Kapitel 5

12.4K 681 92
                                    


•fünf•

Wir wollen doch alle die Welt sehen, uns verlieben und einfach glücklich sein. Glaubst du nicht, dass es zu viel verlangt wäre, dieses Leben leben zu können?

ES IST DIESES mulmig-bedrückende Gefühl, welches mich schneller als jemals zu vor übermannt, als mein Koffer auf dem Förderband aus meiner Sicht im Hinterbereich des Check-Ins verschwindet, um anschließend in die große graue Maschine in Richtung Australien verladen wird. Auch die Sicherheitskontrolle ist bereits geöffnet. Menschenmassen strömen auf die fünf Kontrollen zu und bilden diese vorbildhafte Schlange, mit ihren Pässen in den Händen und dem leichten Gepäck auf dem Rücken.

"Musst du auch durch diesen Scanner gehen?" Finn's Augen strahlen mich aufgeregt an, erst als ich nicke, senkt der kleine Junge seinen Kopf. "Kann ich mitkommen, Daddy?", fragt er und blickt unseren Vater an, welcher jedoch nur seinen Kopf schüttelt und diese Frage mit einen einfachen "Nein" seinerseits abtut.

"Aber dann kommt Liah doch auch nicht mehr zurück, oder?" Finn klingt traurig und obwohl er mich die ganze Zeit über ansieht, weiß ich, dass er diese Frage an Dad gestellt hat. Dieser Moment bricht mein Herz in weitere kleine Stücke. Ich hasste es, Finn traurig zu machen ... oder traurig zu sehen. Finn sollte doch lachen und eine unbeschwerte Kindheit haben, genauso wie ich sie doch auch hatte.

"Finn", lache ich leise und versuche somit meine weinerliche Stimme bestmöglich zu überspielen. "Du willst doch einen Koala und ein Didgeridoo, oder?" Ich gehe in die Hocke, um auf Augenhöhe mit meinem kleinen Bruder zu sein. Aufgeregt nickt dieser. "Dann muss ich jetzt aber da durch gehen", ich deute auf die Schlange vor der Sicherheitsabsperrung. "Sonst kann ich dir keinen Koala besorgen."

Ich bin mir an dieser Stelle überhaupt nicht sicher, wie lange ich in Australien bleiben werde oder was alles auf mich zukommen wird. Vielleicht würde ich wirklich das Abenteuer meines Lebens am anderen Ende der Welt erleben. Vielleicht werde ich aber einen weiteren Tiefpunkt erreichen. Aber kommt nach einem Tiefpunkt nicht immer irgendwie ein Punkt, wo es wieder stückweise Bergauf geht?

"Aber du musst Luke auch einen Koala mitbringen, ja?" Finn's Augen beginnen wieder zu strahlen. "Versprochen, Kleiner", erwidere ich und wuschle ihm ein letztes Mal für einen unbestimmten Zeitraum durch die Haare.

Es ist eigenartig mit einem Art One-Way-Ticket in die Ferne zu reißen, ohne zu wissen, welches Datum am Rückflug-Ticket stehen wird. Vereinzelt stürmen Menschen aufgeregt an uns vorbei, während sich andere noch immer von ihren Freunden und Familien verabschieden.

"Dad", seufze ich und umarme ihn, während Luke seine kleine Arme um mein rechtes Bein schlingt. In diesem Moment scheint es ihm egal zu sein, dass sein geliebter Fußball mit dem gefliesten Boden Bekanntschaft macht.

'Wenn es kein Zurück mehr gibt, sollte man nach vorne sehen', sagte Prudence immer und lachte daraufhin so unvorstellbar laut los. 'Ich möchte wissen was die Zukunft für mich bereithält, wer weiß, wie lange ich noch lebe.'

Es waren exakt nur mehr fünf Jahre und fünf Monate gewesen, als sie diesen Satz das erste Mal über ihre Lippen brachte.

Prudence war ein Mensch, der immer versuchte in der Vergangenheit zu leben und Vergangenheit. 'Vielleicht würde ich die Zeit gerne zurück drehen, Prudence', sagte ich damals. Im Hier und Jetzt würde ich mir nichts mehr wünschen, als die Zeit zurückdrehen zu können und ihr verrücktes Wesen jeden Tag erleben zu dürfen.

In der linken Hand halte ich mein kleines weißes Täschchen, mit meinem Reisepass, ein wenig Geld und meinem Handy, die andere platziere ich schließlich auf meinem kleinen Koffer, den ich mit ins Flugzeug nehmen werde.

PrudenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt