Kapitel 36

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•sechsunddreißig•

"Manchmal ist der beste Weg in Ruhe zu schweigen, wenn kein Wort in der Lage ist, das Vorgehen in deinen Gedanken und deinem Herzen, zu beschreiben."

Louis

EIN UNNATÜRLICH KÜHLER Windstoß fegt mir entgegen, als ich meinen Körper endgültig aus dem Wagen bewege. Für einen kurzen Augenblick starre ich in den Himmel empor, welcher fast vollkommen von orange-blauen Wolken durchzogen ist. Ein atemberaubendes Spektakel bietet sich mir, das mich für vereinzelte Sekunden vergessen lässt, wieso ich nach all den Jahren diesen einsamen Ort aufsuche. An diesem Ort steht die Zeit still. Die letzten Sonnenstrahlen reflektieren die Umrisse meiner Silhouette auf den dünnen Pfad, welcher nach wie vor Teil der Wanderroute ist.

Wie lange war ich nun nicht mehr hier gewesen? Dieser Ort, welcher mir so gut in Erinnerung ist, erscheint mir auf einmal so fremd ... so verlassen und leer. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich einfach im Kreis gefahren bin und nachgedacht habe. Nachgedacht über dieses Mädchen, welches seit Wochen eine ständige Präsenz in meinen Gedanken eingenommen hat. Ihr Lachen, das kleine Grübchen auf der linken Wange, ihre vollen Lippen und die braunen Augen, welche einen so unschuldigen Eindruck machen.

Liah.

Ich will nicht ständig an sich denken müssen. An ihre verdammt nervtötende Art. An ihre liebenswürdige Art.

Wütend trete ich gegen einen morschen Baumstumpf und beschimpfe den Baum. Drake hatte immer Recht damit, dass Mädchen nur Stress bedeuten, solange es nicht mehr unverbindlich ist. Verdammt diese Sache ist schon lange nicht mehr unverbindlich. Diese Sache ist so verbindlich und so einengend. Ich habe Angst davor.

Nervös ziehe ich an meinem Beanie, reiße es vom Kopf und werfe es auf den Boden. Wie ich dieses Gefühl hasse... wie sehr ich Drake hasse, John, Estelle, Jason und Sophie. Wut kocht in mir hoch, wenn ich nur an ihre hässlichen Fratzen denke, wie sie enttäuscht den Kopf schütteln, mit ihren Fingern auf mich zeigen und lachen. Wer glauben sie eigentlich, wer sie sind? Nichts sind sie; wie ich. Verdammt. Ich will mit keinen von ihnen mehr ein Wort sprechen. Ich möchte diese verdammte Wut hinausschreien in die Weiten des Sumpfgebietes, doch etwas hindert mich so sehr daran.

Wieder trete ich gegen den Baumstumpf und schreie ihn an; ich hasse ihn dafür, dass er sich nicht bewegt und mich alleine lässt, so wie all die anderen auch. Nur sie verschwindet einfach nicht aus meinem Kopf. Warum kann sie nicht auch abhauen, wie all die anderen auch und mich alleine zurücklassen. Warum ist dieses Mädchen ständig so präsent in meinen Gedanken? Ich hasse es so sehr, immer an sich denken zu müssen. Es macht mich verrückt. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ein einzelner Mensch meine Mauer zu Fall bringen würde. Nicht einmal Mum wäre dazu in der Lage gewesen.

Und noch einmal trete gegen den Baumstumpf, nur dieses Mal so fest, dass ich endlich den Schmerz spüre, wie er blitzartig durch meinen Körper schießt und mich für einen kurzen Augenblick zusammenzucken lässt. Ich fühle mich gerade so erbärmlich und klein.

"Louis?" Blitzartig kehre ich in die Realität zurück. "Louis Tomlinson?" Die raue Stimme kommt immer näher, ehe die Person eine Hand auf meiner Schulter platziert und ich mich endgültig zu ihr umdrehe, um der Stimme ein Gesicht zu geben.

„Aaron?!", frage ich leise, lasse es aber zu gleich, wie eine bedrohliche Aussage wirken. „Heute nicht auf einem deiner Schlauboote unterwegs?", gebe ich spöttisch von mir, nachdem ich mich wieder einigermaßen gefangen habe und gewähre ihm, sowohl auch mir, einen Abstand zum jeweils anderen.

PrudenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt