Sixty-six - Geographisch, philosophisch, sprachlich

72 5 2
                                    

Colin

Tatsächlich schafften wir es am nächsten Tag beide so früh aus dem Bett, dass wir bereits um kurz vor sieben vor Fabiennes Wohnung standen. Ihre Schlüssel klapperten, als sie die Tür aufschloss. "Geht doch", grummelte sie und stapfte voraus in ihre Wohnung.

Schmunzelnd folgte ich ihr. Wie kalt die frische Februarluft war, bemerkte ich erst wirklich, als mir die Wärme des Flures um die Nase tanzte. Aus einer der unteren Wohnungen drang dumpf schlechte - und viel zu laute - Elektromusik, ein junger Mann der gehetzt seinen Anzug schief zuknöpfte kam uns entgegen und grüßte Fabienne mit einem Lächeln, dann hopste er weiter die Treppen runter.

"Der kommt jeden morgen zu spät zu Arbeit, der Kerl", murmelte sie. Recht wenig interessiert schaute ich ihm nach, während Fabienne die Wohnung aufschloss. Als ich die Pinterest entsprungenen Räume betrat, fragte ich mich einmal mehr, wie sie so eine unfassbare Ordnung beibehalten konnte. Jede ihrer Jacken hing seit ich das erste Mal hier war am gleichen Haken, auf der kleinen Kommode neben der Badezimmertür stand jedes Mal die schmale Vase, mit einer einzelnen Blume darin. Kein Staubkorn verunzierte den Boden und irgendetwas in dieser Wohnung schaffte es jedes Mal, dass es hier ein wenig nach Schokolade roch.

In der Zeit, in der Fabienne mir meine Jacke abgenommen hatte, zog ich meine Schuhe aus und taperte in Richtung Küche. "Darf ich Kaffee servieren?"

Fabiennes grüner Blick schob sich durch ihre roten Locken. "Was für eine Frage. Kann ich mich solange umziehen gehen oder brauchst du seelischen Beistand?" Sie folgte mir bis in die Küche und lehnte sich in den Türrahmen.

"Seelischen Beistand brauche ich nur, wenn du kommentierst, wie ich Kaffee koche", gab ich zurück und grinste sie breit an.

"Blödmann!" Schmollend wie ein kleines Kind drehte sie sich um und marschierte in ihr Schlafzimmer. Ihre Haare wippten im beleidigten Takt mit, dann fiel die Tür leise hinter ihr ins Schloss.

Ich seufzte lächelnd und holte zwei Tassen aus dem Schrank, bevor ich den Wasserkocher mit Wasser befüllt und diesem dabei zusah, wie es langsam heiß wurde. Ich versenkte drei gehäufte Löffel Kaffeepulver im Kaffeefilter, während mein Blick durch die Küche wanderte. Vom Gluckern des Wassers begleitet, analysierte ich meine Umgebung. Auch hier hätte man leicht und locker einen Pinterest-Werbespot drehen können.

Gabs sowas überhaupt?

Über dem Esstisch an der Wand, um den vier Stühle gestellt waren, hingen einige Bilder an der Wand, die meine Aufmerksamkeit erregten. Ich trat einen Schritt näher und schaute sie mir an. Zwischen den Bildern hingen einige... Ja...

Ich kaute mir auf der Unterlippe rum. Zumindest sahen sie aus wie Urkunden, aber es war kein Englisch. Ich verstand nicht was dort stand. Das eine sah aber aus, als wäre es eine Schachurkunde, die mit den Noten war garantiert irgendwas mit Musik. Und das in dem schwarzen Bilderrahmen...

Ein Piepen riss mich aus dem Versuch, die sinnlos aneinander geketteten Buchstaben zu verstehen. Ich goss das Wasser auf und hörte auch schließlich wie Fabienne aus dem Schlafzimmer kam und verdrossen auf ihre Handy einhämmerte.

"Hat dir das Ding was getan?", fragte ich, ob ihrer angespannten Miene.

"Zatraceně!" Sie fauchte irgendetwas vor sich hin, was etwas klang als hätte sie gerade die Magenschmerzen ihres Lebens und ließ ihre Handy in die Tasche der schwarzen Anzughose gleiten.

"Gesundheit?" Skeptisch linste ich zu ihr rüber, während ich ein zweites Mal Wasser auf das Kaffeepulver kippte. Sie seufzte. "Nix Gesundheit. Ich sagte: Zatraceně. Heißt sowas wie 'verdammt'." Mir aller Seelenruhe lehnte sie sich gegen die Arbeitsplatte und schaute mich an.

"Auf Deutsch? Französisch?" Ich wusste weder so wirklich, wie sich Französisch anhörte, noch hatte ich je jemanden Deutsch sprechen hören. Und lernen wollte ich keine der beiden Sprachen, denn wenn man Doris glaubte, war Französisch unlogisch und sinnlos und Deutsch ein Alptraum.
-Warum also sollte ich mich quälen?

"Nah dran auf jeden Fall."

Ich verzog die Augenbrauen. "Was ist das denn bitte für eine Antwort?"

Sie schmunzelte überlegen und zuckte mit den Schultern. "Eine geographische, eine sprachwissenschaftliche oder eine philosophische." Ihre rosa Lippen muckten schelmisch.

Ich holte eingeschnappt Luft um ihr etwas zu entgegnen, da mir aber nichts einfiel kippte ich mürrisch den Kaffee in die Tassen. Prüfend linste ich zu ihr, wie sie da neben mir stand, an die Arbeitsplatte gelehnt und ins Nichts starre. Ein undefinierbarer Ausdruck auf ihren Lippen.

"Feierst du gerade deinen Sieg?" Ich hielt ich ihr die dampfende Tasse entgegen, in der der Kaffee hin und her schwappte. Als sie nicht reagierte, wanderte ich ihr mit der Tasse vor dem Gesicht hin und her. "Kätzchen?"

Ihre Augen schnellten zu mir. "Danke."

"Bitte..."

Als sie bemerkte, dass ich sie voller Argwohn beäugte verdrehte sie kopfschüttelnd die Augen. "Bitte, nur weil ich einen Fable für Sprachen habe, musst du dir keinen Kopf machen! Ich kann 'verdammt' auf sechs Sprachen fluchen, daran ist außer missender Hofetikette nichts verwerflich."

Verwundert setzte ich den Kaffee von meinen Lippen. "Sechs?"

"English, Deutsch, Französisch, Spanisch und die anderen zwei wirst du mir Sicherheit noch rausfinden" - Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr - "Mhm, wir müssen los." Schnell kippte sie den heißen Kaffee runter und stellte die Tasse in ihre Spüle.

In der CarterCorp angekommen, liefen wir gemeinsam durch die Eingangshalle bis zu den Aufzügen. Ich war ja eigentlich kein Fan davon, dass Frauen Hosenanzüge trugen, aber an Fabienne sah alles gut aus.

"Gefällt der dir?" Belustigt schielte sie von ihrem Handy auf und sah mich an.

Ich grinste sie an. "Möglich. Aber wir haben ja bereits rausgefunden, dass du nicht zu gut aussehen solltest, solange wir in der gleichen Firma arbeiten."

"Hmm, wir sind in einem Aufzug" - Sie fuhr sich durch die Haare und schüttelte mit dem Kopf - "Machst du jetzt einen auf Fifty Shades of Grey?"

"Weißt du, das würde ich tatsächlich eher unserem Big Boss zuschreiben."

Fabienne kicherte und schlug mir gegen die Schulter. "Colin!"

Die Aufzugtüren öffneten sich und ich gab Fabienne noch einen schnellen Kuss auf ihre weichen Lippen. Als sie zu grinsen begann, als sie mich ansah, hob ich fragend eine Augenbraue.

"Du hast Lipgloss auf den Lippen. Steht dir aber gut." Mit diesen Worten drückte sie auf den Türen-Schließen-Knopf. Seufzend holte ich mein Handy aus der Tasche und versuchte mich in der Spiegelung des schwarzen Bildschirms halbwegs zu erkennen. Den pinken Glitzer auf meinen Lippen entdeckte ich aber tatsächlich.

Yepp, very kurzes Kapitel aber das nächste wird wieder um einiges spannender. Oder zumindest wieder etwas interessanter. Promise ;)

Elli ^^

Everyone has SecretsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt