Thirty-one - Der Typ, der...

118 12 5
                                    

Fabienne

Kurz vor zwölf machte ich mich auf zu Bob, zog mir die gefütterte Lederjacke über und guckte nach ob mein Portemonnaie in meiner Handtasche war, ehe ich den Aufzug nach unten nahm. Sollten die Dinger jemals ausfallen würde CarterCorp. auch als Fitnesscenter durchgehen. Vor allem für die, die in den oberen Etagen arbeiteten würde es an Horror grenzen.

Die Zahlen schlichen nach unten.

Vielleicht sollte ich das mit den Treppen doch mal ausprobieren. Zumindest runter war man vermutlich schneller. Ich kramte mein Handy heraus und las die letzte Nachricht meiner Schwester.

9:33 - Evelyn: Wehe du gehst heute Abend nicht ran. Lilu vertraut darauf, dass sie dich immer erreichen kann. Mach das nicht kaputt.

11:58 - Ich: Ich rufe heute Abend an, versprochen. Es ist nur etwas wirr gewesen die letzten Tage.

Sofort kam meine Schwester online.

11:58 - Evelyn: Das ist keine Entschuldigung. Bis heute Abend.

Die war sauer. Aber sie hatte nicht unrecht.

Der Aufzug hielt an. Ich steckte mein Handy in die Tasche, winkte Tamara und Lisa kurz zu und verschwand dann nach draußen. Schon jetzt drängten sich die Leute um den Sandwichwagen. Das Gedränge war fast so groß, wie auf meiner alten Schule, wenn es mal Waffeln in der Mensa gab.

Ich musste gar nicht lange suchen, da kam Colin schon auf mich zu. "Tach."

Ein Grinsen huschte mir über die Lippen. "Hey." Ich deutete mit dem Kinn in Richtung der immer länger werdenden Menschenschlange. Colin nickte und wir stellten uns gemeinsam an. "Du bekommst ein Käsesandwich?", hakte ich nach, während ich das nötige Kleingeld raussuchte.

"Jepp."

Einen Moment blieb es still, dann regte Colin sich wieder. "Du meintest wir würden zusammenarbeiten. Woran, wenn ich fragen darf?"

Überrascht schaute ich zu ihm hoch. Hatte Carter denn gar nichts gesagt? Soweit ich wusste kamen die beiden ganz gut miteinander aus. "Äh, da gibt es so eine deutsche Firma. Lefevre. Wir sollen sie gemeinsam um den Finger wickeln und ein paar Infos über sie sammeln", meinte ich, während ich mich auf die Zehenspitzen stellte um zu schauen wie viele noch vor uns waren.

"Ah ja, hatte Carter was erwähnt. Warum macht er das nicht selbst?"

"Vielleicht weil er selbst genug zutun hat?"

Ich zuppelte an meinem Kleid rum und bereute den tiefen Ausschnitt grade, denn es zog doch ziemlich in meinem Dekolletee und ich konnte meine Jacke nicht zu machen. Das würde nämlich echt scheiße aussehen. Unwohl räkelte ich mich in dem gefütterten Stoff meiner Jacke.

"Kalt?"

"Geht schon", meinte ich und bereute, keine Strumpfhose zu tragen.

Endlich stand niemand mehr vor uns. Bob warf mir ein freundliches 'Hallo' entgegen, welches ich mit dem gleichen Schwung erwiderte. "Fabienne! Heute mal ohne Matt unterwegs?" Der Geruch von Fett, Schinken und geschmolzenem Käse begrüßte uns.

"Sieht so aus. Aber ich habe ja trotzdem noch nette Begleitung", meinte ich und schenkte Colin ein Lächeln. Argwöhnisches lächelte er zurück.

"Was bekommt ihr beiden denn?"

"Zwei Käsesandwiches." Ich deutete auf zwei ganz bestimmte, die hinter ihm auf einer Tafel abgebildet waren. Bob nickte und drückte mir einen Zettel mit einer Nummer in die Hand. "Zehn Minuten. Bis gleich."

Höflich nickte ich ihm zu und presste mich zusammen mit Colin aus der lauten Menschenmenge.

Selbstzufrieden grinste Colin vor sich hin. "Eindeutig eine Verbesserung", meinte er.

"Eine Verbesserung?" Ich verzichtete darauf mich gegen den Wagen zu lehnen. Zu riskant. Nachher war meine ganze Jacke dreckig und das konnte ich nicht gebrauchen, immerhin hatte ich sie heute morgen erst aus dem Trockner geholt.

"Ja. Ich habe es innerhalb von zweieinhalb Wochen vom Einmalwaschlappen zur netten Begleitung geschafft."

Ich lachte und schüttelte den Kopf. "Das habe ich doch nur gesagt weil Bob dabei war. Du bist..." Ich hielt inne und fuhr ihn von oben bis unten ab, auf der Suche nach den richtigen Worten, die nicht heiß, unerträglich oder unwiderstehlich waren.

"Ich bin?"

"Gar nicht so schrecklich."

Jetzt war es an Colin zu lachen. "Du bist auch gar nicht so schrecklich." Er schob noch etwas hinterher, allerdings so gemurmelt, dass ich es nicht verstehen konnte.

Nachdem wir unsere Sandwiches gegessen hatten, kamen wir gemeinsam in Colins Büro an. Naja, Büro - Höhle, man hätte auch Höhle sagen können. Es war dunkel, das einzige Licht waren die Bildschirme die beschäftigt vor sich hin flackerten.

Ich zog meine Jacke aus, hing sie über den einen Stuhl, der an der Seite stand und stellte meine Handtasche dazu. Colin ließ mich dabei nicht aus den Augen. Nur zu gern hätte ich gewusst, was er grade dachte. Wirklich, sehr gern.

"Weißt du irgendwas über diese Firma?" Ich lehnte mich gegen den Schreibtisch und begutachtete neugierig was seine Bildschirme zeigten, auch wenn ich die Hälfte davon nicht verstand. "Oder warum hat Carter ausgerechnet dich darauf angesetzt."

"Was heißt hier ausgerechnet mich?"

Ich zuckte schelmisch mit den Schultern und wusste nicht so recht, wo wir anfangen sollten. Colin schien Lefevre nicht zu kennen und ich kannte sie zu gut. Schweigend starrten wir uns an. Nichts was die Stille durchdrang. Kein Uhrticken, keine Stimmen von draußen. Nur Schweigen, durch das sich unsere Blicke bohrten.

Ohne irgendeine Diskretion fuhr mein Blick seinen Körper ab. Wie lange hatte ich all das verdrängt? Diese stechenden Augen, diese Anziehungskraft, diese schreiende Lust? Zu lange. Zu lange hatte ich jeden Annäherungsversuch von ihm mit spitzen Bemerkungen abgeblockt, doch jetzt und hier in Colins Büro kam es mit der Wucht eines Tsunamis wieder auf mich zu.

Es riss meine Mauern förmlich ein, während mein Herz begann höher zu schlagen, dank der Bilder die sich vor meinem inneren Auge abspielen. Wir beide, im Hotel, völlig von dieser Lust besessen.

Und jetzt war es noch intensiver als zuvor. Colin war nicht mehr der Typ aus dem Club, mit dem ich einmal geschlafen hatte. Colin war der Typ, der mich nach einem seiner Konzerte auf ein Date eingeladen hatte, er war der Typ, der mit mir im matschigen Rasen gelegen und mir heute früh noch etwas auf seiner Gitarre vorgespielt hatte und er war der, der genau so unerträglich wie unvermeidbar war. Und Tag für Tag kam mehr dazu.

Das provokante Grinsen auf meinen Lippen wurde immer blasser, die Luft im Raum wurde immer dicker. Colin trat einen Schritt auf mich zu. Ich schluckte, unwissend was ich davon halten sollte. Sein Blick aber verriet mir, dass es ihm genau so ging. Da war dieses Funkeln in seinen Augen.

Unruhig presste ich mich gegen den Schreibtisch und beobachtete wie er auf mich zukam. Zielstrebig wie ein Wolf auf der Jagd, elegant wie eine Katze. Und ich, die da stand, wie eine Statue. Seine glimmernden Augen ließen von mir nicht im ab. Er umzingelte mich, indem er seine Hände je links und recht neben meinen Hüften auf dem Tisch abstützte.

"Ich warne dich, Kätzchen. Wenn du mich weiter so ansiehst kann ich nicht dafür garantieren, dass wir heute viel arbeiten." Seine Stimme war kaum mehr als ein Raunen, als er sich zu mir beugte, um mir diese Worte ins Ohr zu flüstern.

Ich stockte...

Everyone has SecretsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt