•eins•
❝ Träume sind so schwerelos wie Seifenblasen, sie schweben im Raum, wenn du sie jedoch berührst, zerplatzen sie und verschwinden für immer. Du kannst sie in deinem Gedanken für immer verschließen oder du hast den Mut und wagst das Risiko. ❞
DIE REGENTROPFEN, DIE noch vor Minuten mit einer enormen Wucht auf das Fensterbrett aufschlugen, werden von Sekunde zu Sekunde weniger. Es scheint fast so, als würde jemand am Dach unseres Hauses sitzen und stoßweise Wasserkübel in unseren Garten entleeren. So wie in einer schlechten Hollywood Produktion, wo Handlanger der Regisseure auf einer Leiter über den Hauptdarstellern stehen und sie mit Wasser übergießen. Für die Dramatik kommt noch hinzu, dass sie Blechteile aneinander schlagen, um ein Donnergrollen zu erzeugen.
Philosophierend darüber wie schlecht manche Filme tatsächlich produziert wurden, wie gut sich diese aber anschließend verkaufen ließen, stütze ich mich am Fensterbrett ab. Kleine Wassertropfen hängen auf der anderen Seite meines Fensters und um ehrlich zu sein, habe ich schon längst vergessen, wie ein trockenes Fenster jemals aussah. Brighton ist nun mal ein ziemlich verregneter Teil Englands.
Oft hatte ich den letzten Monaten aus dem Fenster gestarrt und gehofft, dass alles nur ein Albtraum wäre, doch dem war nicht so. Mit jedem Regentag wurde es mir bewusster, dass ich in der Wirklichkeit lebte, in der sich die Welt weiterdrehte, auch wenn sich meine schon längst nicht mehr drehte. Die Menschen betrachteten mich seit Wochen mit Mitgefühl und seufzten nach jedem Gespräch, in denen sie keine Antwort bekommen hatten.
Ich habe tatsächlich viel nachgedacht.
Zum Beispiel darüber, ob auch ich dahin fliegen sollte, wo Prudence war. Es war überhaupt nicht absurd diesen Gedanken zu verfolgen, doch trotzdem habe ich Angst darüber zu sprechen. Mum würde in Tränen aussprechen und ihre Mum – also genau genommen meine geliebte Granma – anrufen und ihr alles haargenau am Telefon schildern. Sie würde sich im Sekundentakt durch ihre hellbraunen Haare fahren und sich fragen, ob ich eine Gefährdung für mich selbst wäre.
Mein kleiner Bruder Finn würde sich auf seinem geliebten Fußball niederlassen und mich mit seinen großen, braunen Knopfaugen anstarren. Er würde alles mit einem dieser Actionfilme assoziieren und vielleicht würde er sogar die Frage aller Fragen stellen, ob er auch ein Teil dieses Filmes sein könnte.
Und Dad. Dad würde mich einfach in den Arm nehmen. Er würde nichts sagen und mich einfach an sein weißes Hemd drücken und mich mit dieser einfachen Geste zum Weinen bringen.
Und so schnell geht es und ich der Gedanke an das Fliegen, weit weg und fort von alldem, was mich bedrückt, würde verblassen.
Und dann denke ich auch noch ständig darüber nach, ob Mum vielleicht doch Recht hat und ich wirklich die Hilfe eines Psychologen in Anspruch nehmen sollte. Doch was sollte ich mit einer wildfremden Person besprechen können, über dass ich mit meinen Eltern nicht sprechen kann? Nichts.
Meine Mutter hätte mich in all den Wochen und Tagen und Stunden doch nur einmal fragen müssen, wie es mir geht. Wie sich ihre einzige Tochter fühlt. Doch sie hat mich nie gefragt. Niemand hat mir diese eine Frage gestellt. Vielleicht war sie für mein Umfeld zu schwer, obwohl es sich hierbei um eine so einfache Frage handelt: Liah, wie geht es dir?
Vielleicht hatten sie aber auch einfach nur Angst vor meiner Reaktion. Vielleicht haben alle damit gerechnet, wie ich weinend in die Knie gehe und nach und nach in mich zusammen sinke. Das ist der Grund, warum mich nie jemand nach meinem Befinden fragt: Sie haben Angst.
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Prudence
Teen Fiction❝ Träume entstehen, damit sie Wirklichkeit werden.❞ Nach dem Tod ihrer besten Freundin bricht für Liah eine Welt zusammen, doch anstatt sich damit abzufinden, beschließt sie die Traumliste von Prudence abzuarbeiten und zwar Punkt für Punkt... doch...