Twenty-nine - Mauern

94 12 5
                                    

Colin

Ich stand vor dem Mehrfamilienhaus und wartete auf Fabienne. Der heiße Kaffee in meinen Händen unterdrückte die Kälte.

Neugierig schaute ich mich um. Es war bei weitem nicht die beste Gegend, ziemlich abgeranzt eigentlich. Die Mauern waren mit Graffiti beschmiert und es roch auch nicht grade angenehm.

Eigentlich hätte ich ja gedacht, dass sie genug verdienen würde, um in einer besseren Umgebung zu leben. CarterCorp verteilte ja nun keine Hungerlöhne und das hier war bestimmt nicht das Teuerste. Aber vielleicht war ja auch einfach nichts besseres frei gewesen, als sie hergezogen war.

Ich schmiss meinen, nun leeren, Kaffee in einen Mülleimer da hörte ich, wie eine Tür zuschlug. Ich drehte mich um. Fabienne schloss die Tür ab und kam lächelnd auf mich zu. Ich schluckte, während mein Blick wie von selbst immer wieder an ihr rauf und runter wanderte.

Das lilafarbene Businesskleid schmiegte sich perfekt an ihre zarten Kurven, die hohen Schuhe ließen ihre, ohnehin schon langen, Beine noch länger wirken und der Ausschnitt. Vor allem der tiefe Ausschnitt sog meine Aufmerksamkeit auf. Er war zwar ziemlich provokant wirkte aber noch nicht nuttig, sondern viel mehr elegant.

Mir wurde heiß. Verdammt heiß. Ich wusste gar nicht, wohin ich zuerst schauen sollte. Und das Grinsen, welches sich auf ihre Lippen legte zeigte mir, dass sie sehr genau wusste, was sie da anhatte.

"Können wir?"

Ich nickte und lief ums Auto.

In meinem Wagen war es still. Ich bemühte mich, mich auf die Straßen zu konzentrieren und nicht auf das was Fabienne trug und Fabienne selbst kramte grade in ihrer Tasche rum.
Es war fast schon qualvoll jeden unpassenden Gedanken wieder zu verdrängen, jetzt wo sie mir so nah saß.

Die Luft in meinem Auto war schon verdammt stickig. Ich öffnete das Fenster, was aber kaum half, von der Tatsache abgesehen, dass es jetzt kalt wurde. Und dann würde sie heute Abend auch noch in dem Aufzug bei mir auf dem Sofa sitzen.

Toll...

Ich musste an etwas anderes denken. Etwas anderes...

Das Kleid sieht eigentlich verdammt teuer aus, schoss es mir durch den Kopf. Eine Ampel schaltete doch noch auf rot und ich guckte zu ihr rüber. Nichts von dem was sie anhatte wirkte billig. Es wirkte sogar eher so, als hätte sie locker in einem besseren Viertel leben können.

"Wo hast du das Kleid her?", fragte ich betont beiläufig in die Stille hinein und schloss das Fenster wieder. Was eh zwecklos.

"Warum? Hast du vor demnächst in Kleidern deine Konzerte zu geben?" Sie grinste mich an und steckte ihr Handy zurück in die Tasche.

"Nein. Aber das sieht nicht grade günstig aus."

"Es geht..." Sie zuckte mit den Schultern und holte ihr Telefon doch wieder aus der Tasche. Ich warf einen schnellen Blick darauf. Sie schrieb dieser Evelyn.

Ich verdrängte meinen inneren Detektiv, den ich zuvor noch gar nicht kennengelernt hatte und wäre dem Auto vor mir fast hinten rein gefahren, weil ich es nicht bemerkt hatte.

Ups...

"Führerschein im Lotto gewonnen?" Grinsend hob meine Beifahrerin den Blick. Ich schüttelte mit dem Kopf und versuchte, das Gespräch über ihr Kleid weiter auszubauen. "Von dem was das Kleid gekostet hast kannst du deine Monatsmiete sicher dreimal bezahlen", brummte ich.

Ich schaute zu ihr rüber. Kein Lächeln, kein Augenbrauen verziehen, ihre Hände verkrampften sich nicht um ihr Handy. Ihre einzige Reaktion ihrerseits war das wegpusten einer störenden Haarsträhne. "Könnte ich, aber dafür gefällt mir das Kleid zu gut."

Verwirrt fuhr ich weiter, diesmal sehr darauf bedacht, keinen Unfall zu bauen. Noch ungenauer konnte sie auch nicht antworten oder?

"Und warum wohnst du dann in so einer Gegend?"

Seufzend steckte sie ihr Handy weg; diesmal in die Jackentasche; und schaute mich an. "Weil mir die Wohnung gefällt."

Ich begann zu grinsen. Da schien es jemand überhaupt nicht leiden zu können, wenn man an der Mauer rumkratzte. Konnte ich verstehen, stellte meine Neugierde aber nicht zufrieden.

Matt würde sich jetzt sicher freuen, dass wir eine Gemeinsamkeit gefunden hatten.

Ich bog ein und wir landeten in dem Parkhaus von CarterCorp. Ich griff nach meiner Tasche. Wir gingen noch zusammen in das Treppenhaus und stiegen in den Aufzug. Fabienne würdigte mich dabei keines Blickes, sie war viel zu sehr darin vertieft auf ihrem Handy herum zu tippen.

Ein Ping ertönte und ich wollte grade raus, da stellte ich fest, dass es die falsche Etage war. Herr Simons stieg zu uns. Mich beachtete er gar nicht, seine volle Aufmerksamkeit lag auf Fabienne, die jetzt allerdings noch mehr in ihr Handy vertieft war.

Ah ja, da war ja anscheinend auch noch was im Busch, wie ich gestern festgestellt hatte.

Herr Simons räusperte sich, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie hob den Blick und schaute mich einen Momentlang an, als wäre ich derjenige gewesen, der sie aus ihrer wichtigen Unterhaltung am Handy gerissen hätte. "Wann holst du mich eigentlich später ab? Halb neun, neun?"

Der Chef der zweiundvierzigsten warf ihr einen finsteren Blick zu.

Eigentlich hätte ich ja noch etwas dazu gesagt, doch als der Aufzug erneut hielt, nickte ich ihr einfach nur zu und verschwand in meinem Büro.

Während meine Rechner hochfuhren bereute ich es, nicht noch etwas höher gefahren zu sein, um mir noch einen Kaffee zu holen und ließ mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen. Gabriel war ja, wenn ich mich nicht irrte, eigentlich Fabiennes Vorgesetzter. Also wenn die Beziehung der beiden wirklich so schlimm war, wie es grade wirkte, war sie sicher froh für kurze Zeit nicht für diesen schmierigen Kerl zu arbeiten.

Mein Rechner schaltete sich von selbst wieder aus. Ich warf ihm einen strafenden Blick zu, da klopfte es. "Ja?"

Herr Carter kam in mein Büro. Er selbst trug noch seine Jacke und seinen Koffer bei sich.

Der war heute aber spät dran.

"Guten Morgen, Herr Spencer."

"Herr Carter." Ich warf ihm ein freundliches Lächeln zu. "Was kann ich für sie tun."

"Ich bräuchte nur eine Handvoll Infos über ein deutsches Unternehmen, die man aber leider nicht aus dem Internet bekommt."

"Hmhm." Schnell unterband ich ein Grinsen und hob eine Augenbraue. "Was für 'Infos', wenn ich fragen darf?"

"Diesmal tatsächlich nichts Außergewöhnliches. Grundlegende Sachen, Umsatz, irgendwelche internen Skandale. Man findet nichts über sie."

"Und wie heißt diese Firma?"

"Lefevre."

Nie gehört.

Skeptisch schaute ich ihn an. "Lefevre. Das wars?"

Carter zuckte mit den Schultern. "Ich hab mir den Namen nicht ausgedacht. Viel Glück." Und schwubs war er weg, ließ mich allein mit diesem makabren Häufchen Informationen.

Hoffentlich kam später noch eine Mail von ihm, mit irgendetwas an Daten, sonst würde das ein ziemlich anstrengender Tag werden.

Everyone has SecretsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt