Kapitel 19

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•neunzehn•

Findest du wirklich, dass ein Buch nur gut ist, wenn es ein schönes Ende hat? Meinst du nicht auch, dass ein spannender Verlauf und interessante Hauptcharaktere wichtiger sind, als ein kitschiges Ende, wo ohne hin alles gut wird? Ich hatte das Ende bereits vorher geplant, bevor ich überhaupt wusste, worum es in meinem Buch gehen wird. Verstehst du was ich meine?


       ROT UND PINK waren in meinen Augen zwei vollkommen unterschiedliche Farben, die nicht mit einander harmonierten, doch das sah die blonde Empfangsdame von Mr. Tomlinson anscheinend anders. Am liebsten wäre ich an ihren Pult getreten und hätte ihr gesagt, dass ihr blutroter Blazer überhaupt nicht zu ihrer eleganten pinken Bluse passte. Dass diese Konstellation nur so dermaßen danach schrie, verboten zu werden.

        Stattdessen aber saß ich wie ein kleines Schulmädchen auf einem der Holzsessel, und wartete darauf, dass Louis endlich aus dem Büro seines Vaters kam und ich eintreten durfte. Sogar die Zeiger der großen Wanduhr schienen wegen der ganzen Langeweile in diesem Gebäude eingeschlafen zu sein, man konnte es ihnen auch in keinster Weise verübeln. Ich hatte es schon immer gehasst zu warten, wenn es nichts zum Tun gab, oder wenigstens Zeitschriften zum Lesen angeboten wurden.

        Ich konnte zwar verstehen, dass Mr. Tomlinson mich seinem Sohn vorzog, doch ich wusste, dass auch ich einen wichtigen Teil in diesem Gespräch hatte und ich hasste es, wenn in meiner Abwesenheit über mich gesprochen wurde. Natürlich konnte ich es nicht verhindern, dass Menschen hinter meinem Rücken über mich sprachen,

        "Liah?" Die liebliche Stimme von Anabelle riss mich aus meinen Gedanken. "Tee?", fragte sie und deutete auf den Stuhl, der neben meinem stand. Eigentlich war ich der Meinung, dass nur Engländer dieses Klischee des andauernden Teetrinkens genossen, jedoch tranken vermutlich alle Menschen rund um den Globus dieses beliebte Heißgetränk. Nicht nur wir Engländer.

        "Anabelle", lachte ich, als sie sich auf den Stuhl neben mich saß und mir ebenfalls eine Tasse mit heißem Tee in die Hand drückte.  "Danke", erwiderte ich heißer, da meine Stimme für einen Bruchteil einer Sekunde verschwunden war.

"Und?", fragte sie aufgeregt und wackelte leicht mit ihrer Augenbraue, "wie war es in Melbourne?" Anabelle stellte ihre Tasse zur Seite und ließ mir ihre komplette Aufmerksamkeit zukommen. Im Gegensatz zur Empfangsdame, von der mir der Name auch nach einem Monat noch mehr als unbekannt war, kleidete sich Anabelle speziell, jedoch auf ihre eigene Art und Weiße elegant.

        Ihre Bluse erinnerte an eines dieser Schachspiele, die mein Vater gesammelt hatte, doch Karomuster passten zu Anabelle und ich hätte mir nicht vorstellen können, wie sie in einem bunten Papageienhemd aussehen würde.

        Unbewusst schüttelte ich meinen Kopf, was mir einen verwirrten Gesichtsausdruck von Anabelle einbrachte. "Also hat dir Melbourne nicht gefallen?", fragte sie und nahm ihre Tasse fest in beide Hände.

"Doch, doch", lachte ich, "ich musste nur an eine Sammlung von meinem Dad denken, als ich deine Bluse gesehen habe", sagte ich ehrlich und nahm ebenfalls einen Schluck meines Heißgetränks zu mir.

"Schach?", fragte Anabelle und zog ihre linke Augenbraue in die Höhe.

        "Ja", lachte ich, jedoch lauter als zu vor. Genervt blickte die Empfangsdame in unsere Richtung und schüttelte ihren Kopf, ehe sich sie wieder einem Stapel mit Briefen widmete und uns keine weitere Aufmerksamkeit schenkte. Dass sie keinen Spaß verstehen konnte, war mir bereits bewusst. "Dad hat um die hundert Schachbretter am Dachboden", erklärte ich ihr. Mein Großvater hat diese Sammlung und die Liebe zu diesem Spiel an meinen Vater vererbt.

PrudenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt