Abschied

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Wenn man stirbt, soll man sein ganzes Leben an einem vorbeiziehen sehen. Zumindest wird es immer von allen gesagt. Wobei ich das nicht verstehe.. Ich meine, hat denen ein Geist erzählt, wie es war zu sterben? Woher wussten es die Menschen und warum waren wir uns alle dabei so sicher? Ich habe nichts gesehen. Kein Film von meinem Leben in Kurzfassung und auch kein weißes Licht worauf ich zugehen sollte. Ich sah einfach nichts.

Um ehrlich zu sein war ich nicht bereit zu sterben. Ich wollte noch so viel erleben und machen. Ich hatte bis jetzt nämlich ein echt schrecklich Leben. Ich hatte keine Familie und war bestimmt schon überall auf der Welt. Ist eigentlich nicht schlimm aber niemanden zu haben dem man seine Gefühle oder Geschichten erzählen konnte war schrecklich. Endlich hatte ich Leute in Hawkins gefunden. Leute, die ich lieb hatte und plötzlich war Gott der Meinung mich sterben zu lassen? Ich war eigentlich sehr gläubig aber ich hatte keine Ahnung, warum mich Gott so bestrafen wollte.

Der Soldat lockerte den Griff um mein Handgelenk so, dass er es langsam los ließ.
Erst als ich den Aufprall von etwas großem auf den Boden hörte, wusste ich, dass ich eigentlich nicht tot war. Erleichtert ließ ich mich nach hinten fallen, sodass ich jetzt auf dem kalten Boden saß. Tief atmete ich ein und wühlte in einer der Jackentaschen herum, um meinen Inhalator herauszuholen. Sofort entfernte ich die Kappe, drückte und atmete gleichzeitig mit dem Stoß ein. Jetzt bekam ich wieder richtig Luft. Mühsam stand ich auf und stolperte der mir näher kommenden Gestalt zu. Erst als ich noch näher kam erkannte ich die glitzernden grün/braunen Augen wieder. Doch ich blieb nicht stehen, sondern ging weiter auf ihn zu. Meine schritte wurden immer schneller bis ich den Jungen schließlich fest in die Arme schießen konnte. Es war die beste aber auch traurigste Umarmung in meinem Leben. Für eine kurze Zeit konnte ich alles vergessen. All die schlechten Dinge. Die ganze Situation. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich fing leicht an zu weinen. Ich wusste nicht, ob es glückliches oder trauriges weinen war. Meine Stirn lag nun auf seiner Schulter. Man konnte Erleichterung von uns beiden spüren. Ich denke, dass es dem Jungen in dem Moment genauso ging wie mir. Ängstlich aber auch etwas glücklich, da ich gerade nochmal so um mein Leben gekommen war.
„Dir geht es gut..", flüsterte er mir zu. Ich nickte nur leicht und sagte mit leiser Stimme :„Dir zum Glück auch."

Auch wenn die Umarmung nur einige Sekunden anhielt fühlte es sich an, als hätten wir Stunden nur so da gestanden. Nachdem wir uns voneinander lösten wandte ich mich dem verletzten Mädchen zu.
Robin hockte über ihr und drückte ihr mit einer schon völlig blutigen Jacke auf den Bauch. Sie versuchte die Blutung zu stoppen, was aber nicht gut funktionierte.
Ich setzte mich neben Nastya, hob ihren Kopf an, legte ihn auf meine Beine und streichelte ihr beruhigend über die Haare.
Auch die anderen kamen näher um zu helfen. Erst jetzt sah ich Hopper und den Rest der Eagle's Nest Gruppe, die mir wahrscheinlich mein Leben gerettet hatten.

„Emily.. ", sagte Nastya mit unruhigem Atem.

Ich nickte nur und schaute ihr in ihre grünen Augen. Ich hatte die selbe Augenfarbe sie.

„Прости мне все мои грехи Все, что я сделал с тобой. (Vergib mir alle meine Sünden. Alles, was ich dir angetan habe.)"

„Я прощаю тебя, сестра. ( Ich vergebe dir, Schwester.)"

„Kannst du mir noch etwas versprechen? Falls ich es nicht schaffe?"

„Du wirst nicht sterben! Ich brauche dich noch.."

„Позаботься о Робине. Относись к ней как к сестре! Я люблю ее всем сердцем. Пожалуйста, сделай это для меня .. (Pass auf Robin auf. Behandle sie wie eine Schwester! Ich liebe sie von ganzem Herzen. Bitte mach es für mich ..)"

Ich nickte nur.

„Versprich es mir!", sagte Nastya und griff nach meiner Hand.

„Versprochen.", sagte ich.

Der Druck ihrer Hand verschwand und sie schloss die Augen. Danach war auch der letzte Atemzug getan. Der Versuch nicht zu weinen scheiterte. Nachdem die erste Träne gefallen war folgten noch einige. Ich lehnte mich über Nastyas Kopf, küsste ihre Stirn und sagte leise :„Ich hab dich lieb. Wir sehen uns bald wieder."

Robin drückte jedoch weiter mit der Jacke auf Nastyas Bauch. Sie wollte es wahrscheinlich einfach nicht einsehen. Erst als ich sie leicht an den Schultern von dem Mädchen weg zog fing sie an bitterlich zu weinen. Sofort drückte ich sie fest an mich und Strich ihr durch die Haare. Sie muss sie wirklich geliebt haben. Auch wenn wir anderen es nicht wirklich mitbekommen hatten.

„Sie hat dich auch geliebt..", sagte ich zu dem weinendem Mädchen, streichelte sie weiter und schaute durch die Gesichter der anderen.

Auch sie empfanden Trauer. El hatte sich an Mike geklammert. Beide schauten mich traurig an. Lucas hatte ein Arm um Max gelegt. Sie schien am weinen zu sein, doch ich konnte dem rothaarigen Mädchen nicht ins Gesicht sehen, da sie es in Lucas Schulter vergraben hatte. Dustin schaute auf den Boden, Joyce sah mich voller Mitleid an und Hopper versuchte so normal wie möglich zu schauen. Ich glaube, dass er vorgibt stärker zu sein, als er eigentlich ist. Er will einfach nicht, dass andere Leute wissen, was er fühlt. Aber ich denke, dass auch er Trauer empfand.
Jonathan und Nancy standen in einer Umarmung zusammen einfach so da und Murray faltete seine Hände ineinander. Meine Mutter hatte den selben Blick aufgelegt, wie Joyce. Steve kam auf mich zu und Robin löste sich von mir. Er deutete an, dass er sie umarmen wollte, was sie dann auch tat. Nun hatte er meine Rolle übernommen.

Jetzt schaute ich zu Hopper hinüber, ging auf ihn zu und blieb vor dem großen Mann stehen und sagte :„ Wenn ihr nicht da gewesen wärt.."

Sofort schossen mir Tränen in die Augen. Er umarmte mich und sagte :„Dank am besten deiner Mutter."

Ich löste mich wieder von ihm und stolperte der Frau entgegen. Sie öffnete nur ihre Arme, um mich ebenfalls zu umarmen und sagte :„Du bist meine Tochter.. Was hätte ich sonst tun sollen?"

In dem Moment wurde mir klar, dass ich endlich das gefunden habe, wonach ich schon immer gesucht habe. Meine Familie. Das Gefühl von Glück und endlich geliebt zu werden. Es war so, als hätte ich endlich meine richtige Mutter gefunden. Auch wenn sie ihr Mann kurz nach meiner Ankunft verlassen hatte, hat sie mich nicht wieder weggeschickt. Sie hat sich weiter um mich gekümmert und mich wie ihre eigene Tochter behandelt. Mir wurde klar, dass auch ich mehr für sie hätte da sein sollen.

Nastya war der einzige verbleibende Teil meiner richtigen Familie, doch jetzt hatte ich auch sie verloren. Ich hätte sie einfach mehr wertschätzen sollen. Ich hätte ihr zeigen sollen, was ich für eine tolle Schwester hätte sein können. Doch ich habe mich natürlich für das Gegenteil entschieden. So wie immer hätte ich die falsche Entscheidung getroffen.

Ich löste mich wieder von meiner Mutter, ging näher auf die Gruppe vor mir zu und sagte entschlossen :„Lasst uns das Tor endlich schließen."

El nickte mir zu und wir gingen zusammen näher zum Tor.

„Bereit?", sagte sie und nickte mir fragend zu.

„Ja.", gab ich von mir und nickte ihr ebenfalls zu.

Ich nahm ihre Hand, stellte mich in einen festen Stand und streckte meine Hand zum Tor. Konzentriert beobachtete ich, wie sich das Tor schloss. Schon nach einigen Sekunden spürte ich, wie mir Blut aus der Nase lief. Es machte mir klar, wie viel Kraft ich aufwenden musste um es zu schließen.

Ich kann fühlen, dass deine Kräfte stark sind.

Dieser Satz kam mir plötzlich wieder in den Sinn. Kali hat es zu mir gesagt, als sie mir geholfen hatte. Was war aber, wenn El nicht stark genug war, um mit mir das Tor zu schließen?

Kurz schaute ich zu dem bereits erschöpften Mädchen, das mit voller Elan schrie, um ihre Kräfte damit noch stärker zu machen. Sie sah aus, als würde sie es nicht schaffen.

Stranger Things:„Neues Erwachen" Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt