Seventy-four - Dann...

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Colin

Und ich war völlig weg. Was sie mir gerade gesagt hatte, hatte mich sowas von erschlagen, dass mir jede Fähigkeit etwas zu sagen entfiel, ich hatte absolut keine Ahnung. Ich hätte ihr gerne gesagt, dass ich sie auch liebe. Wie sehr ich das tue, aber das wollte sie ja nun nicht hören. Also schaute ich in diese grünen Augen und suche nach einer Antwort. "Kätzchen, ich werde dich nicht so schnell gehen lassen", war das einzig sinnvolle, was ich Zustande brachte.

Sie nickte und drückte meine Hände. Ihr Gesicht war schneeweiß, ihre Lippen blass. "Ich habe keine Ahnung, womit ich das hier verdient habe."

Nun, das konnte ich ihr auch nicht beantworten. Vor allem, weil ich nicht wusste, ob sie gerade das gute oder das schlechte in ihrem Leben meinte. Und wenn sie das schlechte meinen sollte, konnte ich ihr sogar noch weniger sagen, weil ich mir sicher war, dass ich nicht mal ein Viertel davon kannte. "Wir werden heute in diese Firma gehen. Mit Jake, mit allen, wir kriegen das hin." 

Sie lächelte. "Wenn du das sagst." 

Etwa gegen zehn irgendwann standen wir vor einem riesigen Gebäude. Wir hatten Lilu in die Schule gebracht, nachdem ich dazu gezwungen wurde, ihr Zöpfe zu flechten. 

"Guten Tag. Ich würde gerne zu Cecile Lefevre." Fabiennes Stimme war fest. Vor uns zwei Männer in Anzügen, die telefonierten. Einer der beiden legte auf, er sah Fabienne skeptisch an. "Sie sind wer genau?" 

Fabienne rümpfte die Nase. "Diese Frage ist lächerlich. Absolut überflüssig, ich möchte jetzt zu Cecile Lefevre." 

"Es tut mir sehr leid, hier sind nur Personen mit Zutrittsberechtigung erlaubt." 

Man merkte wie sie innerlich brodelte. Ich wollte gerade etwas sagen, da fiel mir ein, dass diese Frau, Cecile, wenn sie die CarterCorp betrogen hatte, uns wohl kaum reinlassen würde, wenn sie wüssten, woher wir kamen. Da war durchaus etwas dran. "C'est ridicule! Wollen Sie sich wirklich so sehr blamieren und mich meinen Ausweis zeigen lassen?! Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?" 

Jake sah mich verwirrt an. Ich zuckte mit den Schultern, konnte ihm ja schlecht sagen, dass sie ihre Tochter-Karte gerade ausspielte. Aber dass sie so eine Diva mimen konnte überrascht mich schon ein wenig. 

Gerade wollte einer dieser Anzugmänner noch etwas sagen, da stürmte eine Sekretärin nach draußen. "Was macht ihr denn, spinnt ihr!"

Auf Fabiennes Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Auf Jakes Verwirrung.

"Wieso lasst ihr Mademoiselle Lefevre nicht ins Haus? Geht's euch noch gut? Verzeihen Sie bitte Mademoiselle, kommen Sie bitte." 

Ich runzelte die Stirn, als gleich ein zweiter Mann aus dem Gebäude eilte. "Señorita Ramirez, wie schön Sie zu sehen! Kommen Sie, kommen Sie. Ihre Mutter ist im Haus, Ihr Vater nicht, aber das ist kein Problem, sollen wir ihn anrufen?" 

Ich war von diesem Empfang so überfordert, dass ich mich einfach mit hineinziehen ließ. Ebenso Jake. 

"Wenn wir gewusst hätten, dass Sie kommen, hätten wir etwas vorbereitet. Ihre Eltern werden sich freuen, Sie zu sehen. Kommen Sie."

Ich lehnte mich zu Fabienne und fragte, "Mademoiselle Lefevre und Señorita Ramirez? Ist man sich hier nicht einig?" 

Sie murmelte schmunzelnd, "Das kommt darauf an, ob die Leute hier eher meine Mutter oder meinen Vater mögen."

"Ihre bitte wen?" Jake schien wieder bei Sinnen zu sein.

Wir wurden förmlich herein getragen und in einen Wartebereich gesetzt, in dem ein Sofa so teuer war, dass ich davon meine Monatsmiete locker bezahlen könnte. Jake setzte sich ebenfalls, aber deutlich angespannter als ich und Fabienne - Fabienne redete auf, keine Ahnung was für einer Sprache jetzt schon wieder, mit einer der Leute, die sie so überschwänglich unehrlich begrüßten. 

Jake war damit nicht zufrieden. "Haben Sie gerade gesagt, Mutter und Vater? Hallo?!" 

"Anders wären wir hier nicht-"

Eine Frau mit blondem Haar, grünen Augen und einem Blick, der ganze Gebirge zum Zittern bringen könnte kam aus dem Aufzug. Sie begann sofort zu reden, auf schnellem Französisch, dann auf Deutsch - also vermutlich Deutsch. Ich verstand absolut überhaupt nichts. 

Aber etwas anderes bemerkte und verstand ich sofort. Die Frau näherte sich und Fabiennes Haltung wurde gerade, sie zog die Schultern zurück und hob das Kinn. Ihre beinahe weißen Lippen verformten sich zu einem Lächeln, so breit und so unehrlich wie die Umarmung die folgte. "Maman! Tust du mir einen Gefallen? Ich habe Freunde mitgebracht, aber sie reden nur Englisch." 

Ihre grünen Augen trafen mich. Es war das gleiche grün, wie das, welches man sah, wenn man in Fabiennes Augen blickte. Aber so anders, dass es mir eiskalt den Rücken herunterlief. Meine Menschenkenntnis war bei Weitem nicht so gut, wie Fabiennes, aber gut genug um diese Kälte zu erkennen. 

"Sie sprechen nur eine Sprache? Nunja, Bildung ist nicht etwas, was sich jeder leisten kann." Lächelnd reichte sie mir die Hand, dann Jake. "Cecile Lefevre."

"Colin Spencer", stellte ich mich vor und schielte zu Fabienne. Sie stand so steif da, es würde mich wundern, wenn sie überhaupt noch atmete. 

"Ich habe heute noch einiges zu erledigen, aber komm doch mit deinen... Begleitungen nach Hause heute Abend. Bring doch Lilura mit, ich habe die Kleine schon so lange nicht mehr gesehen." Sie wandte sich an ihre Tochter. 

Fabienne nickte und umarmte ihre Mutter erneut. "Natürlich. Ich hätte mir denken können, dass es heute unpassend ist, aber ich wollte sofort vorbeikommen. Dann bis heute Abend." Als ihre Mutter die Umarmung erwiderte, wurde Fabienne sogar noch blasser. Sie presste ihre fast lilafarbenen Lippen aufeinander. Ich musterte sie, ihre Hände waren ebenfalls fast weiß, zitterten leicht. "Bis heute Abend Maman." 

Die Frau warf ihr ein falsches Lächeln zu und stolzierte dann zurück in den Aufzug. Fabienne schaute zu den Mitarbeitern. "Danke, das war sehr freundlich von euch." Dann sah sie mich und Jake auffordernd an. "Kommt ihr?"

Ihre Stimme klang hell, brüchig; warum auch immer und ihre Schritte wirkten unsicher. Jake warf mir einen verwirrten Blick zu, jedoch konnte auch ich nur mit den Schultern zucken. Wir folgten Fabienne aus dem Gebäude, grüßten die beiden Männer und stiegen die Treppen herunter. Fabienne hetzte von dem Gebäude weg - Beziehungsweise hetzte sie nicht. Sie lief schnell, schweigend und ohne auf uns zu achten. Als wir den Eingang nicht mehr sehen konnten, drehte sich sich um und schaute mich an. 

Ich wollte etwas sagen. Ihre Augen waren auf mich gerichtet, schimmerten glasig, sie trennte ihre Lippen.

Dann klappte sie einfach zusammen. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 09, 2022 ⏰

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