Letzter Tag

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Ich will nicht, dass Kilometer zwischen uns liegen.“, sagte ich und krabbelte in Will's Arme.

„Ich will es auch nicht.“, flüsterte er extrem leise und zog mich noch näher an sich heran.

Ich habe die ganze Nacht nur nachgedacht. Ich bin jede Möglichkeit, nicht von Will getrennt leben zu müssen , durch gegangen. Sogar die, die wirklich unmöglich waren. Ich meine, dass Familie Byers einfach wieder nach Hawkins zieht ist ziemlich unwahrscheinlich, da Joyce sicherlich ein Grund hatte in eine andere Stadt ziehen.

Leichte Sonnenstrahlen leuchteten in das Zimmer. Die Sonne ging langsam auf, was heißen sollte, dass es früher morgen war.

Ich schaute kurz zu Will auf. Er hatte seine Augen geschlossen aber ich wusste, dass er nicht schlief. Wir hatten die ganzen Stunden kein Wort gewechselt. Alles was wir machten war nach der Stille, die herrschte, zu horchen.

Ich kann es mir bis heute nicht erklären, warum wir es immer taten. Aber wenn wir es taten, machten wir es gemeinsam.

Nach der Stille zu lauschen ist eigentlich die schönste Sache, die man je machen kann. Finde ich zumindest.

Ich würde mich als eine sehr ruhige Person beschreiben. Ich war mein ganzes Leben nur ein Beobachter, ein Denker und ziemlich seltsam. Zumindest nennen mich die anderen immer so. Ich gebe ja zu, dass ich immer alleine war und sogar heute noch extrem viel nachdenke aber war ich wirklich seltsam?

'Seltsam' ist das nicht ein echt blödes Wort? Ich meine, jeder ist auf seine eigene Art besonders. Egal ob man viele oder nicht so viel Freude hat. Allerdings kann man das Wort Seltsam auch auf das aussehen beziehen.
Sehe ich etwas seltsam aus?
Was ist seltsames aussehen überhaupt? Immerhin spielt es doch keine Rolle wie viel Kilo man auf den Rippen hat oder welche Hautfarbe deine oder meine Haut hat. Auch die Herkunft spielt für mich keine Rolle.
Wurden wir Menschen nicht geschaffen, damit wir uns gegenseitig lieben und respektieren egal was oder wer du bist?
Warum tun es die Leute dann nicht?
Warum bekriegen und hassen sich Menschen dann?
Warum löschen manche Menschen unzählige von Leben aus, nur weil sie jemanden für ihre eigenen Taten und Sünden verantwortlich machen wollen?
Warum werden Menschen mit dunkler Haut als minderwertig angesehen?
Warum existieren Rassismus, Sexismus und all die anderen Dinge überhaupt?
Kann jemand, egal wer, wenigstens eine von meinen Fragen beantworten?

In meinen Augen ist jeder Mensch ein Mensch. Mir ist die Herkunft, das Aussehen, wer oder was du sein willst und wen du liebst völlig egal.

Nachdem ich fast die ganze Welt in Frage gestellt hatte, wurde es langsam Zeit aufzustehen. Ich löste mich also aus Will's zärtlichem Griff, gab ihn ein behutsamen Kuss und stand auf.

„Ich gehe mich kurz umziehen.“, gab ich von mir, schnappte mir meine Sachen und ging in das Badezimmer. Als ich wieder heraus kam und erneut etwas sagen wollte, merkte ich, dass Will das Zimmer verlassen hatte.
Verdutzt schnappte ich mir die kalte Teetasse und beschloss sie in die Küche zu bringen.

Auf dem Weg nach unten hörte ich Stimmen. Was darauf deutete, dass manche schon wach waren.

In der Küche angekommen traf ich auf Max, die mich nur von der Seite beobachtete.

„Morgen.“, sagte ich und lächelte freundlich.

Sie kniff ihre Augen etwas zusammen und musterte mich ziemlich scharf.

„Habe ich was verbrochen?“, fragte ich immer noch am lächeln.

„Wie war deine Nacht?“, antwortete sie und zog ihre Augenbrauen hoch.

Sofort musste ich an die intensiven Küsse zurück denken.

„Eigentlich.. ganz oder besser gesagt sehr gut.“, antwortete ich.

„Warum hast du deinen Tee nicht ausgetrunken?“

Ich schaute sie nur fragend an.

„Dein Tee ist nicht mehr warm. Also muss er von gestern sein. Wenn er warm wäre, dann würdest du die Tasse mit beiden Händen halten.“, sagte sie und zeigte auf die Tasse in meiner Hand. Mein Blick veränderte sich von fragend zu verwirrt.

„Du bist nicht die einzige, die jedes Detail beobachtet.“, antwortete sie nur auf meinen Blick.

„Ich war nur sehr müde.“, brachte ich schnell heraus und drehte mich leicht weg.

„Du hast also geschlafen? Dafür siehst du aber ziemlich müde aus.“, sagte Max und verschränkte ihre Arme. Jetzt weiteten sich ihre Augen und sie sagte laut :„Warte! Du und Will? Ihr habt..“

„Nein.“, brachte ich sofort raus.

„Und warum ist er dann heute morgen aus DEINEM Zimmer gekommen? Und hat MICH sogar gegrüßt?“

„Will war in meinem Zimmer?“

Für diese Aussage hätte ich mir selbst eine klatschen können. Das war das dümmste, was ich jemals gesagt habe.

„Emily ist keine Jungfrau mehr. Emily ist keine Jungfrau mehr.“, sang das rothaarige Mädchen jetzt laut. Ich fand es etwas zu laut, deshalb stellte ich die Tasse auf eine Platte, ging auf das rothaarige Mädchen zu und packte ihren Arm. Sie verstummte sofort und schaute mich verwirrt, verwundert und etwas ängstlich an. Erschrocken ließ ich sie wieder los. Jetzt wartete sie auf eine Erklärung.
Natürlich entschuldige ich mich sofort und fing an zu erzählen :„Wenn du so scharf darauf bist... Will war in meinem Zimmer.“

Sie war kurz davor vor Freude aufzuschrein aber ich hielt sie davon ab.

„Es ist aber nichts passiert!“

„Was? Ihr habt noch nicht einmal geknutscht? Emily, man kann die elektrische Ladung zwischen euch sowas von spüren.“, gab Max von sich.

„Das schon.“, murmelte ich.

Plötzlich bildete sich auf Max Lippen ein riesen Lächeln. Man könnte meinen, dass sie gleich platzen würde.

„Ich erzähle nichts.“, sagte sie mit extrem leiser Stimme und zwinkerte mir zu.
Danach verließ sie den Raum.

„Danke.“, sagte ich leise und ging auch aus der Küche heraus.

Beim Frühstück wurde nicht viel geredet. Alle waren Glücklich, dass alles, was geschehen ist, endlich vorbei war. Aber man konnte auch Trauer spüren, da wir noch heute Abreisen werden. Wir konnten schließlich nicht für immer hier bleiben.

Mir persönlich viel es ziemlich schwer an den Abschied zu denken. Wenn alles nur einfacher wäre.

Nach einigen Stunden war es dann soweit.
Der Moment Abschied zu nehmen. Abschied von Wadek, von Russland aber auch an dem einzigen Ort, der mir von Nastay, der einzige Teil von meiner richtigen Familie, blieb.

Ich beobachtete, wie sich alle von Wadek verabschiedeten. Sogar Hopper sagte etwas zu dem russischen Mann. Mit dem Geschenk an meine Mutter hatte er alles richtig gemacht. Sie hat sich total gefreut und musste es mir sofort präsentieren. Natürlich habe ich ihr nicht erzählt, dass die Idee eigentlich von mir war.

Nun war ich an der Reihe. Traurig ging ich auf den vor mir stehenden Mann zu und umarmte ihn.

„Это что-то от твоей сестры. Она хотела, чтобы я отдал его тебе на случай, если с ней что-нибудь случится. Лучше всего открывать его дома. (Das ist etwas von deiner Schwester. Sie wollte, dass ich es dir gebe, falls ihr etwas passiert. Es ist am besten, es zu Hause zu öffnen.)“, sagte er und drückte mir eine Schachtel in die Hand.

„Danke. Für alles.“

Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging auf das Flugzeug zu.

Falls ihr euch fragen solltet, was mit dem Kontakt zwischen uns geschehen ist: Der ist natürlich nicht gebrochen. Briefe machten es möglich zu kommunizieren.

Aber das ganze Abenteuer war natürlich längst nicht zu Ende. Tief in mir wusste ich es...


Fortsetzung folgt

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