Stephan sah der Frau, die gerade fluchtartig den Aufzug verlassen hatte, hinterher bis sich die Türen schlossen. Die ganze Zeit hatte er nach Elena gesucht, nirgends hatte es einen Anhaltspunkt gegeben wo sie sich aufhielt und nun traf er sie durch Zufall in einem Krankenhaus im Aufzug. Er hätte einfach hierher kommen müssen, aber das sie hier arbeitete konnte ja auch keiner ahnen. "Wer war das eben?", fragte Melanie und holte Stephan so aus seinen Gedanken. "Das war.. eine Bekannte. Wir kennen uns durch einen Einsatz."
Das war keine Lüge, aber mehr konnte Stephan ihr auch nicht erzählen. "Eine Bekannte?" Melanie zog eine Augenbraue hoch. "Dafür, dass sie nur eine Bekannte ist, hast du ihr gerade ziemlich sehnsüchtig hinterher geschaut. Du hattest doch etwa nichts mit dem kleinen Flittchen, oder?!", wollte Melanie wissen. "Ihr Name ist Elena und nein, ich hatte nichts mit ihr. Aber wehe, du nennst sie noch einmal Flittchen! Ich bin nämlich nicht derjenige, der fremd gegangen ist, nur mal so zur Erinnerung!"
Das Melanie so abfällig über Elena sprach, über eine Frau die sie gerade nur kurz gesehen hatte, ließ Stephans Selbstbeherrschung kurz bröckeln. "Wie war das?", fragte Melanie ihn. "Egal, wir müssen zu deinem Termin!" Der Beamte war froh, dass sich genau jetzt die Türen öffneten und er aus dem Aufzug raus konnte. Er lief voraus und Melanie hinterher, er wollte sich nicht länger mit ihr über Elena unterhalten.
Stephan hatte den Schrecken in Elenas Augen vorhin bemerkt und wahrscheinlich dachte sie nun sonst was von ihm. Wenigstens wusste er jetzt wo er Elena antreffen konnte und beschloss ihr alles zu erklären. Allein schon sein Herzschlag, der bei ihrem Anblick stärker geworden war, hatte ihm verraten für wen er wirklich etwas empfand und dieser jemand war nicht mehr Melanie.
Nur wollte er nichts riskieren, solange nicht sicher war wessen Kind in Melanie heran wuchs. So lange musste Melanie glauben, Stephan wäre für sie da. Sie musste davon überzeugt sein, dass sie wieder ein Paar waren.
Trotzdem wollte Stephan unbedingt nochmal mit Elena reden, denn das gerade hatte ihr ohne Zweifel einen großen Schrecken eingejagt. Jetzt konnte er sich jedoch nicht darum kümmern, zuerst mussten sie zu diesem Termin. Kurz darauf saßen sie bereits im Wartebereich und Stephan protestierte nicht, als Melanie sich an seine Schulter lehnte. Er legte sogar seinen Arm um sie. Der Schein musste gewahrt werden, jedoch dachte Stephan nur an Elena, während er Melanie im Arm hielt. Es fühlte sich so falsch an, aber kaum redete er sich ein Elena wäre an ihrer Stelle, musste er lächeln. Diese Vorstellung gefiel ihm viel besser, aber er wusste, dass es nicht wahr werden würde. Das zwischen Elena und ihm eine Verbindung bestand, da war Stephan sich sicher, nur hatte er ihre Blicke gesehen.
Stephans Gedanken wurden von der Sprechstundenhilfe unterbrochen, die Melanie auf rief und daraufhin begaben sie sich in das Sprechzimmer des Arztes. Als der Termin vorbei war, brachte Stephan Melanie wieder nach Hause. Diese verabschiedete sich mit einem Kuss von ihm, auch das ließ er einfach zu. Danach setzte er sich gleich wieder in sein Auto und fuhr zurück zur Klinik, in der Hoffnung Elena noch zu erwischen.
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Die Operation dauerte länger als geplant aufgrund von Komplikationen. Nachdem ich mich gewaschen und umgezogen hatte, verließ ich viel später als gewollt die Klinik und stieg in meinen Wagen. Wenn ich mich beeilte, würde ich es noch rechtzeitig zum Besichtigungstermin schaffen.
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Doch Stephan kam zu spät. Kurz bevor er auf den Parkplatz fuhr, war Elena weg gefahren. Er fragte in der Klinik nach und erfuhr, dass sie bereits gegangen war. Stephan beschloss es gleich Morgen nochmal zu versuchen.
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Trotz, dass ich die Klinik später als geplant verlassen hatte, kam ich noch rechtzeitig für meinen Termin an. Der Vermieter war sehr nett und nahm sich viel Zeit für meine Fragen, die im Laufe der Besichtigung aufkamen.
Die Wohnung war wirklich traumhaft schön, vor allem die Aussicht die man hatte wenn man aus dem Fenster blickte oder auf dem Balkon stand. Drei Zimmer, eine schöne Lage und sie war bezahlbar. So eine Wohnung war in Köln und Umgebung schwer zu finden. Ich malte mir insgeheim schon aus, wie ich die Zimmer einrichten könnte, denn ich spürte einfach das die Wohnung perfekt für mich war. 'Für uns.', berichtigte ich mich gedanklich und strich mir über den Bauch.
Ich würde die Wohnung zwar komplett neu einrichten müssen, sogar die Küche, aber das sollte das kleinste Problem darstellen. Hauptsache ich konnte endlich wieder aus dem Hotel ausziehen, in dem es mir zwar gefiel, aber eine Dauerlösung war es definitiv auch nicht. Vielleicht konnte ich ein paar Möbel aus dem Haus hier unterbringen. Eigentlich hatte ich das bis jetzt strikt vermeiden wollen, aber um alles neu zu kaufen fehlten mir im Moment einfach noch die finanziellen Mittel.
"Zieht ihr Freund eigentlich mit ihnen ein?" Die Frage des Vermieters überraschte mich. "Ich habe keinen Freund.", antwortete ich. "Nicht mehr.", fügte ich hinzu. "Achso, ich dachte nur weil sie ja angegeben haben schwanger zu sein. Aber es soll ja auch Frauen geben, die alleine gut zurecht kommen." Ich nickte nur.
Ans Alleinsein musste ich mich ehrlich gesagt noch ein bisschen mehr gewöhnen. Sonst hatte ich immer mit meiner Familie, mit Freunden oder mit Kai zusammen gelebt. Hier in Köln hatte ich nun niemanden mehr, dem ich Nahe stand. Ein soziales Umfeld musste ich mir erstmal neu aufbauen und obwohl ich Stephan näher gekommen war als kaum jemanden zuvor, zählte ich ihn nicht dazu. Ich hatte was ihn anging einen Schlussstrich gezogen, für ihn war ich offenbar sowieso nur Teil seiner Arbeit gewesen.
Der Vermieter nahm sich wirklich viel Zeit für mich, mehr, als uns eigentlich nach Absprache zur Verfügung gestanden hätte. So konnte ich mehrmals durch die Zimmer gehen, alle möglichen Szenarien planen und durchdenken. Jedes Mal kam ich zu dem Entschluss, dass die Wohnung für mich und mein Kind mehr als perfekt geeignet war.
"So, Frau Nowak. Was denken sie?", fragte der Vermieter mich. "Ich denke, dass ich sofort einziehen möchte!", meinte ich und er lachte. "Das freut mich zu hören. Und ich würde ihnen die Wohnung gerne geben, sie könnten also eigentlich wirklich sofort einziehen." Mir fiel ein Stein vom Herzen und natürlich sagte ich sofort zu. Der Mietvertrag musste noch ein bisschen abgeändert werden, deshalb konnte ich ihn nicht sofort unterschreiben, aber die Schlüssel für die Wohnung erhielt ich dennoch gleich vor Ort. Ich war glücklich und überlegte, ob ich gleich heute hier schlafen konnte. Jedoch war das ohne irgendwelche Möbel schwierig und ich hatte auch keinerlei Decken, mit denen ich mir ein Bett auf dem Boden hätte bauen können. Eine Nacht im Hotel würde ich also noch verbringen müssen, ehe ich Morgen zum Haus fahren und ein paar Sachen holen konnte die ich dort nicht lassen wollte. Für heute war es dafür leider schon zu spät und ich war zu müde, vor allem musste ich Morgen früh wieder ganz früh raus.
Es war jedoch ein gutes Gefühl, die Schlüssel in der Tasche zu haben und zu wissen das mein Kind und ich bald ein eigenes Reich haben würden. Ein neuer Lebensabschnitt konnte nun tatsächlich beginnen. Ohne Mann, ohne Gewalt, ohne Angst.
Das einzige was mir noch bevor stand war die Gerichtsverhandlung gegen Kai, aber dafür war noch kein genauer Termin bekannt gegeben worden. So lange würde ich jetzt einfach versuchen positiv in die Zukunft zu blicken.
Nach dem abschließenden Gespräch mit dem Vermieter fuhr ich zurück zum Hotel und legte mich bei Zeiten schlafen.
Am nächsten Tag machte ich mich pünktlich auf zum Dienst im Krankenhaus. Meine Schicht begann heute erst um zehn Uhr und nicht wie sonst um kurz nach halb sechs. So hatte ich genügend Zeit gehabt in Ruhe zu duschen und zu frühstücken und meine Sachen zusammen zu packen. Ich hatte meine Sachen im Auto verstaut und hatte dann aus dem Hotel ausgecheckt. Die nächste Nacht würde ich in meiner neuen Wohnung verbringen, das war sicher. Ich fand einen Parkplatz und parkte das Auto. In der Klinik ging ich mich erstmal umziehen und verschaffte mir dann erstmal einen Überblick über meine heutigen Aufgaben. Während ich so im Ärztezimmer stand und mir gerade den OP-Plan durchlas, kam eine Schwester herein.
"Frau Doktor Nowak, da möchte sie jemand sprechen." Ich meinte, derjenige solle doch rein kommen, da ich mit einem Arztkollegen gerechnet hatte der mir eigentlich jeden Morgen eine Einweisung gab. Die Schwester ging und kurz darauf betrat wieder jemand hörbar das Zimmer. Ich machte mir gerade eine Tasse Tee und stand deshalb mit dem Rücken zur Tür. "Was kann ich für sie.." Ich stockte, nachdem ich mich umgedreht hatte und des Besucher gesehen hatte. Es war kein Kollege.
"Stephan.", stellte ich fest. "Hallo, Elena. Können wir reden?", fragte er mich und hatte bereits die Tür hinter sich geschlossen. "Nein, ich hab keine Zeit.", meinte ich und wollte das Zimmer verlassen. Stephan stellte sich mir aber in den Weg. "Es ist wichtig.", beharrte er. "Es geht jetzt aber nicht, ich hab zu tun!", antwortete ich schroff. "Und du hast hier drin nichts verloren, dieses Zimmer ist für Ärzte dieser Station!"
Davon ließ sich Stephan aber nicht beirren. "Ich sollte hier rein kommen.", meinte er. "Gib mir wenigstens zehn Minuten!", bat er mich. "Fünf!", erwiderte ich. "Höchstens fünf Minuten!" Und Stephan erzählte mir binnen dieser fünf Minuten viel mehr als ich gedacht hätte. Von seinem Bruder und wie Melanie ihm erzählt hatte, dass sie schwanger war. Davon, wie sein Bruder ihn überzeugt hatte Melanie zu unterstützen und gute Miene zu machen, nur damit er sein Kind, sofern es wirklich seins sein sollte, nach der Geburt sehen durfte. Davon wie erschrocken er gewesen war, als ich plötzlich nicht mehr da war und das er versucht hatte mich zu erreichen, allerdings vergeblich. Dann entschuldigte Stephan sich noch für das Verhalten seines Bruders und für Melanies Verhalten gestern im Aufzug. Danach musste er erstmal Luft holen, da er verdammt schnell gesprochen hatte. "Okay.", sagte ich und ließ mir nicht anmerken, dass ich ziemlich geschockt war.
"Okay?", wiederholte Stephan ungläubig. "Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?", fragte er.
Nein, ich hätte so viel zu sagen. Zum Beispiel, dass ich jeden Tag an ihn denken musste oder das ich mir insgeheim wünschte wir hätten uns unter anderen Umständen kennengelernt. Beide Single, zufällig getroffen, ein Date und dann hätte vielleicht auch mehr daraus werden können. Doch jetzt? Es ging nicht. Ich war für ihn nur ein Teil seiner Arbeit, er hatte indem er mich gerettet hatte nur seine Pflicht erfüllt.
"Ich muss los, ich hab Patienten.", sagte ich und ging an ihm vorbei. Ich wich seinem Blick aus. Gerade als ich bei der Tür angekommen war und sie schon einen Spalt weit geöffnet hatte, packte Stephan mich am Arm. Nicht grob, er wollte mich so einfach nur aufhalten. "Du bleibst hier und wir reden!", stellte er klar und schloss die Tür wieder. Wir blickten uns dann eine Zeit lang in die Augen, während er vor mir stand und seine Hände links und rechts neben mir abstützte.
Ich konnte nirgendwo hin und seine Augen hatten mich sowieso regelrecht in ihren Bann gezogen. Ich wollte auch gar nicht mehr weg, weil ich ahnte was passieren würde. Und tatsächlich beugte Stephan sich vor, um mich zu küssen.