Kapitel 40

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vierzig

"Ohne Ziel läuft sie durch die Straßen. Alleine durch die Nacht, sie kann wiedermacht nicht schlafen. Mit jedem Schritt, den sie nach vorne rennt, wird das Gefühl des Alleinseins stärker. Sie weiß schon lange nicht mehr, wohin sie ihr Weg führen wird."

DER GARTEN DES Royal Alexandra Hospitals war in südlicher Lage ausgerichtet, somit bot er genug Nachmittagssonne, um Tag für Tag eine gesunde Portion an Vitamin D aufzunehmen. Um den Eingang des Krankenhauses passieren zu können, musste man einen Teil des Gartens durchqueren und wenn man das tat, verlor man für einen kurzen Augenblick dieses bedrückende Gefühl, welches einem bereits hinter den beiden Schiebetüren erwartete. Der Garten war erfüllt von Fröhlichkeit und guter Laune. Ich durchquerte ihn gerne, grüßte den netten Hausmeister (Mr. Hookin) und lächelte den Menschen zu, auch wenn mir oft nicht zu Lachen zumute war. Und dann nahm der alltägliche Trott seinen Lauf.

Vor den gläsernen Schiebetüren hielt ich jeden Tag aufs Neue für den Bruchteil einer Sekunde meine Luft an, um den beisenden Krankenhausgeruch nicht sofort in meine Nase zu bekommen. Ich hasste ihn, ich hasste die zitronengelben Wände und ich hasste dieses erschreckende Gefühl der Leere. Trotz der unzähligen Bilder und Pflanzen wirkte alles so steril und traurig und genau das war der Gang auch, dessen Weg ich blind gefunden hätte.

Zimmer 36B - Zweiter Stock - Ostflügel. Eine weiße Türe mit einem gelben Stern darauf trennte mich von dem, was mich Tag für Tag ein weiteres Stück mehr zum Erschrecken brachte. Vorsichtig klopfte ich an die Türe und wartete vergeblich darauf, eine laute, lachende Antwort zu erhalten. Eine Antwort, wie ich sie noch vor sechsunddreißig Monaten bekommen hatte, als ich an die Zimmertüre meiner besten Freundin klopfte. Eine ganze Weile - ich weiß nicht mehr wie lange - stand ich einfach nur vor der Türe und starrte mit klopfendem Herzen auf die silberne Schnalle. Ich wünschte mir in diesem Moment nichts Sehnlichster, als dass es sich nur um einen Albtraum handelte, doch die Realität holte mich schneller ein, als mir lieb war.

"Liah", Prudence Mum war kaum in der Lage zu sprechen. Ich sah es ihrem gequälten Blick an, dass mich nichts Gutes auf der anderen Seite der Türe erwarten würde - doch ich hoffte erneut, in einem Albtraum gefangen zu sein. In einem bösen Traum, welcher mich gerne davon abhalten konnte, weiter zu schlafen. Mein ganzer Körper begann zu zittern. Meine Kehle fühlte sich trocken an.  Ich war unfähig mich auch nur einen Millimeter von der Stelle zu bewegen. "Sie möchte dich sehen, nur noch dich, Liah", sagte ihre Mutter und begann bitterlich zu weinen. In diesem Moment hätte ich sie in den Arm nehmen sollen, doch ich konnte es nicht, sondern öffnete die Türe und trat in das Krankenzimmer ein. Ich hatte das Gefühl, die ganze Negativität auf der anderen Seite diese Türe hinter mir lassen zu müssen.

"Das ist doch alles richtig doof", unterbrach Prudence die Stille hier in diesem Raum. Zu gerne hätte ich meine beste Freundin gefragt, was alles doof ist. Die Stille. Dieser Raum. Das Fernsehprogramm. Das Essen. Alles. Jedoch hatte ich wieder dieses bitterliche Gefühl, welches es verhinderte, meine Zunge in Schwingungen zu versetzen und einen einzigen Laut von mir zu geben. Ich starrte sie an. Ich scannte sie von oben - von ihrem Kopf mit den letzten Haarstümpelchen - bis nach unten - zu diesen schrillen Socken in diesen verdammten Neontönen, die alles irgendwie fröhlicher machten. Ja, es waren die Socken, die vor Freude strahlten und immer wenn ich sie betrachtete, vergas ich für einen kurzen Augenblick alles um mich herum.

War es egoistisch von mir, sich in einer solchen Situation Gedanken über Socken zu machen? Ich schüttelte meinen Kopf. Dabei flogen vereinzelte Strähnchen meines Ponys wieder in die Mitte meines Gesichtes. Es war eine komplett dämliche Idee, diese Frisur auszuprobieren. In allen diesen Models passte sie so gut, nur mir nicht. Ich sah wieder aus, wie ..

PrudenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt