Scharlachrot

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Ein Klacks roter Farbe landete auf der weißen Leinwand.

Ein Pinselstrich und die Farbe wurde grob zu einem Blütenblatt geformt.

Ein weiterer Pinselstrich und der Pinsel verteilte die scharlachrote Ölfarbe immer weiter auf dem hellen Hintergrund. Mit der Zeit wurden es immer mehr. Dunkelgrün, mattgrau, weinrot... Die vorher noch leer gewesene Leinwand wurde immer mehr mit Leben erfüllt.

Könnte die Leinwand sehen, wer vor ihr saß und gerade dabei war sie zu einem Kunstwerk zu machen, würde sie ein mit Sommersprossen übersätes Gesicht erblicken. Eine kleine, ebenfalls mit Sommersprossen bedeckte Stupsnase in der Mitte, unter welcher herzförmige, rötliche Lippen saßen. Ein schmales Kinn, das den kleinen Kopf abrundete und um das sich dichtes, schwarzes Haar in Wellen schlängelte. Zwei große grau-blaue Augen, die von dünnen Wimpern umgeben waren und ihr Werk konzentriert und fixiert im Blick hatten. Regelmäßig huschten sie über das Bild, um sich immer weiter einen Eindruck von ihrem werdenden Kunstwerk zu schaffen.

Ein leises, schüchternes Klopfen riss das Mädchen aus ihren Gedanken. Überrascht wandte sie den Blick das erste Mal von ihrem Bild ab und sah zur großen Kirschholztür hinüber, in welche ein verschnörkeltes Muster eingraviert war. Den Pinsel noch immer in der Hand starrte sie erwartungsvoll auf das Holz.

,,Ja, bitte?" fragte sie laut und deutlich. Sie konnte erkennen, wie sich die Türklinke hinunter bewegte. Sie öffnete sich einen Spalt breit, bis sich eine kleine, magere Hauselfe mit hinabhängenden Ohren und großen, dunkelgrünen, kullernden Augen in das Atelier hineinzwängte. In ihren Armen trug sie ein silbernes Tablett auf welchem eine Porzellantasse mit Tee stand, vermutlich Pfefferminz, ein kleiner Teller mit zwei Buttercroissants und ein winziges Schälchen mit Johannisbeermarmelade.

,,Einen schönen guten Morgen!" grüßte die Hauselfe.

,,Guten Morgen, Tipsy!" antwortete Rosie überrascht. Sie legte den Pinsel zur Seite und schenkte ihre Aufmerksamkeit voll und ganz der Hauselfe. Tipsy ging mit ihrem Tablett auf das Mädchen zu.

,,Die junge Gebieterin ist heute Morgen nicht beim Frühstück erschienen, deswegen hat die Herrin Mutter der jungen Gebieterin Tipsy nach oben geschickt, um ihr das Frühstück zu bringen." sagte Tipsy und stellte sich mit dem Tablett in den Händen vor Rosie hin. Diese kniff seufzend die Augen zusammen.

,,Verdammt..." murmelte sie leise.

,,Ich hab's schon wieder verpasst... Ich vergesse einfach immer die Zeit." meinte sie und griff nach dem Tablett in Tipsys Händen.

,,Danke, Tipsy! Lass mich dir das abnehmen." sagte sie lächelnd und nahm ihr das Tablett aus der Hand, um es auf ein kleines Tischchen neben ihr zu quetschen, welches eigentlich schon voller Pinsel, Spachtel und Farbtuben war.

,,Aber wenn du schon hier bist... Was sagst du?" fragte Rosie an die Hauselfe gewandt und zeigte mit einer Hand erwartungsvoll auf ihr Bild, während sie mit der anderen nach einem Croissant griff.

,,Oh... Tipsy findet es wunderschön! So wie jedes Bild der jungen Gebieterin." sagte die Hauselfe ergeben und beäugte das Gemälde fasziniert. Es zeigte eine einzelne, rote Rose, welche in einem Strauß voller anderer Rosen im Fokus stand. Ein Wassertropfen perlte an einem ihrer Blätter hinab.

Hinter dem hölzernen Gestell, auf welchem sich das Bild befand, standen an die acht weiteren Gestelle mit anderen Bildern darauf. Der ganze Raum war voll mit Ölgemälden, die entweder an den Wänden hingen oder auf hölzernen Staffeleien standen.

,,Danke! Aber es ist noch nicht fertig." meinte Rosie und biss dabei vom Croissant ab, auf welches sie davor Johannisbeermarmelade geschmiert hatte.

,,Glaubst du, dass es Vater und Mutter gefallen wird?"

,,Oh, aber natürlich! Tipsy ist überzeugt davon!" versicherte die Hauselfe ihr. Ein Lächeln schlich sich auf Rosies Gesicht.

,,Willst du auch etwas?" fragte sie und griff nach dem zweiten Croissant. Sie hielt es Tipsy hin.

,,Oh nein, Gebieterin! Tipsy ist es nicht gestattet Ihnen Ihr Frühstück wegzuessen!" stammelte die Elfe sofort und hielt ablehnend die Hände vor den Körper.

,,Aber du isst mir ja nichts weg! Zwei davon sind mir sowieso zu viel! Komm, wenigstens die Hälfte!" hakte Rosie nach und brach das Croissant in zwei Teile. Tipsy griff schüchtern nach dem halben Gebäck.

,,Dankeschön, Fräulein Gebieterin. Dankeschön..." bedankte Tipsy sich mehrmals.

,,Willst du auch Marmelade?" fragte Rosie zuvorkommend und hielt ihr das Schälchen hin, doch Tipsy schüttelte schnell den Kopf. Seufzend legte Rosie es wieder weg.

,,War Vater sehr wütend, weil ich nicht beim Frühstück erschienen bin?" fragte sie die Hauselfe schließlich, während diese zögernd einen Bissen vom Croissant nahm.

,,Der Herr Gebieter war nicht sehr erfreut." antwortete Tipsy. Rosie seufzte.

,,Mist..."

Plötzlich klopfte es wieder an der Tür des Ateliers. Diesmal war es wesentlich lauter. Tipsy zuckte augenblicklich erschrocken zusammen und starrte geschockt auf das kleine Stück des Croissants in ihren Händen, das immer noch da war. Rosie streckte ihre Hand aus, damit Tipsy es ihr schnell geben konnte. Sie wusste, dass Tipsy großen Ärger bekommen würde, wenn der Rest ihrer Familie sie mit dem Essen erwischen würde, das für Rosie gedacht war.

,,Rosemary? Bist du hier?" hörte sie die Stimme ihres Bruders von draußen.

,,Ja, komm rein!" rief Rosie ihm zu. Sofort öffnete sich die Tür und ein schwarzhaariger, ebenfalls blauäugiger junger Mann betrat das Atelier seiner Schwester. Auch er hatte Sommersprossen im Gesicht, allerdings deutlich weniger als seine Schwester.

,,Hier bist du... Ich suche dich schon im ganzen Haus..." schnaubte er mit leicht vorwurfsvollem Unterton. Ein Schmunzeln schlich sich auf Rosies Gesicht, während sie Tipsy das Tablett mit dem leeren Geschirr wieder zurückgab und diese wieder aus dem Atelier ging. Nur die Tasse Tee hatte Rosie sich behalten.

,,Wenn du erst das ganze Haus durchsuchen musst, um darauf zu kommen, dass ich im Atelier bin, dann kennst du mich überraschend schlecht, Edward." seufzte sie und griff nach einem feuchten Stofftuch, um die rote Farbe von ihrem Pinsel abzuwaschen. Ihr Bruder hatte seine Hände in den Seitentaschen seiner Hose vergraben.

,,Du warst nicht beim Frühstück." erinnerte er sie noch einmal an die Sünde, die sie heute begangen hatte...

,,Ja, das habe ich auch schon bemerkt." murmelte sie. Edward musterte das Gemälde, vor dem seine kleine Schwester gerade saß.

,,Es ist wunderschön." sagte er.

,,Es ist noch nicht fertig... aber Danke." antwortete Rosie. Ein belustigtes Lächeln schlich sich auf Edwards Gesicht.

,,Du machst den ganzen Tag nichts anderes, als zu Malen!" schnaubte er belustigt. Rosie zuckte mit den Schultern.

,,Schon möglich..." meinte sie lächelnd und strich ihre welligen Haare nach hinten.

,,Gehen wir heute nach dem Essen spazieren?" fragte Edward. Rosie nickte.

,,Ja, das wäre toll." sagte sie freudig. Edward tätschelte ihr kurz zufrieden gegen die Schulter.

,,Sehr gut! Na schön, ich lasse dich dann wieder in Ruhe... Sieh' zu, dass du das Mittagessen nicht auch noch verpasst!" scherzte Edward als er wieder in Richtung Tür ging. Rosie verdrehte belustigt die Augen.

,,Wie wäre es denn, wenn ihr jemanden schicken würdet, sobald ich nicht auftauche? Ist ja nicht so, als hätten wir drei Hauselfen!" rief Rosie ihm noch zu. Edward grinste.

,,Du darfst dich in deinem Leben nicht immer nur auf die Hauselfen verlassen!"

,,Aber das mach' ich ja überhaupt nicht!"

,,Jetzt hör' auf zu meckern und komm einfach nicht zu spät!"

Rosemary (HP/Rumtreiber FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt