Mitternachtsschwarz

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Das Licht war trüb in Rosemarys Zimmer. Die Nacht erlaubte es nicht, Tageslicht durch die Fenster scheinen zu lassen. Lediglich die Nachttischlampe füllte den Raum mit einem Hauch von Licht. Rosie stand vor dem großen Wandspiegel und blickte ihrem Ebenbild entgegen. Um ihren Bauch hatte sie einen Verband gewickelt. Edward hatte ihr dabei geholfen. Jetzt gerade versuchte sie sich in ein purpurfarbenes, enganliegendes Kleid zu zwängen. Sie konnte ihren Oberkörper kaum bewegen, ohne, dass höllische Schmerzen ihren Rücken durchzuckten. Der Verband scheuerte an den Verbrennungen.

Unten im Festsaal waren bereits einige der Gäste angekommen. Heute Abend wurde Edwards achtzehnter Geburtstag gefeiert. Rosie hatte sich bemüht sich hübsch zu machen. Sie hatte ihr Haar zusammengesteckt und mit einer Perlhaarspange befestigt. Dieselben, weißen Perlen baumelten von ihren Ohrläppchen hinunter. Sie hatte auch versucht ihrem Gesicht durch etwas Schminke wieder ein wenig Leben einzuhauchen... Dennoch sah sie in ihren Augen noch immer aus, wie ein seelenloser Geist, dem man jegliche Freude ausgesaugt hatte. Ihr trauriger, leerer Gesichtsausdruck alle ihre Bemühungen zunichte.

Irgendwann schaffte sie es schließlich sich ihr Kleid überzuziehen. Es war an sich sehr schön. Der angenehme, purpurne Stoff lang ganz eng an ihrem Körper, sodass sich der Verband an ihrem Rücken ganz leicht abzeichnete. Das Kleid ging ihr bis zu den Knien und hatte kurze Ärmel, die etwa die Hälfte ihrer Oberarme bedeckten. Ansonsten hatte war es kaum irgendwie verziert. Es war sehr schlicht... Rosie liebte schlichte Kleider. Ihr Vater hatte es ihr dieses Jahr zu ihrem Geburtstag geschenkt. Sie hatte sich schon lange darauf gefreut es zu tragen. Jetzt blickte sie es durch den Spiegel an und hatte das Gefühl, jede Berührung des Stoffes erzeugte Brandblasen auf ihrer Haut.

Rosie war so vertieft darin, ihr Spiegelbild zu beobachten, dass sie gar nicht merkte, wie die Zimmertür aufgegangen war. Das gleichmäßige Klackern von hohen Absätzen unterbrach die gespenstige Stille des Raumes. Rosie bemerkte erst, dass jemand zu ihr gestoßen war, als sie die Person neben sich im Spiegel sehen konnte.

,,Du siehst sehr schön aus." sagte ihre Mutter zu ihr und strich ihr von der Seite sanft über das Gesicht. Sie trug ein bodenlanges, tiefschwarzes Kleid ohne Träger, dessen Farbe durch eine ebenso schwarze Kette unterstrichen wurde, in deren Anhänger ein knopfgroßer Obsidian baumelte. Ihr Haar hatte sie zu einem strengen Dutt nach hinten gekämmt und ihre Lippen zierte ein sattes rot.

Rosie antwortete ihrer Mutter nicht. Sie hielt ihren Blick starr auf den Spiegel gerichtet. Als die beiden nebeneinander standen wurde erst erkennbar, wie sehr Rosemary ihrer Mutter aus dem Gesicht geschnitten war. Durch die Unmenge an Sommersprossen im Gesicht, bemerkte man das im alltäglichen Leben fast gar nicht. Doch wenn man, wie jetzt gerade, genauer hinsah, konnte man die vielen Gemeinsamkeiten in ihren Gesichtern punktgenau sehen.

,,Eigentlich solltest du schon unten sein." sagte ihre Mutter.

,,Es sind schon einige der Gäste eingetroffen. Sie warten zu lassen ist unhöflich, du solltest dich beeilen."

Rosie nickte stumm. Neben dem Spiegel stand eine antike Kommode, auf welchem Rosie den ganzen Schmuck, den sie besaß sortiert und aufbewahrt hatte. Mrs Osbern griff nach einer Perlenkette, die dort zwischen einigen anderen Schmuckstücken lag. Sie öffnete den Verschluss und stellte sich hinter ihre Tochter, um ihr die Kette umzulegen.

,,Der Schmuck, den du heute trägst, hat deiner Großmutter gehört, weißt du das?" murmelte Annora Osbern, während sie den Verschluss wieder zumachte. Rosie nickte ganz langsam. Zu mehr war sie gerade nicht im Stande. Ihre Mutter blickte über Rosies rechte Schulter nach vorne in den Spiegel. Ihre stechenden Augen fixierten die ihrer Tochter mit einer Intensität, die Rosie das Blut in den Adern gefrieren ließ.

,,Glaubst du, deine Großmutter würde sehen wollen, dass du ihn trägst, wenn sie wüsste was du getan hast?"

Rosie schluckte, während sie den Blickkontakt weiterhin über sich ergehen ließ, ohne ihn abzubrechen. Langsam schüttelte sie den Kopf.

,,Gut..." sagte Mrs Osbern.

,,Behalte das immer im Hinterkopf."

Rosie spürte wie ihre Wangen ganz warm wurden. Unter ihrem Verband begann sie bereits vor Nervosität und Unbehagen zu schwitzen. Die Perlenkette, die ihr nun um den Hals hing, fühlte sich an, als würde sie einen Kilogramm wiegen. Sie drückte auf ihren Brustkorb wie ein schweres Gewicht, das sie davon abhielt richtig weiteratmen zu können.

,,Du bist unser ganzer Stolz, Rosemary." fuhr ihre Mutter ganz ruhig fort.

,,Das warst du schon immer. Du und Edward, ihr seid unser ganzer Stolz. Und es liegt in eurer Verantwortung und Pflicht dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt."

Rosie konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie versuchte sie mit aller Kraft zurückzuhalten. Durch den Spiegel konnte sie beobachten, wie ihre Augen rot wurden. Sie wusste, jetzt war vermutlich der schlechteste Zeitpunkt, um zu beginnen zu weinen. Sie versuchte den riesigen Kloß in ihrem Hals zu schlucken und hielt ihre Augen starr geöffnet, ohne zu blinzeln.

,,Du weißt, dass unsere gesamte Familie auf dich und Edward zählt. Alles was dein Vater und ich tun, tun wir nur, für das Wohl der Familie, hast du gehört?"

Rosies Mutter strich ihr behutsam über die Schultern. Ihre Tochter biss ihre Zähne so fest aufeinander, dass ihr Kiefer schon begann zu zittern. Doch alle Bemühungen ihre Tränen zurückzuhalten, erwiesen sich als nutzlos, als die erste über Rosies Wange nach unten zu ihrem Kinn kullerte.

Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie merkte, wie sich die Gesichtszüge ihrer Mutter verhärteten, als sie die Träne erblickte. Rosie traute sich kaum einen Mucks zu machen, geschweige denn irgendeine Bewegung. Sie starrte der Träne panisch dabei zu, wie sie vertikal über ihre Wange zur Spitze ihres Kinnes wanderte.

,,Hör auf zu weinen." sagte ihre Mutter immer noch ruhig, jedoch mit einem barschen Unterton.

,,Du hast keinen Grund dazu!"

Sie streckte ihre Hand nach vorne und fing die Träne mit einer schwungvollen Bewegung ihres Zeigefingers auf. Rosie zuckte kaum bemerkbar zusammen, als sie die schnelle Berührung ihrer Mutter auf ihrer Haut spürte.

,,Die Gäste wollen dich lächeln sehen."

Rosemary (HP/Rumtreiber FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt