Kapitel 11

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•elf•

Es war einmal ein kleines Mädchen, dieses Mädchen hatte Träume, wie kein anderer sie hatte. Ich denke ich würde dieses Märchen so beginnen. In all den Jahren, in denen dieses Mädchen zu einer jungen Frau heranwuchs, wurde ihr Fernweh größer, sie träumte davon die Welt mit ihren eigenen Augen zu sehen. Ich habe das Gefühl, das dieses fiktive Mädchen sehr viel von meinem eigenen Leben in sich trägt. Am Ende werde ich sie jedoch ihren Prinzen finden lassen und wenn sie bis heute nicht gestorben sind, werden sie noch lange weiter träumen.

ZITTERND NAHM ICH den Kugelschreiber zwischen die Finger meiner rechten Hand und führte ihn an die gepunktete Linie am Ende des weißen Zettels. Ich scannte mit meinen Augen über den Vertrag und versuchte so viele Wörter wie möglich in einer kurzen Zeit aufzusaugen. Mum hatte mir immer gesagt, dass das Wichtigste für gewöhnlich als Kleingedrücktes am Ende eines Vertrages stehen würde, jedoch konnte ich keinerlei kleine Buchstaben erblicken, die dieser Form entsprachen.

"Stimmt etwas nicht, Mrs. Brixton?", fragte mich die blonde Sekretärin von Mr. Tomlinson, die gegenüber von mir Platz genommen hatte. Meine linke Hand bohrte sich wie automatisiert in das weiche Leder des Sessels, während ich versuchte meine Gedanken zu sortieren, die sich nach und nach zu überschlagen drohten. "Nein, alles bestens", winkte ich ab und schenkte ihr ein zögerndes Lächeln, woraufhin sie nickte. "Mr. Tomlinson wird in den nächsten Minuten kommen...", sie blickte auf ihre vergoldete Armbanduhr, "...möchten Sie etwas zu trinken?"

"Ein Wasser bitte", meinte ich lächelnd und sie nickte darauf hin. "Sie müssen wirklich Potenzial haben Mrs. Brixton", sagte sie plötzlich und reichte mir das Glas, nachdem sie sich ebenfalls eines genommen hatte und den letzten Rest der Glasflasche einfüllte.

"Wieso meinen Sie das?", meinte ich und sah sie fragend an.

Nachdem sie einen Schluck genommen hatte, stellte sie ihr Glas zurück auf die Tischfläche. "Mr. Tomlinson hat vor Ihnen noch nie Praktikanten von Übersee zu sich in das Unternehmen geholt." Im Gegensatz zur Empfangsdame, lächelte sie fast durchgehend und gab mir somit ein wärmendes und willkommendes Gefühl. "Er muss in Ihnen etwas sehen, dass ihm auf Anhieb überzeugt hat." Erneut lächelte sie mich leicht an. "Mrs. Brixton Sie können mehr als stolz auf sich sein." Es machte ganz den Anschein, als würde sie sich sehr für mich freuen und mir dieses Praktikum aus ganzem Herzen gönnen.

"Liah". meinte ich, da ich mir in ihrer Gegenwart ziemlich alt vorkam, wenn sie mich siezte. "Sie können mich ruhig duzen", lächelte ich, da ich mir sicher war, dass sie höchstens um fünf bis sechs Jahre älter als ich war.

"Anabelle und du kannst mich ebenfalls duzen", meinte sie nickend und streckte mir ihre Hand über den Tisch aus. "Ich hoffe wirklich, dass du etwas frischen Wind in diese Agentur bringst."

"Wie meinst du das?", fragte ich und griff nach dem Wasserglas.

"John ..", sie blickte auf die Tischfläche, "Mr. Tomlinson", murmelte sie schüchtern mit geröteten Wangen und sah mich nur kurz an, ehe ihr Blick zurück auf den Seminartisch flog. "Diese Agentur wurde im 19. Jahrhundert von seinem Urgroßvater gegründet, danach war sie im Besitz seines Vaters und jetzt ist Mr. Tomlinson...", aus irgendeinem Grund fiel es ihr schwer diese Worte über ihre Lippen zu bringen, "...der Eigentümer und danach wird es sein Sohn Louis werden." Bei diesem Namen zog sich mein Bauch zusammen und ich wusste nicht wirklich wohin ich blicken sollte.

"Ist was?", fragte sie sofort, nachdem ich immer stiller wurde. "Geht es dir nicht gut?" In Anabelle's Stimme schwankte ein Hauch von Besorgnis mit.

PrudenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt