Thirty-four - Hunderte kleiner Rasierklingen

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Fabienne

Ich schaute Colin an und kaute mir auf der Unterlippe rum, in der Hoffnung meine Ausrede zog. Colin aber schüttelte nur mit dem Kopf und warf mir ein Lächeln zu. "Keine Sorge. Es geht um Musik, da wird es kein Theater geben.

Ich unterdrückte es, genervt die Augen zu verdrehen und warf ihm stattdessen ein dankendes Lächeln zu. "Dann bin ich ja beruhigt", murmelte ich, einmal mehr froh, dass ich immer mit zum Schauspielunterricht von Evelyn gekommen war.

Colin öffnete sein Bier. Ich griff nach seiner Flasche und trank einen Schluck daraus. Schmunzelnd hob er eine Augenbraue. "Sag mal kann es sein, dass du anderen Leuten gern ihre Getränke klaust?"

Meine Mundwinkel zuckten belustigt. Ich setzte die Flasche ab und funkelte ihn grinsend an. "Nein. Ich klaue dir gerne deine Getränke", korrigierte ich ihn und trank einen weiteren Schluck.

Sein Blick leuchtete mich einen kurzen Moment auf eine seltsame Art und Weise auf, dann klingelte es. Colin drückte mir das zweite Bier in die Hände und verschwand fast schon ein wenig fluchtartig aus der Küche.

Okay?

Ich zuckte mit den Schultern und nahm die Biere mit ins Wohnzimmer. Doris warf mir einen abwertenden Blick zu und machte ein wenig Platz auf dem Sofa. Wenn sie könnte hätte sie sich vermutlich auf die andere Seite der Erdhalbkugel gesetzt, damit sie möglichst weit von mir entfernt war.

Ich warf ihr einen, nicht weniger begeisterten, Blick zu und wartete darauf, dass Adam und Colin endlich in diesem Wohnzimmer erschienen. Nach einer Ewigkeit, die eigentlich aus einer knappen Minute bestand, kamen die beiden dann endlich ins Wohnzimmer. Adam warf mir gleich ein freundliches Lächeln zu und quetschte sich neben mich aufs Sofa.

"Na, wie geht's euch beiden so?"

Noch immer von Adams stetiger guten Laune amüsiert musste ich schmunzeln. "Noch geht es mir gut. Nachdem ihr meine Songs auseinander genommen habt, vermutlich nicht mehr."

Colin schmiss meine Mappe auf den Tisch und setzte sich auf den Sessel auf der gegenüberliegenden Seite. "Da hast du vermutlich sogar recht."

Adam legte seinen Arm um meine Schulter und drückte mich freundschaftlich an sich, als wolle er mir die Angst nehmen. "Mach dir keine Sorgen, deine Songs sind gut. Und sie passen zu uns."

"Mach mal halblang", brummte Doris. Ihr Handy hatte sie mittlerweile weggesteckt und ihre Ellenbogen auf ihre Oberschenkel gestützt, um sich vorzubeugen.

"Die einzige Meinung, die uns noch fehlt ist deine, Doris. Ich hab mir alles schon angesehen und Adam..." Colin betrachtete seinen Freund mit einem neckenden Grinsen und holte einige Blätter und Notizen aus der Mappe.

"Ich wusste, die Texte sind gut. Ich hab da halt ein Gespür für", meinte er und knuffte mir in die Schulter. Colins Blick zuckte wachsam zu seiner Hand.

Ich erhaschte den Blick auf meine Texte und schmunzelte, als ich eine fremde Schrift darauf entdeckte. Hatte da also jemand in meinen Songs rumgekrizelt! Colin bemerkte meinen Blick und grinste mich stolz an, ohne auch nur den Hauch von einem schlechten Gewissen zu empfinden.

"Also, die hier habe ich mal rausgesucht. Lies sie dir durch, Doris. Dann reden wir weiter."

Doris nahm skeptisch die Texte. Mein Handy klingelte. Carters Name leuchtete auf dem Display auf. Ich murmelte eine Entschuldigung und stand vom Sofa auf. "Fabienne Ramirez, es ist fast halb zehn, was kann ich bitte jetzt noch für Sie tun?", ging ich mit einem vor Ironie triefendem Unterton an mein Handy. Colins Mundwinkel bogen sich amüsiert nach oben.

"Danke für die Erinnerung, aber ich kann eine Uhr lesen. Haben Sie einen Moment Zeit für mich?"

Suchend schaute ich mich in Colins Wohnung um. "Colin, kann ich eben in dein Schlafzimmer?", murmelte ich an Colin gerichtet. Er nickte und deutete auf eine Tür links.

"Störe ich grade?", hakte Carter nach. Ich hörte förmlich, dass er schmunzelte.

"Nein, natürlich nicht."

"Wenn Sie meinen."

"Meine ich." Ich begab mich in Colins Schlafzimmer, schloss die Tür und setzte mich auf sein Bett. Die Matratze war so weich, dass darin förmlich einsank und ich konnte nicht anders, als ein wenig darauf herum zu hüpfen.

"Sie haben mir heute gar keine Ergebnisse bezüglich Lefevre geschickt."

Verwirrt zog ich die Stirn kraus. "Herr Carter, wir haben heute angefangen." Erklärte ich und ließ meinen Blick über die ganzen Poster schweifen, die an seiner Wand hingen.

Gut und ich war vielleicht zwischendurch ein wenig abgelenkt, aber das hätte jetzt auch nicht mehr zum Durchbruch geführt.

"Hören Sie, ich erwarte von ihnen, dass Sie schnell arbeiten. Wenn Sie nicht schnell genug sind, sucht Lefevre sich andere Partner und investieren in andere Firmen. Dafür wollen Sie sicher nicht verantwortlich sein oder?", zischte er auf einmal.

"Herr Carter, vielleicht sollten Sie sich das einfach nochmal überlegen, Lefevre ist nicht-" Ein spottendes Lachen unterbrach mich. Sofort zog sich alles in mir zusammen.

'Still, ich hätte Still sein sollen!', schoss es mir durch den Kopf.

"Wollen Sie sich wirklich anmaßen, über sowas zu urteilen?"

Ich schluckte und krallte mich mit meiner freien Hand in der Bettdecke fest. Ich wollte doch nichts sagen, warum konnte ich nicht die Klappe halten? Warum?

"Fräulein Ramirez, Sie sind meine persönliche Assistentin, keine persönliche Beraterin." Sein Ton war so kühl, dass es mir die Kehle austrocknete. Und ich dachte eigentlich, dass Carter und ich gut klar kamen.

"Ich erwarte von Ihnen, dass sie mir morgen etwas auf den Schreibtisch legen. Sie sind meine Assistentin, weil ich von ihnen schnelle und zuverlässige Arbeit erwarte und nicht, weil ich unnötigen Stress brauche. Das verstehen Sie oder?"

"Natürlich, Herr Carter", antwortete ich, in professionellem Ton.

"Dann bleiben Sie in Ihrem Aufgabenbereich."

"Natürlich, Herr Carter." Eine andere Antwort wollte mir nicht über die Lippen kommen. Der Ton, in dem Herr Carter mit mir redete, schnitt mir in die Haut, als wären es hunderte kleiner Rasierklingen, die gleichzeitig über meinen Körper fuhren.

"Einen schönen Abend noch, Fräulein Ramirez."

"Ihnen auch."
Das Tuten erklang in der Leitung und ließ mich allein zurück. Ich kaute mir unruhig auf der Unterlippe herum. Ein strafendes Kribbeln hatte sich in meiner Brust breitgemacht. Seufzend ließ ich mich nach hinten fallen und starrte an die weiße Decke.

Okay, dass war jetzt nicht deine schlauste Aktion. Carter musste selbst herausfinden, dass Lefevre nicht gut war und wenn es dann zu spät war und CarterCorp. in Ruinen ertrank war er letzten Endes selbst schuld. Aber jetzt sollte ich erstmal wieder zu den anderen gehen, um mir die Gründe anzuhören, weswegen sie meine Songs nicht wollte.

Ich raffte mich zusammen und atmete durch. Ich nahm die Schultern zurück und klebte mir ein Lächeln auf die Lippen, während ich die Tür öffnete.

"Wir können das nicht nehmen", hörte ich Doris Stimme.

Everyone has SecretsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt