Prudence

Kapitel 33

•dreiunddreißig•

"Vielleicht bist du heute der Meinung, dass es ein Fehler wäre. Doch was wenn du morgen schon genau dadurch die Chance bekommst, deinem Buch ein weiteres Kapitel hinzuzufügen? Würdest du diesen Fehler wirklich als Fehler ansehen?"

EINE ENTSCHEIDUNG ZU treffen und sich über die Konsequenzen klar zu sein, zählte schon seit Anbeginn der Menschheit zu jenen Herausforderungen, welche nicht gerne getroffen werden. Es ist vollkommen egal welche Entscheidung man trifft, es gibt nur zwei Möglichkeiten, welche am Ende eintreffen; entweder eine positive Aussicht, oder eine Negative. Danach kommt es wieder zu einer Entscheidung, die über diese entscheidet. Somit entsteht dieser endlose Kreislauf, welcher uns allen klar macht, dass ein Leben nicht einfach nur gelebt werden kann.

Hierbei spielt es überhaupt keine Rolle, was uns all diese philosophischen Sprüche vermitteln wollen, ohne eine Entscheidung zu treffen, kann man nicht behaupten, wirklich gelebt zu haben.

Eine Entscheidung kann aber auch eine Chance sein.

Würde mich an dieser Stelle jemand danach fragen, welche großartigen Entscheidungen ich in meinem Leben schon getroffen habe, würde ich mich kurz in meine Gedanken zurückziehen und schon nach wenigen Sekunden die wichtigsten Entscheidungen meines Lebens, mit einem mehr oder weniger breiten Lächeln auf meinen Lippen, herunterrattern: Ich bin sogar in der Lage sie auf eineinhalb Händen abzählen.

Jedoch würde mir jemand die Frage stellen, welche Entscheidung für mich die Größte in meinem bisherigen Leben war, würde ich nicht einmal für eine Sekunde in meine Gedanken abschweifen, sondern sofort dieses eine Wort auf meine Lippen legen: Australien, würde ich antworten und meine Lippen zu einer festen Linie pressen. Ich kann nicht genau sagen, ob es die beste Entscheidung oder die Schlechteste, jedoch kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass es die Größte, in meinem Leben war.

Eine Entscheidung, die ich unter anderen Umständen niemals getroffen hätte. Eine Entscheidung, die mein Leben verändert und dessen bin ich mir, jedes Mal wenn ich mich in diesen grau-blauen Augen verliere, bewusst.

'Die besten Entscheidungen überdenkt man nicht, Liah', kicherte Prudence und stopfte sich ein weiteres Marshmallow, zwischen ihre pinken Lippen hindurch, in ihren Mund. 'Man trifft sie spontan und führt sie sofort aus', zwinkerte sie und wieder folgte ein Marshmallow seinen Vorgängern.

'Dann triff jetzt eine spontane Entscheidung', forderte ich meine beste Freundin heraus und griff ebenfalls nach der blau-grünen Verpackung mit den weißen Süßigkeiten mit den gelben Streifen. Prudence' Gesichtsausdruck veränderte sich binnen von einigen wenigen Sekunden von belustig zu aufgeregt. 'Wir bewerfen die alte Miller mit Wasserbomben.' Prudence sprang auf und ab und deutete auf den Garten unser Nachbarn, den Millers; Mr. Joseph und Mrs. Catherine Miller, auch besser bekannt als Mr. und Mrs. Nörgel-Nörgel. Es spielte keine Rolle was vorgefallen war, oder zu welcher Uhrzeit, unsere Nachbarn fanden jedes Mal etwas zum Nörgeln und Prudence hatte sich einen Narren daran gefressen, die beiden auf die Spitze des Eisbergs zu bringen.

'Nein', unterbrach ich meine beste Freundin sofort, 'ich hab' Mum und Dad versprochen sie in Ruhe zu lassen', ich deutete ebenfalls auf den hohen, braunen Zaun, der unsere beiden Gärten voneinander trennte.

'Du bist langweilig', antwortete Prudence im ersten Moment, doch bereits im nächsten Moment wurden ihre Lippen erneut von einem spitzbübischen Grinsen umspielt. 'Dann entscheide ich jetzt, dass wir es nicht direkt aus eurem Garten aus machen, sondern anonym angreifen.'

Erst als mich ein tieffliegender Vogel aus meinen Gedanken reißt, bemerke ich, dass Louis sich ebenfalls auf dem Geländer des Balkons abstützt und seine Aufmerksamkeit dem schnellen Treiben auf den Straßen von Wellington schenkt. Leicht drehe ich meinen Kopf zur Seite und betrachte seine schönen Gesichtszüge und die vereinzelten Bartstoppel auf seinen Wangen und der Kinnpartie.