleich erscheinen, wenn Leon weiter so ruft?", fragte mich Hermine hin und her gerissen und blickte immer wieder zurück über die Schulter. Kurz schüttelte ich meinen Kopf und wischte mir die Tränen weg.
„Ich habe unser Gespräch mit Muffliato belegt, gerade als wir das Zelt verließen", entgegnete ich ihr und blieb urplötzlich stehen. Neben mir stoppte auch Hermine und sah sich um. Wir standen etwa zwanzig Meter von dem Zelt hinter vier großen Laubbäumen in einer kleinen Senke. Vermutlich stand hier einmal vor Jahren ein mächtiger Baum mit einem kräftigen Stamm.
„Bist du dir sicher, dass du das willst?"
„Nein, aber es geht hierbei nicht um mich oder meine Wünsche. Sondern um eure Sicherheit vor mir selbst. Bevor du beginnst, darf ich dich noch um eine weitere Sache bitten?", entgegnete ich dem Mädchen vor mir und sah sie am Ende unsicher an.
Verwundert von meinen Worten zögerte sie kurz, ehe sie mit dem Kopf nickte.
„Wenn du mich hier mit den Bannzaubern eingeschlossen, den Anti-Lausch- und Beinklammer-Zauber beendet hast, versuche bitte mit Leon zu reden. Sag ihm, dass es meine Entscheidung ist und dich keine Schuld trifft."
„Aber Thalia-"
Kopfschüttelnd sah ich sie an und brachte sie so dazu, sich selbst zu unterbrechen.
„Es ist mein Ernst Hermine. Dich trifft keine Schuld, du vertraust mir hierbei und das ist ein großes Geschenk für mich. Leon will mich beschützen, das hat er schon immer getan. Aber er übersieht manchmal, dass er dadurch auch andere in Gefahr bringen könnte. Er war immer an meiner Seite, aber diese Sache hier hat er nicht zu entscheiden. Es ist meine ganz allein. Und wenn ich das zu eurem Schutz machen möchte, dann muss er das akzeptieren. Manchmal muss man sich mit seinen Belangen hinten anstellen, um für das größere Wohl aller zu sorgen."
Mit diesen Worten trat ich einige Schritte von ihr weg und sah sie auffordernd an. Während das Mädchen mit dem lockigen braunen Haaren ihren Zauberstab hervorholte, kam Samira auf mich zu. Doch mit einer Handbewegung meinerseits blieb sie stehen.
„Nein Samira. Du bleibst bei Hermine und Leon. Sie brauchen dich", wandte ich mich an sie und konnte in ihren grünen Augen den Widerwillen sehen. Doch nach einigen Sekunden maunzte sie lediglich einmal und trottete an Hermines Seite. Stumm hatte meine beste Freundin uns beobachtet und blickte nun nervös zu mir. Zitternd holte ich Luft, fischte die kleine Phiole aus meiner Jackentasche und trank sie mit zwei schnellen Schlucken aus.
„Bitte Hermine", meine Stimme war nicht mehr als ein Hauchen. Einen kurzen Augenblick sah es so aus, als wollte Hermine einen Rückzieher machen. Doch dann hob sie ihre Hände und begann mit den Bannzaubern. Mit jedem gesprochenen Wort verschwammen sowohl sie als auch Samira und das Licht des Zeltes im Hintergrund immer weiter, bis sich die Illusion ganz über sie gelegt hatte. Nun schien es so, als stünde ich allein in einem dunklen Wald bei Neumond. Nervös blickte ich zu dem Sternenhimmel in der Hoffnung, dass alles gut gehen würde.

Es war einige Zeit bereits vergangen, wie viel konnte ich nicht genau sagen. Gewiss aber schon drei Stunden, was bedeutete, dass der Neumond bald seinen Zenit erreicht haben musste. Gelangweilt und in Gedanken versunken spielte ich mit ein paar trockenen Blättern, die neben mir auf dem Boden lagen. Ich hatte mich kurz, nachdem die Schutzzauber durch Hermine ausgesprochen wurden, auf den Rücken gelegt und den Sternenhimmel beobachtet. Auch wenn ich schon oft die Himmelskörper betrachtet hatte, so empfand ich jedes Mal eine gewisse Ruhe, wenn ich sie mir ansah. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper und ich zog den Reißverschluss meiner Jacke ein wenig höher, da es doch ein wenig frisch, dennoch auszuhalten war. Um mich herum war es friedlich still und doch tobte in mir ein lauter Sturm an Schuldgefühlen. Zum einem, dass ich den Jungs nicht die Wahrheit über meinen Fluch bisher erzählt habe, dass ich meine Freunde durch mein zweites Ich in Gefahr bringe und das jeden Monat. Zum anderen, und das nagte am meisten an mir, war der Gedanke daran, wie ich Leon mit einem Beinklammerfluch zum Stehen bringen musste und ihm somit keine Wahl ließ. Ich wusste, dass dies nicht der richtige Weg war, aber der notwendige, um die Sicherheit der anderen zu gewährleisten. Seufzend schloss ich meine Augen und atmete tief ein und aus, während eine sanfte Herbstbrise durch die Baumkronen wehte.

„Thalia, geht es dir gut?", hörte ich eine aufgeregt klingende Stimme und öffnete verschlafen die Augen. Über mir sah ich Hermines Gesicht, welches am Anfang voller Sorge und dann voller Erleichterung war.
„Dir geht es gut", rief sie atemlos und setzte sich neben mich auf den Waldboden.
„Ja bei mir ist alles gut. Ich bin vermutlich eingeschlafen, als ich den Sternenhimmel betrachtet habe. Wie spät haben wir es eigentlich?", antwortete ich ihr und rieb mir verschlafen über die Augen, als ich ein kleines Gewicht auf meinen Schienbeinen spürte. Müde lächelte ich Samira zu und fuhr ihr sanft über den Kopf, was sie mit einem zufriedenen Schnurren beantwortete.
„Es ist kurz vor fünf Uhr. Du solltest vielleicht für letzten paar Stunden wieder in das Zelt kommen, bevor die Jungs es mitbekommen", entgegnete mir meine beste Freundin und gemeinsam erhoben wir uns von dem Waldboden. Mit einem kurzen Kopfnicken gingen wir zurück zu dem Zelt, jedoch blieb ich am Eingang stehen und sah unruhig zu Hermine, was diese bemerkte und mich fragend anblickte.
„Wie hat Leon... ich meine, wie hat er reagiert, als du ihn befreit hast?"
Das war die Frage gewesen, die mich die ganze Nacht lang über beschäftigt hatte.
„Er war nicht begeistert und auch als ich versucht habe die Situation zu erklären, ist er einfach in das Zelt gegangen und hat sich schlafen gelegt. Du musst mit ihm heute reden. Leon sah verletzt und wütend aus."
Gestresst atmete ich ein und wieder aus, ehe ich Hermine dankbar, jedoch schwach, zulächelte und in das Innere unseres Quartiers ging. Wenigsten für ein paar Stunden wollte ich mich noch ausruhen, ehe wir wieder aufbrechen wollten und ich mich dem Gespräch mit meinem Beschützer stellen wollte.

Heyho ihr Lieben,
erst einmal schön, dass ich immer noch meine Geschichte verfolgt. Das ist jedes Mal toll zu sehen, wenn ein paar Reads mehr zu sehen sind.
Erst hatte ich überlegt dieses Kapitel erst nächste Woche zu veröffentlichen. Meine Woche war ziemlich anstrengend (von Montag bis Sonntag in der Notaufnahme arbeiten) und zusätzlich war heute so ein Tag gewesen, wo ich eigentlich nur wieder zurück in mein Bett wollte. Doch ich wollte euch nicht enttäuschen und das Kapitel war zu 70% bereits fertig. So habe ich mich zusammengerissen und es noch fertig gestellt bekommen.
Die nächsten zwei Tage versuche ich ein bisschen vorzuschreiben, um zukünftig einem solchen Dilemma aus dem Weg zu gehen.
Bis dahin, habt eine schöne  Woche.

Eure Julia

Engel der Finsternis (II.Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt