Twenty-eight - Kurz nach fünf

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Colin

Die roten Zahlen meines Digitalweckers zeigten grade mal kurz nach fünf. Seit einer halben Stunde lag ich schon wach und konnte nicht mehr schlafen. Fabiennes Worte hatten gesessen.

Sie hatten mich mitten ins Mark getroffen. Ich sah die aschfahlen Augen meiner Mutter, wenn sie mal wieder am Boden war vor mir. Ich sah die Typen, die mit meiner Mutter umgingen, wie mit einer Hure. Ich sah meinen Bruder der da saß und all das noch nicht verstand. Das dreckige Geschirr, welches sich stapelte oder meine Mutter wenn sie einen ihrer Putzanfälle hatte.

Seufzend setzte ich mich auf und schielte zu meiner Tür. Wäre ich allein würde ich ins Wohnzimmer gehen, aber ich wollte Fabienne nicht wecken. Andererseits könnte ich mir meine Gitarre ja auch einfach mitnehmen.

Ich schlug die Decke beiseite und schlich ins Wohnzimmer. Leise öffnete ich meine Tür, froh dass sie kein Knarzen von sich gab und wollte eigentlich grade zu meiner Gitarre laufen, da wurde ich abgehalten. Eine müde Stimme erklang von meinem Sofa. "Colin?"

Ich hielt inne und schaute zu ihr. Sie lag zusammengerollt auf meinem Sofa, das Licht von einer der Straßenlaternen fiel ihr lasch ins Gesicht und sie guckte mich direkt an. Sie wirkte nicht, als hätte ich sie geweckt, dafür waren ihre Augen zu wach. "Hab ich dich wach gemacht?" hakte ich trotzdem zur Sicherheit nochmal nach. Sie schüttelte den Kopf und setzte sich auf. "Nein, alles gut. Kannst du nicht schlafen?"

"Glaubst du, ich stehe immer um fünf auf?"

Betreten schüttelte sie mit dem Kopf. Ich wartete auf eine Antwort, als aber keine kam griff ich einfach nach meiner Gitarre. Augenblicklich machte Fabienne platz auf dem Sofa. "Spiel mir was vor", bat sie murmelnd.

Überrascht lächelte ich. Müde war sie gleich viel lieber als wach. Vielleicht sollte ich sie demnächst auf ein Date nachts um drei einladen und nicht schon so früh.

Eigentlich wollte ich zwar grade für mich allein sein, aber ein paar friedliche Momente mit Fabienne schienen ziemlich einladend. Ich schaltete ein kleines Lämpchen auf meinem Regal an und ließ ich mich neben ihr nieder. Sie lehnte sich an die Armlehne des Sofas uns schaute mir zu, wie ich anfing zu spielen.

Die zarten Töne meiner Akustikgitarre begannen, mein Wohnzimmer zu füllen. Ich zupfte zärtlich an den Saiten, ohne ein bestimmtes Lied im Kopf zu haben. Ich wollte einfach meine Gedanken heraus spielen. Etwas erzählen, ohne etwas zu sagen.

Ich schließe die Augen und versuche gegen die Bilder in meinem Kopf anzuspielen. Jedes neue Bild erhielt seine Note, jeder Blick seinen eigenen Akkord, bis eine bittersüße Melodie durch den Raum schwang. Sie erzählte Schmerzen und Angst, ohne mich zurück in diese Welt zu tragen.

Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Sie beruhigte mich. Sie beschützte mich, zurück in die aufgerissen Abgründe zu fallen.

Ich hörte auf zu spielen und schaute zur Seite. Fabienne schaute mich besorgt an. "Was ist los?"

Seufzend schüttelte ich mit dem Kopf. "Nichts."

"So sieht also nichts aus?" Sie nahm mir meine Gitarre ab und kletterte mir auf den Schoß. Überrascht weitete ich die Augen.

Vielleicht schlafwandelte Fabienne ja? Mit offenen Augen. Oder so...

Sie atmete durch und piekte mir in die Brust, was mich grinsen ließ. "Wenn es wegen dem ist, was ich gesagt habe, dann sag es mir bitte. Colin ich weiß ich kann manchmal echt scheiße sein, aber ich meine das nicht so. Frag mal mein schlechtes Gewissen, diese Nervensäge hat mich die halbe Nacht wachgehalten."

Abermals piekte sie mir in die Brust. Ich wusste zwar nicht genau, welches Sinn und Zweck das hatte, aber es besserte auf seltsame Weise meine Laune. Schulterzuckend gab ich klein bei. "Gut. Du hast einen echt miesen Nerv getroffen, Fabienne. Aber ich will es echt nicht erklären."

Ich betete, sie würde mich jetzt in Ruhe lassen und vor allen dingen von meinem Schoß aufstehen, denn ich war mittlerweile wieder etwas wacher und diese Nähe würde nicht mehr lange gut gehen. Aber noch bevor ich was sagen konnte drückte sie sich schon von mir runter und schaute mich, die Hände in die Hüften gestemmt, an.

"Wenn wir jetzt schon mal wach sind..." Sie machte eine Pause und schaute mich an als würde sie erwarten, dass ich ihre Gedanken lesen könne. "Dann könnten wir doch schon mal zu CarterCorp. und von da aus zu mir nach Hause fahren. Oder?"

Ich zuckte mit den Schultern.

"Komm schon. Meine Bluse ist dreckig und so kann ich echt nicht gehen!" Sie deutete an sich herab. Ihre hübschen Kurven wurden in meinen Sachen wirklich etwas verschandelt. Aber ich wollte meinen Kaffee haben und eigentlich hatte ich auch nicht geplant jemals um sechs Uhr in der Firma zu sein.

"Bitteee! Was glaubst du was Herr Carter von mir denkt?"

Ich ließ den Kopf auf die Rückenlehne fallen und starrte an die Decke. "Ist gut. Hör auf zu quengeln. Aber du schuldest mir 'nen Kaffee und was zu essen."

Schnell nickte sie und keine zehn Minuten später war ich um zehn vor sechs auf dem Weg zu CarterCorp. Jippie. Aber immerhin war ich in, grade doch recht angenehmer, Begleitung. Die Straßen waren noch nicht so befahren, wie wenn ich um halb acht im Büro war.

Fabienne trug noch immer meine Sachen, also würde ich gleich in ihr Büro gehen und ihre Sachen holen. Ich hoffte, nicht auf Carter zu treffen. Sonst würde Fabienne nämlich vermutlich Stunden im Auto warten.

Ich hörte noch wie sie ein Danke murmelte, ehe ich die Tür zuschlug und in dem Gebäude von CarterCorp. verschwand. Fabiennes Büro war nicht mal abgeschlossen. Ich öffnete die Tür und schaute mich um.

Ihre Jacke hing über ihrem Stuhl, unter dem Schreibtisch hatte sie ihre Handtasche versteckt und auf einem Stapel Ordner lag ihr Handy. Ich klemmte mir alles unter den Arm. Versehentlich schaltete ich ihr Handy an. Vier verpasste Anrufe, eine Nachricht: Evelyn: Fabi geh an dein verficktes Handy!

Ihr Handy war nicht Passwortgeschützt. Fast wie von selbst wollten meine Finger über den Bildschirm wischen, doch ich ließ es. Nein. Das ging mich nichts an.

Schnell warf ich ihr Handy in ihre Tasche und eilte zum Ausgang, ohne auf jemanden zu treffen. Zum Glück.

Im Auto lag ich ihr ihre Sachen auf den Schoß. Sie dankte mir mit einem nicken. "Zu mir nach Hause geht's da lang."

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