Kapitel 6

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•sechs•

Australien ist zwar am anderen Ende der Welt, doch ich denke, dass wir dort nicht unser Ende finden werden. Viel mehr glaube ich, dass wir dort unseren Anfang haben werden. Du musst es mit einem leeren Buch vergleichen, mit unserer Geburt wird der Prolog geschrieben, dann werden viele einzelne Kapitel hinzugefügt und unser Tod wird der Epilog sein.

DER FLUGHAFEN WAR überfüllt von gestressten Personen, ich hatte schon in England immer das Gefühl gehabt, dass das Leben schnell und stressig war, doch Australien war um einiges schneller und gestresster. Egal wohin ich meinen Blick schweifen ließ, rannten Businessmenschen kreuz und quer durch die Halle. Jeder von ihnen besaß einen kleinen Koffer, ein Handy oder ein Tablett und zwei Augen. Keiner von ihnen kümmerte sich auch nur für eine Sekunde, um seine Umwelt und die anderen Personen in dieser Halle.

Seufzend ließ mich auf einer schmalen Bank vor einem Blumentopf nieder und kramte in meiner Tasche nach meinem Handy, um erstens meinen Eltern Bescheid zu geben, das ich gut gelandet, jedoch sehr erschöpft war, und zweitens, um Jason zu schreiben, dass ich mich irgendwo am Flughafen befand.

Ich hatte Jason noch nie zu vor in Wirklichkeit gesehen, er hatte mir einige Tage vor meiner Abreise ein Bild von sich gesendet, auf denen seine markanten Gesichtszüge und seine dunkel-braunen Augen besonders hervorstachen. Er war zwanzig Jahre alt und arbeitete als Produzent, von Kurzfilmen, in der Agentur und war ein Freund der Geschäftsführer Familie. Mehr wusste ich nicht über ihn.

Damals hatte er mir über E-Mail angeboten mich am Flughafen abzuholen und in meine Unterkunft zu bringen. Ich hatte bereits im Vorfeld ein kleines Einzimmer-Apartment im Norden der Stadt angemietet. Im Internet wurde dieser Stadtteil als familiär und ruhig beschrieben und auch Jason hatte mir zu diesem Apartment geraten. Ich glaubte mich zu erinnern, dass er selbst noch zuhause bei seinen Eltern wohnte, aber ich war mir nicht wirklich sicher.

'Der Neue hat der ganz schön den Kopf verdreht...', lachte Prudence und warf sich mit ihrer bewässerten Straßenkleidung auf mein Bett. Wir waren gerade noch halbwegs einem Regenguss entkommen. 'Liah? ', fragte sie und setzte sich gerade hin, da ich auch nach gefühlten Sekunden keinen Ton von mir gab.

Stattdessen versuchte ich mit meinen Händen mein errötetes Gesicht zu verbergen. Normalerweise war es mir vor Prudence nicht peinlich. Ich hatte ihr immer gesagt, wenn ich einen Jungen attraktiv gefunden hatte, aber es waren immer nur kleine Schwärmereien, doch diesmal hatte ich das Gefühl, dass ich ihn besser fand, als alle anderen Jungs an unserer Schule.

Ich wusste nichts über den Neuen, wie ihn alle nannten, nur dass er von Texas nach England gezogen und seit einer Woche auf unserer Schule gewesen war. 'Er heißt übrigens Austin', lachte meine beste Freundin wieder und streifte sich die Ärmel ihrer Lederjacke von ihren Oberarmen. Mit aufgerissenen Augen starrte ich Prudence an.

'Woher weißt du das?', fragte ich sie und setzte mich an das Ende des Bettes. 'Hab so meine Quellen', kicherte sie wieder leise. 'Er ist übrigens sechzehn und trainiert jeden Dienstag und Freitag mit Troy auf dem Fußballfeld.' Wenn es etwas Wichtiges im Leben von Prudence gab, war es Troy, mit dem sie aber noch nie in ihrem Leben auch nur ein Wort gewechselt hatte und mit dem sie auch nie wieder ein Wort wechseln würde.

Wir hatten kein einziges Training mehr verpasst und jeden Samstag unsere Heimmannschaft am örtlichen Fußballfeld lautstark unterstützt.

'Jetzt liebst du es ...', hatte sie damals gelacht und sich neben mir mit zwei Flaschen Cola niedergelassen. Dankend nahm ich eine der Flaschen an und drehte den Stöpsel ab. 'Gehst du eigentlich mit Austin auf den Abschlussball?', fragte sie mich und wechselte ihren Blick zwischen meinem Gesicht und dem Feld hin und her.

PrudenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt