Twenty-seven - Schlechtes Gewissen

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Fabienne

Kompliziert also? Herrje, wenn er wüsste, wie ich wirklich war, dann würde ich für ihn sicher sowas wie die Frage nach dem Sinn des Lebens darstellen. Ungefähr auf dem Level mit kompliziert war ich dann vermutlich.

Seufzend wendete ich den Kopf wieder ab und starrte aus dem Fenster.

"Du machst es einem halt nicht einfach. Trifft man dich im Club, landest du mit mir im Bett, trifft man dich im Büro, hast du mich noch nie gesehen, trifft man dich in der Bar, gibst du mir so viel Kontra, dass sich jede Frau dort was davon hätte nehmen können und trifft man dich auf einem unserer Konzerte, gehst du plötzlich mit mir aus."

Verwundert weitete ich die Augen und schaute zu ihm rüber. Hatte Colin grade wirklich so viel gesagt? Am Stück. Ohne ausfallend zu werden oder eine blöde Bemerkung zu machen. Wirklich? "Tja, sei froh, dass du mich nicht kennst", erwiderte ich; unwissend, was ich sonst darauf hätte antworten können.

Eine Ampel vor uns sprang auf rot. "Warum?" Herausfordernd schaute er mich an.

"Das würdest du schon merken, solltest du mich je besser kennenlernen."

"Wofür war dieses Date gleich noch?"

Seufzend verdrehte ich die Augen und war froh, dass die Ampel wieder auf grün schaltete und er von mir abließ. Knapp drei Minuten später hielten wir an. Ich stieg aus und folgte ihm einfach, in der Hoffnung, dass er mir schlicht eine Decke geben und sich hinlegen würde.

Als er den Schlüssel im Schloss drehte, fiel mir noch eine unbeantwortete Frage ein. "Soll ich morgen eigentlich kommen?"

Colin öffnete die Tür und schaute mich an. "Ich nehm dich nach der Arbeit mit", erklärte er stumpf und ließ mich in seine Wohnung. Ich zog meine Schuhe aus, murmelte eine Zustimmung und genoss die Wärme, die in seiner Wohnung herrschte. Zwar war meine Bluse nicht mehr ganz so nass, frisch war es aber trotzdem noch.

Ein Schauer der Kälte überfuhr mich. Ich stand etwas ratlos in Colins Wohnung und schaute mich um. Sie war ziemlich hell eingerichtet, was mich überraschte. Ich hatte Colin nicht für jemanden gehalten, der ein weißes Ikea-Regal in seinem Wohnzimmer stehen hatte.

"Hast-" Ich guckte mich suchend nach ihm um. Colin steckte seinen Kopf aus einem anderen Zimmer und hob fragend die Augenbrauen. "Hast du was zum überziehen für mich?", murmelte ich.

Er nickte und warf mir ein weißes Shirt und eine Jogginghose zu. Dankend lächelte ich ihm zu. "Dein Bad?"

Mit dem Kinn deutete er auf eine weiterer Tür. Ich nickte und verschwand darin. Auch hier war es zum Glück warm und die orange gestrichene Decke hatte was. Der Geruch von Colins Parfum schwirrte hier herum, zusammen mit dem Geruch eines Herren-Duschzeugs.

Argwöhnisch guckte ich mich um; es war nicht sonderlich geräumig und in dem Bad fehlte eindeutig eine Badewanne aber ansonsten war es ganz okay.
Ich schloss ab und wechselte meine Klamotten. Das T-Shirt von Colin war mir viel zu groß und auch in die Jogginghose hätte ich sicher zweimal gepasst. Nicht mal als ich sie ganz fest zuschnürte saß sie so wirklich, aber zumindest rutschte sie mir nicht mehr vom Hintern.

Ich legte mein Zeug auf die Heizung und kam wieder aus dem Bad.

Colin hatte sich bereits umgezogen. Nein - vielmehr hatte er sich ausgezogen, alles was er noch trug war eine dunkelblaue Jogginghose.

Hell...

Ich schluckte und stand da. Diesen Traumkörper hatte ich eigentlich schon so gut wie verdrängt und jetzt wurde er mir einfach wieder direkt vor die Nase gehalten und ich durfte nichts weiter tun, als zuschauen.

In mir begann es zu glühen und die Bilder aus meiner Nacht mit Colin, die ich erfolgreich beiseite geschoben hatte, enttarnten sich wieder. "Ähm..."

Ein Grinsen malte sich auf seine Lippen, doch erstaunlicher Weise blieb er total nett. "Magst du was trinken?"

Verneinend schüttelte ich den Kopf und konnte meine Auge kaum von ihm abwenden.

Schultern zurück, Kinn hoch, Lächeln...

Ich sagte es mir immer wieder wie eine Zauberformel und raffe mich schließlich zusammen. Colin war einfach nur ein gut gebauter Mann. Nichts davon war etwas neues für mich, nichts daran war unbedingt faszinierend, also was raubte mir bitte die Fassung? Wieder schüttelte ich mit dem Kopf, diesmal aber, um meine Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen.

"Hast du vielleicht eine wärme Decke für mich?", fragte ich ihn.

Er brummte bejahend und verschwand abermals in dem Zimmer von eben, von dem ich vermutete, dass es sein Schlafzimmer war. Kaum eine Minute später warf er zwei flauschige Decken auf sein Sofa. "Reicht das?"

Ich nickte.

Nun standen wir uns gegenüber. Uns beiden war nicht wohl mit dieser Situation. Der Streit von eben hing noch nach, jedoch wollte niemand darauf eingehen um es zu klären. Mein Kopf ratterte nach einem Thema, welches keinen Streit auslösen würde und nicht unhöflich war. Mein knurrender Magen nahm mir das denken aber plötzlich ab.

Colin hob den Blick und grinste mich an. Verlegen schmunzelte ich. "Hast du was zu Essen da?"

"Nein, ich lass dich verhungern."

"Wie lieb."

Ich folgte ihm in seine Küche. Während Colin etwas Brot und Aufschnitt aus seinem Kühlschrank holte ließ ich ihn nicht aus den Augen. Selbst sein Rücken war sexy...

Ratlos blies ich die Backen auf und lächelte dankend, als er das Zeug auf den Tisch stellte, in der Hoffnung er bekam mein ganzes Starren nicht mit.

"Sei froh, dass ich müde bin und keine Lust hab, mir deine Sprüche anzuhören. Sonst hättest du dir selbst was gemacht", brummte er und warf mir ein schiefes Grinsen zu.

"Danke..."

Ich griff eine der Brotscheiben. Es kam mir ein wenig unrealistisch vor, wie ich ihr mit Colin saß und mir mein Brot schmierte. Das ganze war um Längen zu friedlich, als das es zu und passen würde. "Colin-", setzte ich an, brach aber sofort wieder ab, als seine blasblauen Augen mich streiften.

Unruhig leckte ich mir über die Lippen und sammelte mich. "Was ich gesagt habe tut mir wirklich leid. Ich hätte nachdenken sollen. Oder am besten einfach die Klappe halten. Entschuldigung..."

Im selben Moment wie ich die Entschuldigung ausgesprochen hatte, sah ich wie Colin anfing nachzudenken. Man hörte förmlich die Gedanken, die sich in seinem Kopf hin und her drehten, während sein Blick nicht von mir ließ. Nur leider konnte ich nicht verstehen, was seine Gedanken sagten.

Die Zeit schritt dahin, während wir weiteraßen. Die Stille legte sich über uns, wie eine schwere Bleidecke und das gelbe Licht seiner Küchenlampe flackerte zwischendurch amüsiert auf. Schließlich steckte er sich den letzten Bissen in den Mund. "Ist okay. Lass uns nicht mehr drüber reden."

Seine Worte sollten mich eigentlich erleichtern, doch sein Blick sagte mir, dass ihn meine Worte mehr getroffen hatten, als er es zugab. Oder als er es zulassen wollte.

Zerknirscht schaute ich dabei zu, wie er aufstand und seinen Teller in die Spüle stellte. Der Aufschnitt verschwand im Kühlschrank und die einsame Brotscheibe wieder im Brotkorb. Als er die Küche verließ schaute er mich nicht mal an. "Gute Nacht, Fabienne..."

"Dir auch", entgegnete ich leise.

Colin verschwand in seinem Schlafzimmer und ließ mich mit meinem schlechten Gewissen allein, welches mir immer und immer wieder versuchte gegen die Stirn zu schlagen. Er hatte sich Mühe gegeben, ich hatte verdammt noch mal gemerkt, dass er wirklich Spaß hatte und es nicht spielte und ich stach mit einem Messer, dessen Schärfe ich mir nicht bewusst war, direkt in seine Brust.

Ja, leider mehr ein Übergangskapitel geworden, als alles andere. Ich hoffe es war nicht zu langweilig, die nächsten werden aber garantiert wieder spannender - versprochen (:

Ich hoffe ihr hattet heute alle einen schönen heiligen Abend

Elli🎅🏼🌹

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