•siebenunddreißig•
"Zehn Prozent unseres Lebens passiert, die anderen neunzig Prozent werden durch die Auswirkungen unserer Reaktionen beeinflusst, vergiss das niemals."
Liah
UNRUHIG RUTSCHE ICH in dem viel zu weichen Flugzeugsitz umher, blicke aus dem kleinen Fenster, zähle die Eiskristalle und schließe meine Augen, nur um mit einem neuen Atemzug, dieses ganze Prozedere erneut durchzuführen. Es ist nicht möglich einen klaren Gedanken zu fassen, denn viel zu viele meiner Gedanken überschlagen sich miteinander. Ich ziehe meine Beine fest an meinen Oberkörper und schlinge meine Arme um sie herum und mir ist es in diesem Moment so egal, ob diese Sitzhaltung gegen die Sicherheitsvorschriften verstößt.
"Liah", Sophie tippt leicht gegen meine Schulter. Sie versucht vergebens ein Gespräch mit mir aufzubauen, denn ich möchte nicht sprechen, weder mit ihr noch mit sonst jemandem. Ich möchte nur mit einer einzigen Person sprechen, doch es ist unmöglich. Verdammt es funktioniert einfach nicht mit Toten ins Gespräch zu kommen. Eine Träne tropft aus meinem rechten Auge und perlt an dem Saum meines Pullovers ab. Meine Lider fühlen sich so schwer an und doch bin erscheint es mir so unmöglich, meine Augen zu schließen. Ich möchte dieses verdammte Flugzeug verlassen und auf die großen Wolken springen, nur um Prudence nah zu sein, nur um ihr sagen zu können, dass ich in Australien versagt habe.
Eine weitere Träne bildet sich in meinem Auge, welche nach und nach über meine Wange rinnt, ehe auch diese auf meinem Pullover tropft.
"Soll ich dir etwas zu trinken bestellen?", fragt sie mich. Ihre Schultern hängen, genauso schlapp wie meine, nach unten. Sie ist so ratlos in dem Moment. Ohne mich aus meiner Haltung zu lösen und sich anzublicken, schüttle ich meinen Kopf.
Nein.
Ich zähle die Eiskristalle erneut, es lenkt mich für einen kurzen Moment, von all den scheußlichen Gedanken in meinem Kopf, ab. Fünf, sechs, sieben, acht große Kristalle kann ich zählen, ehe ich blitzartig in diese grausame Realität zurückgeschleudert werde und mir nicht sicher bin, ob ich weinen, still in die Ferne starren oder schreien sollte.
Dieses Gefühl, welches mir die Luft zum Atmen abschnürt, kehrt so blitzartig zurück, genauso, wie es verschwindet. Jeder Gedanke, der durch meinen Kopf hindurch schießt, verfügt über den gleichen Schluss, welcher keinen weiteren Gedanken mehr zulässt.
Womöglich ist es nicht erlaubt, die Träume anderer zu stehlen und das ist meine ganz persönliche Strafe dafür.
Verdammt ich will aus diesem Flugzeug springen und auf der gleichen Wolke landen, auf welcher Prudence sitzt. Ich möchte der Wahrheit ins Auge blicken und ihr enttäuschtes Gesicht sehen. Ich hasse es, dass ich ihr die ganze Situation nicht von Angesicht zu Angesicht erklären kann, vielleicht würde sie mich dann verstehen. Mit großer Sicherheit würde meine beste Freundin mich verstehen.
Der kleine Boardcomputer, welcher auf der Rückseite eines jeden Sessels angebracht ist, zeigt mir die Distanz, welche mich noch von der bitteren Realität, fernhält. Knapp Zweitausend Kilometer trennen Sophie und mich noch von unserem Ziel: Heathrow Airport, ehe diese Blase, in der ich mich noch befinde, endgültig zerplatzt.
"Ich bin schon so gespannt auf deinen kleinen Bruder." Sophie versucht ein Gespräch aufzubauen und ich nicke. "Ich freue mich auch, Finn wiederzusehen." Eine Träne tropft aus meinem rechten Auge, als mir bewusst wird, dass ich auch das Versprechen meinem kleinen Bruder gegenüber gebrochen habe.
"Ich kann nicht zurück...", ich atme tief ein und wieder aus, "...Finn wird so enttäuscht von mir sein." Schon alleine der Gedanke, dass seine kleinen, braunen Augen, mich durch einen Tränenfilm verschleiert, anblicken, lässt mein Herz noch weiter in seine Einzelteile zerbrechen.
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Prudence
Teen Fiction❝ Träume entstehen, damit sie Wirklichkeit werden.❞ Nach dem Tod ihrer besten Freundin bricht für Liah eine Welt zusammen, doch anstatt sich damit abzufinden, beschließt sie die Traumliste von Prudence abzuarbeiten und zwar Punkt für Punkt... doch...